Das Hochwasser ist in Sachsen und Leipzig vorbei. Eigentlich Zeit zum Nachdenken, Nachfragen und Nachprüfen. Was hat gestimmt, was hat geklappt, was müsste geändert werden? In Leipzig herrschten zwar drei Tage lang angespannte Zustände. Aber wieviel davon war falsche Panikmache? Wieviel sogar falsche Schuldzuweisung? Noch während das Hochwasser in Leipzig stand, schimpfte OBM Burkhard Jung (SPD) ja via Zeitungsinterview gegen die Naturschutzverbände. Jetzt hat er nachgelegt.

In seiner Kolumne, die er auf leipzig.de veröffentlicht, legte er noch eine Schippe drauf. Obwohl er eingangs etwas Anderes verspricht. “Die Natur hat uns einmal mehr gelehrt, dass wir sie nicht gänzlich beherrschen können. Über Jahrhunderte haben sich die Flüsse ihren Weg gesucht – in Zeiten hohen und niedrigen Wassers. Der Mensch war es, der der Natur immer mehr Raum abtrotzte und Flussläufe begradigte, einengte und besiedelte. Es ist ein Irrglaube zu denken, man könne die Natur mit Deichen und Flutmauern vollumfänglich kontrollieren. Das Wasser mit seiner Naturgewalt sucht sich seinen Weg”, schreibt er. Und man kann ihm nur zustimmen. Da hat er vollkommen recht.

Und man denkt an den September 2002, als für Sachsen ein gewaltiges Maßnahmepaket für den Hochwasserschutz verkündet wurde. Und weil die Erinnerung an das damalige Hochwasser noch frisch war, war es ein ausgewogenes Programm aus Deicherneuerung und Schaffung neuer Überschwemmungsflächen. Doch schon im Oktober wurde das ganze Programm eingedampft, flog ein Großteil der geplanten Deichrückverlegungen aus den Plänen. In den Folgejahren wurden von 49 geplanten Deichrückverlegungen nur ganze zwei Projekte umgesetzt. Statt 7.500 Hektar, wie ursprünglich geplant, oder 5.500 Hektar, wie nach Phase zwei noch beabsichtigt, wurden nur 110 Hektar freigelenkt für die Wassermassen.

Wo das geschah – wie bei Eilenburg – zeigte diese im Vergleich zum Deichbau preiswerte Maßnahme, wie sehr sie hilft, Hochwasserlagen zu entspannen. Selbst Deichverfechter Axel Bobbe, Chef der Talsperrenverwaltung im Direktionsbezirk Leipzig, gestand das ein, sagte in einem LVZ-Interview am 13. Juni, “nördlich der Stadt haben wir eine gigantische Deich-Rückverlegung umgesetzt, bei der der Mulde mehrere hundert Hektar gegeben wurden. Damit konnten sich die Wasserspiegel schnell senken. Zum Beispiel auch am Zusammenfluss von Zwickauer und Freiberger Mulde, im Bereich Sermuth und Erlln. Die Orte wurden zwar vorsorglich evakuiert, aber die Menschen konnten am nächsten Tag wieder nach Hause, und das ohne nasse Füße.”

So funktionieren Retentionsräume.

Begriffen hat auch Burkhard Jung, dass man die Gefahr für die Orte an den Flüssen nur minimiert, wenn man am Oberlauf Rückhalteflächen schafft und Deiche zurückverlegt.

“Natürlich können wir das Rad der Geschichte und der gewässernahen Besiedlung nicht zurückdrehen”, schreibt er in seinem Beitrag. “Uns bleibt nur die Lehre, den Flüssen den noch vorhandenen Raum zu lassen oder Felder und Wiesen wieder als natürliche Flutungsflächen freizugeben. Hier sind wir als Kommune in unserem Verantwortungsbereich ebenso gefragt, wie andere Gemeinden entlang der Flussläufe und natürlich die Länder.”Doch er holt nicht einmal Luft, um dann gleich wieder ins alte Denken zurückzufallen und zu begründen, warum nun doch wieder gewaltige Deiche gebaut und umkämpft werden müssen. “Und wir müssen mit den jetzigen Gegebenheiten umgehen und unsere Hochwasserschutzsysteme bestmöglich gestalten, mit sicheren und gut erreichbaren Deichen. Es kann nicht sein, dass Deichanlagen in einer Großstadt im Ernstfall nur per Hubschrauber erreichbar sind, weil der Naturschutz keine Deichverteidigungswege oder das Mähen der Dämme zulässt. Wir brauchen einen vernünftigen Ausgleich von Naturschutzmaßnahmen, Hochwassersicherungssystemen und Menschenschutz.”

Das mit den Deichverteidigungswegen ist eine ganz eigene Frage. Denn von den Naturschutzverbänden hat bislang keiner eine solche Anfrage erhalten. “Warum auch?”, kommt die Reaktion vom Leipziger Ökolöwen. Die Deichbauten sind Hoheitsgebiet der Landestalsperrenverwaltung. Die ist dafür verantwortlich, dass die Deiche intakt sind und dass – wo benötigt – Zufahrten gebaut sind. Beim Abholzen der Bäume auf Leipzigs Deichen im Auwald 2011 hat ja auch niemand die Naturschutzverbände gefragt. Der Ökolöwe ist deshalb extra vor Gericht gezogen, weil damit die simpelsten Beteiligungsrechte ausgehebelt wurden. Die Gerichtsentscheidung steht noch aus.

Und es steht wirklich die Frage: Wer spielt da mit falschen Karten oder informiert den Oberbürgermeister einfach falsch, weil er von eigenen Versäumnissen ablenken will?

Dieser Verdacht drängt sich auch bei der nächsten Aussage zum Thema durch Burkhard Jung auf: Auch das Mähen der Dämme wird nicht durch die Naturschutzverbände bestimmt. Auch dafür ist die Landestalsperrenverwaltung zuständig. Wie oft sie das tut oder tun lässt, ob sie Gartenbaufirmen beauftragt oder die legendäre Schäferin aus Großzschocher mit ihren genügsamen Deichschafen, liegt völlig in der Verantwortung der LTV.

Vielleicht kommt in den Auswertungsrunden dann doch etwas mehr Realismus in die Sache und die wirklich Verantwortlichen haben den Mumm, zuzugestehen, was in ihrer Gewalt liegt und was nicht. “Wir werden im Nachgang die vergangene ‘Katastrophenwoche’ noch einmal genau analysieren und prüfen, was wir noch besser machen können, worauf wir uns noch gezielter vorbereiten können, denn die ehrliche Wahrheit ist: die Natur lässt sich nicht allumfassend planen, wir müssen uns nach ihr richten”, schreibt Burkhard Jung.

Wenn er es nur beherzigen würde, könnte Leipzig vielleicht in nächster Zeit tatsächlich ein abgestimmtes Hochwasserschutzkonzept bekommen. Denn so eingespielt, wie Jung meint, funktionierte der Katastropheneinsatz nur punktuell. Und vor allem wurden Einsatzkräfte teilweise unnötig gebunden. Man reduziert auch die Gefahr, wenn man weit vor den Deichen für Entspannung im Hochwasser sorgt. Aber dazu braucht es dann echte Kommunikation über die lächerliche Stadtgrenze hinaus flussaufwärts. Aber die findet seit elf Jahren nicht wirklich statt.

Wer die Kolumne von Burkhard Jung nachlesen möchte: www.leipzig.de/de/buerger/politik/obm/OBM-Kolumne-Hochwasser-Leipzig-25622.shtml

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