Wer steuern will, braucht Daten. Oder Bauchgefühle. Wohin geht die Reise? Wohin entwickelt sich die Stadt? - Seit sieben Jahren befragt die Stadtverwaltung dazu auch die Akteure der Wohnungswirtschaft, der Bau- und der Finanzwirtschaft - und noch ein paar Wissenschaftler, Vereine und Planungsbüros. Das Ergebnis ist ein Bauchgefühl. So ungefähr das, was auch in Bürgerumfragen herauskommt, wenn man die Leute fragt: "Was glauben sie ..."

Das heißt dann nur anders: “Wohnungsmarktmonitoring”. Jetzt liegt das neue Heft fürs Jahr 2012 vor – 18 Seiten dick. In diesem Fall wurde erstmals mit der Berufsakademie Sachsen, Staatliche Studienakademie Leipzig, im Rahmen eines Studentenprojektes kooperiert. Die Studentinnen und Studenten hatten Spaß. Sie durften auch schon bei der Erarbeitung der Fragebögen mitmischen, durften einiges vereinfachen. Dafür wurde eine Feinjustierung eingeführt. Diesmal wurde genauer nach der Entwicklung in verschiedenen Stadtteilen gefragt.

Was das Barometer nicht abbildet, sind die unterschiedlichen Sichtweisen – Investoren sehen den Markt anders als Makler, Banken wieder anders als Wohnungsgenossenschaften. Wo der eine leuchtende Augen bekommt, bekommt der andere Bauchschmerzen. Ein labiles Gemisch. Aber die Botschaft lautet trotzdem: Die Mehrheit sieht eine zunehmende Knappheit von Wohnraum in Leipzig. Noch ist die Lage entspannt, sagt Jochem Lunebach, Leiter des Stadtplanungsamtes. Leipzig ist zwar eine wachsende Stadt, aber auch der Zensus 2011 habe gezeigt, dass es in Leipzig nach wie vor mehr freien Wohnraum gebe, als bisher gedacht. Über 38.000 freie Wohnungen hatte das Bundesamt für Statistik aus den Leipziger Zahlen berechnet für den Mai 2011. Das waren dann doch fast 10.000 mehr, als Leipzigs Stadtplaner bislang gedacht hatten.

Wobei, so betont Stefan Heinig, Abteilungsleiter Stadtentwicklungsplanung im Stadtplanungsamt, die Zensus-Zahlen noch längst nicht alle ausgewertet sind. So ganz durchschaubar sei die Sache mit den Wohnungskategorien noch nicht. Und in den 38.000 Wohnungen stecken eben auch alle noch nicht sanierten Wohnungen, die normalerweise dem Wohnungsmarkt auch nicht zur Verfügung stehen.

Aber wenn Leipzig weiter einen so positives Wanderungssaldo hat wie in den letzten zwei Jahren, dann sinkt der Freiraum natürlich. Und punktuell gibt es auch schon Klemmen. Am deutlichsten spürbar bei den 1-Raum-Wohnungen, die natürlich bei der gewaltigen Zahl von Singles in Leipzig sehr begehrt sind, und bei den größeren Wohnungen ab 4 Räume. Und auch das wurde nachgefragt: Nach was erkundigen sich denn die Wohnungssuchenden am häufigsten?
Und das ist wohl die wichtigste Botschaft an die Stadtspitze und die Wohnungswirtschaft: Am schlechtesten befriedigt werden kann die Nachfrage nach Wohnungen mit Quadratmetermieten unter 4,50 Euro. Selbst in diesem Monitoring wird also sichtbar, wie prekär die Einkommenslage vieler Leipziger nach wie vor ist. Dass die Mieten seit zwei Jahren schon leicht steigen, liegt nicht an den gestiegenen Einkommen. Trotzdem gibt es natürlich auch in Leipzig die Nachfrage nach Wohnungen mit gehobenem Standard. Und in Kategorien ab 7,50 Euro pro Quadratmeter scheint die Nachfrage zunehmend auch größer zu sein als das Angebot.

Aber hier spielt eben nicht nur die Ausstattung eine Rolle, sondern immer stärker auch die Lage einer Wohnung. In Paunsdorf wird man solche Mieten nicht verlangen können, im Zentrum Süd schon. Was dann zur Frage von Veränderungen der Wohnbevölkerung führt. “Wir wollten ganz bewusst nicht das Wort Gentrifizierung benutzen”, sagt Lunebach.

Also wird im Monitoring der Terminus Umstrukturierungsprozess benutzt. Das Problem, so Lunebach, sei die schwammige Definition von Gentrifizierung.
Vielleicht sollte man sogar sagen: Es ist der schwammige Bewertungsmaßstab. Denn die Aufwertung eines Wohnquartiers und der Zuzug von zahlungskräftigeren Mietern ist ja im Grunde nichts Negatives – wenn der Zuzug nicht die Verdrängung der sozial schwächeren Bevölkerung bedeutet.

Einige Leipziger Ortsteile sind schon historisch vom betuchteren Bürgertum bevorzugt – ganz typisch dafür das Waldstraßenviertel mit seinen vielen großbürgerlichen Wohnungen. Wenn hier Gentrifizierung stattgefunden hat, dann schon Anfang der 1990er Jahre, als das Quartier großflächig saniert wurde. Die Umstrukturierungsprozesse, die die Akteure hier beobachten sind also eher gering. Aber immerhin 24 Prozent der Befragten nehmen sie auch im Waldstraßenviertel noch war.

Deutlich größer sind diese Prozesse in Plagwitz, Südvorstadt und Schleußig. Alle drei Ortsteile, die in den letzten zehn Jahren deutlich Zuzug erlebt haben. Hier geschieht aber auch kein Verdrängungsprozess durch eine Art Luxussanierung (wenn man einige eher begrenzte Konflikt-Projekte in der Südvorstadt ausklammert), sondern durch eine zunehmende Knappheit von freiem Wohnraum, so dass die sowieso schon attraktive Wohnlage immer häufiger nur für etwas solventere Mieter bezahlbar bleibt.

Einige der nicht so solventen ziehen mittlerweile weiter. Noch ist ja Platz in Leipzig. Oder um OBM Burkhard Jung zu zitieren: “Noch sind wir in den Gründerzeitbestand dieser Stadt noch nicht wieder hineingewachsen.” Das dauert noch. Unübersehbar auch aus Sicht der Wohnungswirtschaft hat sich jetzt der Leipziger Westen zum neuen Wachstums-Hotspot der Stadt entwickelt. 81 Prozent der Befragten sagen, dass hier die Nachfrage nach Wohnraum in den nächsten drei Jahren noch steigen wird.

Andere Fördergebiete sind noch nicht so weit. Auch wenn sich im ganzen Stadtgebiet der Trend zeigt, dass die Nachfrage leicht steigt. Die nächste Region, die sich wohl zum Entwicklungsschwerpunkt mausert, ist aus Sicht der Wohnungswirtschaft der Leipziger Osten. Am Horizont meldet sich auch die Georg-Schumann-Straße so langsam an. Schönefeld und Grünau tun sich noch schwer. Aber eins scheint auch aus Sicht der Profis sicher: Die Leerstandsquote wird in Leipzig deutlich sinken.

“Noch”, so Lunebach, “hatten wir laut Zensus im Jahr 2011 in allen Stadtteilen Leerstandsquoten über 10 Prozent.” Was sich aber auch abzeichnet: Für die berühmte DDR-Platte interessieren sich die meisten Wohnungssuchenden eben doch nicht. Am stärksten werden die Leerstandsquoten vor allem im Altbau bis 1948 und im Neubau ab 1990 sinken. Die Mieten werden steigen, sagen die Befragten. Vor allem da, wo die Wohnungen besonders begehrt sind – im sanierten Altbau und vor allem in besonders beliebten Wohnlagen.

Die Wohnungswirtschaft sieht logischerweise wachsenden Bedarf an neuem Wohnraum. Die Investition in Mehrfamilienhäuser wird also steigen. Auch das Interesse an Eigentumswohnungen wird wohl eher zunehmen. Und wenn man in bestehenden Wohnungsbestand investiert, dann geht es zumeist um ein echtes Zukunftsthema: den seniorengerechten Umbau, gleich gefolgt von der energetischen Sanierung.

Jetzt müssen die Leipziger nur alle genug Geld verdienen, damit sie das alles auch bezahlen können.

Denn wirklich groß sind die Investitionsspielräume in einer Stadt nicht, wenn die Hauptnachfrage nach Mieten unter 4,50 Euro besteht.

Ein wichtiges Instrument für die Stadtplanung sei das Monitoring trotzdem, sagt Stefan Heinig.

Das Wohnungsmarktbarometer 2012 ist ab 27. Juni auf www.leipzig.de/monitoring unter der Rubrik Wohnungsmarkt zu finden.

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