Wundert sich noch irgendjemand in Leipzig darüber, dass die Politikverdrossenheit wächst? Wichtige Entscheidungen zu Transparenz und Bürgerbeteiligung werden auf die lange Bank geschoben. Diskussion über Projekte, die die engagierten Leipziger nun wirklich interessiert, werden unter Verschluss gehalten. Jüngstes Thema: der "Masterplan Naturkundemuseum". Da fühlt sich zwangsläufig auch der Verein der Freunde und Förderer des Naturkundemuseums veräppelt - und schreibt einen Offenen Brief an OBM Burkhard Jung.

Die L-IZ hat recht ausführlich über die wichtigsten Punkte aus dem Masterplan berichtet. Schon eine wenig intensivere Beschäftigung mit den Baustellen, die das Kulturdezernat bewertet, macht stutzig. Das eine Projekt wird schöngerechnet, das andere so teuer dargestellt, dass es utopisch scheint. Ein Papier, wie es entsteht, wenn man die Leute, die sich in der Thematik auskennen, nicht frühzeitig einbindet. So entstehen schon auf Ämterseite erste Wichtungen und ein Lieblingsprojekt. Die Sache rollt schon, bevor sie in die politische Diskussion kommt. Nicht nur die Geheimkabinette deutscher Duodez-Fürsten neigten zu solcher Geheimniskrämerei – unübersehbar finden auch Leipziger Amtsstuben so ein Vorgehen toll.

Jetzt hat der Förderverein zwar das 150-Seiten-Papier zwar vorliegen, darf aber damit nicht arbeiten.

Es wurde dem Vorstand des Fördervereins mit dem Vermerk “streng vertraulich” ausgehändigt. Während der Pressesprecher der Stadt Leipzig in den Medien einen breiten und offenen Dialog fordere, beharre das Kulturdezernat weiterhin auf Wahrung der Vertraulichkeit, kritisiert der Verein.
“Wir fordern den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Herrn Burkhard Jung, in einem Offenen Brief auf, endlich von seiner Richtlinienkompetenz als Oberbürgermeister Gebrauch zu machen, den Widerspruch aufzulösen und den Masterplan Naturkundemuseum Leipzig endlich öffentlich zu machen”, so der Vorsitzende des Fördervereins Dr. Michael Hardt. “Nur so ist ein offener und fairer Dialog möglich, wenn die Stadt Leipzig am 26.06.2013 um 19:00 Uhr zu einerInformationsveranstaltung in die Aula der Volkshochschule einlädt.”

“Nach der anfänglichen Freude über das Vorliegen des Masterplans kommt die Ernüchterung”, ergänzt Vorstandsmitglied Dr. Monika Schütze-König. “Die Liste der Fragen, Ungereimtheiten und ungeklärten Probleme, die wir nur zum Teil in der Sitzung des Fachausschusses Kultur stellen konnten, ist lang. Auch wenn nicht alles schlecht ist, der Masterplan hätte deutlich besser sein können, wenn man uns frühzeitig prozessbegleitend eingebunden hätte, wie wir es unter anderem im Schreiben an den Oberbürgermeister (1.Oktober 2012) sowie in einer Einwohneranfrage gefordert hatten.”

Das Kulturamt will dem Stadtrat tatsächlich vorschlagen, nur noch den ehemaligen Bowlingtreff am Wilhelm-Leuschnerplatz als Standort für das zukünftige Naturkundemuseum Leipzig zu entwickeln.

“Uns verärgert die massive, durchsichtige Einflussnahme des Kulturdezernates. Schon vor der Beauftragung des Masterplanes führte der Kulturbürgermeister bei einer Besichtigung des Bowlingtreffs aus, dass nur dieses Gebäude für das zukünftige Naturkundemuseum in Frage kommen soll”, so der stellvertretende Vorsitzende Konrad Falkenberg.

“Wir halten den überwiegend unter der Erde liegenden Bowlingtreff wegen seiner Vielzahl schwer oder gar nicht zu lösender sowie kostenintensiver Probleme (kapillare Nässe, Erschütterungen durch darüber liegende Verkehrsinsel und Citytunnel, zu geringe Raumhöhe im Bereich der geplanten Dauerausstellung, zusätzliche Anmietung, usw.), denen auch der Masterplan mehr oder weniger ausweicht, für ein Naturkundemuseum als vollkommen ungeeignet”, ergänzt Vorstandsmitglied Dr. Rosmarie Heyde, promovierte Bauingenieurin. “Damit sind wir uns mit vielen Leipzigern und Fachleuten einig.”

Dass der vom Kulturdezernat favorisierte Bowlingtreff für ein Naturkundemuseum ungeeignet ist, verdeutlicht auch die technische Zeichnung zum baulichen Zustand des “Bowlingtreffs”. Neben der Mittelhalle für die Zentralinszenierung sind seitlich das 1. und 2. Untergeschoss (über und unter der Galerie) zu sehen, in denen die komplette Dauerausstellung untergebracht werden soll. Mit deutlich weniger als drei Metern Raumhöhe sind diese Bereiche zu niedrig, um dreidimensionale Ausstellungsobjekte (z.B. Tierpräparate) wirkungsvoll präsentieren und ausleuchten zu können. Auch die Breite der Galerie bietet Probleme – die wichtigen Fluchtwege bereiten, wie bei jedem unterirdischen Bauwerk – gewaltige Probleme.

Der jetzige Standort Lortzingstraße 3 mit Erweiterungsbau erfülle in allen musealen Punkten höchste Anforderungen und erziele im entsprechenden Ranking des Masterplanes den Platz 1, stelle der Vorstand des Fördervereins nach Auswerrtung des Papierkonvoluts fest. Die bautechnische und bauphysikalische Ertüchtigung des bestehenden Gebäudes stellt nach den gesammelten Erfahrungen der letzten 20 Jahre kein Problem dar. Ein Zusatzbau davor könne ein architektonisches Highlight für Leipzig werden. Bei einem ehrlichen und vor allem nachvollziehbaren Vergleich der Baukosten (einschließlich notwendiger Umzugskosten), dürfte die Weiterentwicklung am jetzigen Standort sogar kostengünstiger ausfallen als am Bowlingtreff.

“Zu lange wurde die Entwicklung des Naturkundemuseums durch jahrelange Standortdebatten blockiert”, betont Dr. Michael Hardt. “Deshalb fordern wir Stadtverwaltung und Stadtrat auf, einen Beschluss herbeizuführen, der die schnellstmögliche Weiterentwicklung des Naturkundemuseums am jetzigen Standort mit Erweiterungsbau festschreibt. Jeder weitere Euro zur Untersuchung des Bowlingtreffs für ein Naturkundemuseum ist ein verschwendeter Euro.”
Der Fragen und Standpunkte des Vereins der Freunde und Förderer des Naturkundemuseums Leipzig e.V. als PDF zum download.

Der Offene Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig Burkhard Jung vom 18. Juni als PDF zum download.

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