Hat sich der Leipziger Hochwasserschutz bewährt? - Es herrschte zwar wieder große Aufregung in Leipzig, als am 2. Juni die Hochwasserwelle die Weiße Elster herunterkam und in Leipzig der Katastrophenfall ausgerufen wurde. Aber anders als andere Städte kam Leipzig auch diesmal glimpflich davon. Auch wenn das Wasser fast die Deichkronen erreichte. Denn ein Vorteil Leipzigs war auch immer: Es ist - anders als Halle oder Dresden - nicht direkt am Fluss gebaut.

Selbst als die ersten Siedler ihre Häuser bauten und dann die Burg entstand, lag beides auf einem Sandsporn über dem von Wasseradern durchzogenen Gelände. Die Kernstadt Leipzigs kannte keine Hochwasser, auch wenn Pleiße und Pleißemühlgraben direkt westlich der Stadtmauern vorüberflossen. Was aber auch Grund dafür war, dass dieses Gelände Jahrhunderte lang unbebaut blieb, wenn man vom “Armenviertel” Naundörfchen und der Jakobsparochie absieht. Einzelne Kies- und Tongruben legte die Stadt dort an. Mit dem Ranstädter Steinweg entstand ein Hochweg durch das sumpfige Gelände. Überschwemmungen gehörten in diesem Gebiet zum Normalen – der Auwald war darauf eingerichtet. Und die Leipziger und die Bauern der Region bewirtschafteten das Gelände auch entsprechend.

Die großen Wiesen und die so genannte Mittelwald-Bewirtschaftung des Auwaldes gehörten dazu.

Wer die alten Überschwemmungsgebiete sucht, kann sich eine topografische Karte für Leipzig besorgen. Und er wird darauf sehen, dass sämtliche alten Siedlungsgebiete auf den Hochufern der Flusstäler von Weißer Elster, Parthe und Pleiße entstanden.

Man kann sich auch die Gefährdungskarte der Stadt Leipzig herunterladen, die die Stadt am Montag, 3. Juni, im Zusammenhang mit der Ausrufung des Katastrophenfalls herausgegeben hat. Was dort in Hellblau eingemalt ist, entspricht den alten Überschwemmungsgebieten – und dem einstigen von Auwald und Auwiesen dominierten Gelände – und zwar genau in der Ausbreitung, die für die Menschen noch bis ins frühe 19. Jahrhundert für Siedlungsbau tabu war. Hier konnten sich die Flüsse ausbreiten, wenn starke Regenfälle oder tauende Schneemassen zum Überschwellen der Flüsse führten. Teilweise tauchte das auch einige der im 17. und 18. Jahrhundert angelegten Barockgärten in trübe Fluten – so zum Beispiel Apels berühmten Garten.

Das alles galt so bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Das feuchte Wiesenland reichte quasi bis an die Stadtmauern. Bis ein Bursche namens Carl Erdmann Heine kam und 1845 damit begann, das erste Gelände westlich der Stadt trocken zu legen und erste Bauparzellen anzulegen. Auf seine Tätigkeit gehen alle Wohnviertel zurück, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf diesem ehemaligen Überschwemmungsgelände entstanden – das Westviertel rund um Dorotheenplatz und Lessingstraße, das Waldstraßenviertel, das Musikviertel und das Bachviertel, dazu noch Schleußig. Alle diese heute gutbürgerlichen Wohnquartiere wurden aufwändig aufgeschüttet – vor allem mit dem Erdreich und dem Gestein, das Carl Heine bei seinen Kanalbauten im Leipziger Westen gewann. Im Schnitt schüttete er diese Gebiete um zwei Meter auf.Im Zusammenhang damit kam es auch zu Verlegungen der Weißen Elster, die sich bis dahin noch in ihren ursprünglichen Mäandern auf dem Gebiet bewegte, auf dem heute das Waldstraßenviertel steht. Sie wurde begradigt und floss nach ihrer Begradigung 1854 bis 1922 direkt westlich des Waldstraßenviertels nach Norden. Eine doppelte Lindenreihe markiert heute ihren Verlauf.

In den Hochwasserschutzplänen ist die Öffnung dieser neuen alten Elster wieder vorgesehen.

Bis 1926 war sie unter anderem mit Aushubmaterial der Untergrundmessehalle (heute: S-Bahnstation Markt) verfüllt worden. Im damaligen Hochwasserschutzkonzept der Stadt war sie überflüssig geworden. Das basierte auf den großdimensionierten Flussregulierungen, die im Grunde schon auf Planungen der Ingenieure Georgi und Kohl aus der Zeit von 1852/1854 zurückgehen, aber erst nach 1900 umgesetzt wurden.

Die Hochflutrinne der Weißen Elster zwischen Zwenkau und Leipzig entstand noch im 19. Jahrhundert. Das Palmgartenwehr, mit dem der Wasserstand im Elsterflutbecken reguliert werden kann, entstand 1911/1912, das Elsterbecken wurde bis 1925 ausgebaggert, die Elster-Luppe-Regulierung wurde ab 1934 umgesetzt. Dass das neue Regulierungssystem nicht mit allen Flutmassen fertig werden konnte, erlebten die Leipziger schon beim Hochwasser von 1954. Damals konnte die Weiße Elster die durchfließende Menge von 780 m3 pro Sekunde nicht mehr bewältigen – und jene Baugebiete, die in den alten Auen angelegt worden waren, standen im Wasser. Das war deutlich mehr Wasser, als die Weiße Elster dieser Tage ableiten musste – etwa 600 m3 pro Sekunde.

Ein Negativmoment der großen Flussregulierungen: Seitdem steht der Leipziger Auwald praktisch trocken. Einige der aufwändig gebauten Deiche schützen nicht einmal Wohngebiet, sondern den Auwald selbst vor Überflutung. Wie sehr die Deichsysteme selbst das Wasser am Abfließen hindern, konnte man beim Januarhochwasser 2011 erleben, als das Nahle-Auslasswehr zum ersten Mal in seiner Geschichte geöffnet wurde und das Wasser binnen kurzer Zeit durch den Auwald abfloss.

Auch diesmal trug das Öffnen des Nahle-Auslasswehrs wesentlich dazu bei, die Hochwassersituation in Leipzig zu entspannen. Auch der gerade im Mai in Betrieb genommene Überlauf der Weißen Elster zum Zwenkauer See entlastete die Stadt Leipzig deutlich.Die Stadt hatte zwar vorsorglich über 680 Menschen evakuiert und etliche Kindertagesstätten und Schulen im Gefährdungsgebiet geschlossen. Aber die Deiche hielten. Und es wird durchaus interessant, wie Stadt und Sächsische Talsperrenverwaltung künftig mit dem Leipziger Flusssystem im Auwald umgehen. Wirklich fertig ist ja das “Hochwasserventil” Zwenkauer See noch nicht. Der geplante Harthkanal soll das Weiterlaufen der Wassermassen in den Cospudener See und von da über den Floßgraben in den Auwald ermöglichen. Auch ist – neben der Öffnung der Alten Elster ja noch einiges am Grabensystem zu tun: ein Teil des Elstermühlgrabens muss noch (wieder-)geöffnet werden. Und von der Weißen Elster zur Luppe soll ein Durchstich geschaffen werden.

Wenn man den Auwald in seiner klassischen Zusammensetzung erhalten will, dann braucht er auch regelmäßige Überflutungen. Natürlich nicht in dem Ausmaß der Zeit vor 1854. Dann lägen ja die schönen von Carl Heine initiierten Wohnquartiere alle im Wasser. Aber der Blick auf die Gefährdungskarte der Stadt zeigt eben auch: Zwei Meter Aufschüttung im Überschwemmungsgebiet sind nicht wirklich viel. Fluten wie die von 1954 können auch mit dem regulierten Flusssystem nur schwer “gebändigt” werden. Die “Frankfurter Wiesen”, wo heute Arena und Zentralstadion stehen, standen noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts regelmäßig unter Wasser. Der Clara-Zetkin-Park ist auch bei kleinen Winterhochwassern ein Meer von Teichen, denn hier drückt allein schon das Grundwasser durch.

Und niemand weiß, wie oft solche regenreichen Extremwetterlagen wie die von 2002 und 2013 sich in Zukunft wiederholen. Mehr Energie in der Atmosphäre bedeutet nun einmal auch mehr Extremereignisse, die man nicht wirklich vorhersagen kann. Vielleicht ist die Öffnung eines größeren Teils des Auwaldes für eine gesteuerte Flutung auch im Hochwasserfall ein wichtiger Teil künftiger Krisenstrategien.

Die Gefährdungskarte der Stadt Leipzig: www.leipzig.de/de/buerger/newsarchiv/2013/Stadt-ruft-Katastrophenalarm-aus-25568.shtml

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