"Es war ein Bockwurst-Beschluss", spottet Oberbürgermeister Burkhard Jung am 20. Juni im Festsaal des Neuen Rathauses ein bisschen über sich selbst. Denn als der Stadtrat 2011 beschloss, Geld für eine zu erarbeitende Verwaltungsstrukturreform in den Haushalt einzustellen, war er grad draußen im Foyer, um sich mit einer Bockwurst zu stärken. Doch er ist froh, sagt er, dass die Stadträte diesem Antrag der FDP-Fraktion seinerzeit zustimmten.
Auch die FDP-Fraktion ist happy. So viele Streicheleinheiten wie am Donnerstag, 20. Juni, bekommt sie auch sonst eher selten. Auch wenn sie seinerzeit eher an eine externe Beratungsagentur gedacht hatte, die die Leipziger Verwaltung ein bisschen aufmischen und auf Zukunftskurs bringen sollte.
Geworden ist es aber eine bunt gemischte Expertenkommission, geleitet von Dirk Greskowiak von der Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) aus Köln. Die Kommission war bunt gemischt mit Fachleuten von außerhalb und mit klugen Leipzigern aus unterschiedlichsten Bereichen – von Ralf Elsässer aus dem Leipziger Agenda-Büro, für den Bürgerbeteiligung tägliches Brot ist, über Uni-Professor Manfred Röber, der sich mit Verwaltunsmanagement und vor allem modernem E-Government beschäftigt bis hin zu Vertretern der Leipziger Wirtschaft, die an Verwaltung ja immer ganz besondere Wünsche hat – Wolfgang Parnow aus dem Vorstand der Handwerkskammer, Patrik Fahrenkamp, Vorstandsvorsitzender der Stadtbau AG und Mathias Reuschel von S & P. Externes Wissen wurde aus Potsdam, Meißen, Berlin, Köln, Mannheim und Nürnberg dazugeholt. Nicht zu vergessen Michael Reinhardt vom Bürgerverein Schönefeld.
Vielleicht hat man in der Eile keine kompetenten Frauen freiboxen können. Die Kommission arbeitete straff, erzählt Greskowiak, für den das Leipziger Projekt in dieser Art auch ein Pilotprojekt ist, “das wir in unserer Arbeit auf jeden Fall weiter auswerten werden.” Denn die Probleme, vor denen deutsche Kommunen stehen, sind fast überall die selben. Der 81-seitige Bericht, den Greskowiak am Donnerstag OBM Burkhard Jung übergab, listet sie auf Seite 12 im Grunde alle Probleme, die zum Umdenken zwingen, auf – 20 Stück an der Zahl. Von der globalen Finanzmarkt-Krise, die im Grunde ungefedert auf alle Kommunen durchschlug, über die zunehmende Belastung der sozialen Sicherungssysteme und die demografischen Veränderungen bis hin zur drängenden Energiewende und der öffentlichen Schuldenlast.
Aber die Kommission wollte nicht herausfinden, wie gut Leipzigs Verwaltung auf die Herausforderungen schon eingestellt ist, betonte Greskowiak. “Wir wollten keine Beschreibung der IST-Situation, sondern eine Vision für eine SOLL-Situation.” Da arbeitete er dann selbst vorweg, interviewte alle Mitglieder der Expertenkommission, den OBM und die Bürgermeister, die Vorsitzenden der Fraktionen und Ausschüsse. Schon das eine Menge Holz, das regelmäßig für Reibung sorgt. Und dann machte er daraus eine erste Synopse, wie er sagt, und fütterte damit die Kommission. Und eigentlich auch wieder die Verwaltung. Denn jetzt ging es los. Jetzt klärten die zwölf Kommissionmitglieder erst einmal, welche SOLL-Anforderungen sie an Verwaltungshandeln aus diesen Vorgaben destillierten.
Herausgekommen sind acht Stück. Und auch wenn der Empfehlungskatalog der Expertenkommission betont, dass die Reihenfolge keine Prioritätensetzung ist, steht die erste Anforderung nicht ohne Grund ganz oben. Und Burkhard Jung sieht sich bestätigt – denn Nachhaltigkeit, sagt er, ist schon längst ein Thema. Er verweist auf die “Leipzig Charta”, “die immer wieder in Vergessenheit zu geraten droht.”
Verwaltungsbürgermeister Müller erinnert sich an schöne Diskussionen in Workshops der Stadtverwaltung, in denen tatsächlich über die Deutungsschärfe des Begriffs Nachhaltigkeit diskutiert wurde. Aber die Empfehlungen der Expertenkommission sind wie ein Spiegel, der der Verwaltung nun vorgehalten wird. Es geht immer um Ressourcen und Akzeptanz. Und wer heutzutage Kommunalpolitik macht, muss mit knappen Ressourcen planen, darf nicht mehr verbrauchen, als da ist, und darf auch künftigen Generationen nicht Lasten aufladen, die sie nicht tragen können.
Heißt aber auch: Kommunale Projekte brauchen die Akzeptanz der Bürger und vor allem eine echte Beteiligung. “Da haben wir ja schon einige Erfahrungen”, sagt Ralf Elsässer, verwendet aber auch bewusst eine Formel, die in Leipzig eher selten beachtet wird: “pro aktiv”. Denn viele Projekte erregen zurecht Ärger, weil sie den Leipzigern – und selbst den Stadtratsfraktionen – oft erst vorgelegt werden, wenn die wichtigsten Entscheidungen schon gefallen sind.
Was dann zwangsläufig zum Thema E-Government überleitet und den Möglichkeiten, die das Internet zur frühzeitigen Beteiligung der Bürger gibt. Und zwar – den Punkt betont Elsässer auch – zuallererst derjenigen, die qua Beruf, Engagement und Qualifizierung – auf dem Gebiet mindestens genauso kompetent sind wie die Verwaltungsmitarbeiter.
Was dann wieder das große Thema Transparenz und Informationspolitik nach sich zieht. Und wenn man die Worte von Verwaltungsbürgermeister Andreas Müller ernst nehmen kann, arbeitet Leipzigs Verwaltung schon ernsthaft daran, ein echtes open-data-Modell umzusetzen und alles online zur Verfügung zu stellen, gegen dessen Veröffentlichung nichts spricht. Vier Projekte zählt er auf, an denen vor allem sein Hauptamt und dessen Leiter Christian Aegerter und dessen Mitarbeiterinnen schon arbeiten. Die waren sowieso eingespannt in die Kommissionsarbeit. Denn das Amt musste die Antworten liefern auf die vielen Fragen, die den Kommisionsmitgliedern im Lauf der Arbeit kamen.
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Einen ersten Überschlag hat Christian Aegerter auch schon gemacht. Rund 47 Prozent der Kommissions-Empfehlungen seien schon Verwaltungshandeln, bei weiteren 25 Prozent sei man teilweise in der Umsetzung, 5 Prozent werden gerade eingeführt, für weitere 10 Prozent plane man die Einführung. “Verwaltung ist immerzu in einem Modernisierungsprozess”, betont Burkhard Jung. Aber dass 10 Prozent der Vorschläge denn gänzlich neu sind auch für ihn, das findet er denn doch erstaunlich. Im Grunde hat die Kommission damit gezeigt, dass der externe Blick auch einer sonst sehr lernwilligen Verwaltung zeigen kann, wo noch völlig neue Ideen schlummern.
Auch wenn Burkhard Jung sagt, man werde den ganzen Katalog mit seinen acht Themenfeldern und 152 einzelnen Vorschlägen nicht 1:1 umsetzen. “Das geht gar nicht”, sagt er. “Aber wir werden uns ernsthaft damit beschäftigen und die Punkte, die uns wichtig erscheinen, auch als erstes anpacken und umsetzen.”
In zwei, drei Jahren könne er sich dann wieder eine Zusammenkunft der Kommission denken, die dann das Erreichte vergleicht mit dem Empfohlenen.
Ob die Prozentwerte so bleiben, wie jetzt in Kürze zusammengerechnet, bezweifelt freilich auch Aegerter. Jetzt werden die Dezernate und Ämter das dicke Papier bekommen und selbst Rechenschaft geben, was wirklich schon Praxis ist und was nicht. Denn eines ist auch Burkhard Jung recht bewusst: Die Verwaltung schätzt das eigene Erreichte meist doch etwas anders ein als der externe Beobachter. Was schon in der Pressemitteilung der Stadt sichtbar wird, die sich für gelungene Praxis in proaktiver Bürgerbeteiligung nun ausgerechnet in Sachen Leipziger Einheits- und Freiheitsdenkmal feiert.
Hinter manchem Wort stecken haufenweise Missverständnisse. Und manchmal scheitern kluge Vorhaben einfach daran, dass Ämter und Dezernate ihre Regie über die Prozesse behalten wollen. Was dann – jenseits von Organisationsstrukturen, Führungsverhalten und “Rollenverständnis der Stadtverwaltung” auch die Frage nach Qualifikation und Sachverstand stellt. Aber alles kann nun wirklich nicht in so ein Papier passen.
Jung sieht es – wie manches Vorgänger-Papier – als eine Arbeitsgrundlage, an der weitergearbeitet werden soll. Zumindest ist der Fokus deutlich mehr auf Partizipation und Dienstleistungsmentalität gerückt worden. Nicht ohne Grund zitierte Jung wieder seine geliebte Schnecke von der Rathaustür: Verwaltungen arbeiten langsam, aber verlässlich. Und manchmal – das jedenfalls warf Mathias Reuschel forsch in die Runde – müssen auch ein paar alte Leute entlassen werden, damit neue Strukturen endlich geschaffen werden können.
Und ähnlich forsch betonte Burkhard Jung seine Wachstumsvision für Leipzig – mit einer notwendigen Verdoppelung der Steuereinahmen und weiterem Bevölkerungswachstum. Aber es ging ja nur um Verwaltung, nicht um Empfehlungen für eine wirklich nachhaltige Wirtschaftspolitik. Das wäre was gewesen. Aber man bekommt nie alles, was man sich wünscht.
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