Die Landestalsperrenverwaltung (LTV) war sich schon am 9. Juni ganz sicher: Die Instandsetzung der Deiche im Leipziger Stadtgebiet hat sich ausgezahlt. Die Pressemitteilung las sich wie ein Lob für die eigene Arbeit. "In Leipzig konnten während des Hochwassers 2013 größere Überschwemmungen verhindert werden. Die Stadt wurde durch eine geschickte Steuerung der großen Hochwasserrückhaltebecken und Talsperren an den Flüssen Pleiße, Weiße Elster und Wyhra geschützt."

Als säße da ein genialer Zampano, der nur an den Reglern zu schrauben braucht und die Wassermassen jongliert, als wäre es ein Zaubertrick. Was andererseits keineswegs zu den Worten von Leipzigs OBM Burkhard Jung passen will, der in seinem Beitrag auf leipzig.de dieses Szenario gemalt hat: “Noch vor wenigen Tagen – als das verheerende Hochwasser mit absehbaren Folgen langsam aber stetig auf uns zukam – hätten vermutlich die wenigsten von uns geglaubt, dass die Stadt Leipzig so glimpflich davonkommen wird.”

Warum nur nicht? – Seit dem Schmelzhochwasser im Januar 2011 hat die Stadt Leipzig doch die Bau- und Fällarbeiten der LTV höchst wohlwollend begleitet. Zwei Jahre lang wurde im Leipziger Hochwasserschutz nicht gekleckert, sondern geklotzt. Die LTV listet am 9. Juni selbst auf: “Außerdem wurden bereits ca. 30 Kilometer Deiche an der Weißen Elster und Luppe saniert. Diese haben ohne Ausnahme ihre Funktion voll erfüllt. Ältere Deiche konnten verteidigt werden. Ihnen kam vor allem auch zugute, dass nach dem Hochwasser im Januar 2011 viele Bäume auf den Deichen gefällt wurden. So konnten Helfer und Material die Schwachstellen einfacher erreichen.”

Allein die Instandsetzung der Deiche an Luppe und Weißer Elster hat rund 40 Millionen Euro gekostet. Obwohl sie tatsächlich für den Hochwasserschutz nicht die Rolle spielen, die die Leipziger Stadtverwaltung und die LTV ihnen gern zuschreiben. Sie stehen für den klassischen, auf reine technische Lösungen fixierten Hochwasserschutz. Aber auch für Leipzig wurden 2004 etwas komplexere Visionen für einen Integrierten Hochwasserschutz entwickelt. Nur umgesetzt wurde erst einmal nur das, was technisch und teuer ist. Und in Teilen sogar überflüssig.Das, was die LTV da so “geschickt gesteuert” hat, liegt alles oberhalb von Leipzig. Die LTV: “Im Flussgebiet der Pleiße wurden rund 50 Millionen Kubikmeter Wasser in den Hochwasserrückhaltebecken Regis, Borna und Stöhna sowie im Speicherbecken Witznitz und in der Talsperre Schömbach aufgefangen. So wurde nur ein Sechstel der gesamten Zuflussmenge der Pleiße nach Leipzig abgegeben. Damit blieben die Pegelstände unterhalb der Becken unter der Alarmstufe 4.

Das neue Einlaufbauwerk in Zwenkau wurde ab einem Zufluss von 300 Kubikmeter pro Sekunde geöffnet. Rund 20 Millionen Kubikmeter Wasser konnten so im Tagebaurestsee Zwenkau gespeichert werden. Die Spitzenabflüsse der Weißen Elster wurden damit bereits vor Leipzig um etwa 20 Prozent reduziert. In Leipzig wurde das Nahle-Auslassbauwerk geöffnet und der Polder in der Burgaue geflutet. Hier konnten nochmals maximal 10 Millionen Kubikmeter Wasser zwischengespeichert werden.”

Klingt jetzt so, als ob es zusammengehört, tut es aber nicht. Jedenfalls nicht für Leipzig. Denn wenn das Nahleauslasswehr geöffnet wird, entlastet das vor allem die Luppe unterhalb, also nordwestlich von Leipzig – und im eigentlichen Sinn die Saale und damit Halle, das vom diesjährigen Hochwasser heftig betroffen war. Besonders heftig, weil diesmal ein Großteil der Starkregenfälle auch über dem Thüringer Wald niederging und damit alle Flüsse, die hier ihr Einzugsgebiet haben, zum Überlaufen brachte – die Pleiße, die Weiße Elster, die Saale. Die Saale begann sich gerade anzustauen, als auch noch das Wasser der Weißen Elster dazu kam.Und an diesem Punkt ist durchaus zu fragen: Reicht allein die geflutete Burgaue, um die Weiße Elster im Unterlauf zu entlasten oder fehlen hier nicht große Überflutungsflächen, die seit 2004 in der Diskussion sind, aber nie verwirklicht wurden?

Um Leipzig zu schützen, müssen die Retensionsflächen oberhalb von Leipzig geschaffen werden. Die künstlichen Speicher, die in der Bergbaufolgelandschaft entstanden, sind ein Teil dieses Systems und waren auch genau dafür vorgesehen. Obwohl sie noch gar nicht alle in Funktion sind. Der Zwenkauer See konnte nur einen Teil der Wassermenge aufnehmen, weil sein wichtigstes Überlaufventil noch nicht fertig ist – der so genannte Harthkanal, der neben seiner touristischen Funktion als Verbindungsgewässer vom Cospudener zum Zwenkauer See auch noch die Funktion haben wird, den Wasserüberlauf aus dem Zwenkauer See in den Cospudener See zu leiten. Von dort würde das Wasser bei Hochwassern, wie man sie sich bisher aller 100 oder 150 Jahre dachte (und das Juni-Hochwasser war so ein 150-Jahre-Hochwasser), über den Floßgraben und mehrere andere Altwasser, die die Stadt Leipzig erst noch ertüchtigen will, in den Auwald ablaufen – vor allem ins Ratsholz.

Diese Überflutungsfläche wurde diesmal noch gar nicht genutzt. Vom Elsterhochflutbett ist das Ratsholz sogar durch einen der von der LTV benannten “Altdeiche” getrennt.

Derzeit wird die Ertüchtigung des Nahleauslasswehres heftig diskutiert. Seit Jahren das erste Bauprojekt im Leipziger Hochschutzsystem, bei dem die Naturschutzverbände zumindest mal wieder zu ihrer Meinung befragt werden. Bei den Deichertüchtigungen und Baumfällungen wurde das komplett unterlassen. Die Naturschutzverbände plädieren dafür, wenn dieses Auslasswehr schon erneuert wird, es dann so umzubauen, dass es auch bei kleineren Hochwassern geöffnet werden kann. Denn wenn das Wehr nicht gerade wie im Winterhochwasser 2011 und jetzt beim Juni-Hochwasser hektisch in letzter Minute geöffnet wird, um Halle vor den Wassermassen ein bisschen zu bewahren, dann steht der Wald in der Burgaue trocken, fallen auch die Altarme trocken, die es dort noch zahlreich gibt.

Das Thema Hochwasserschutz ist in Leipzig eng mit dem Retten des nun seit 80 Jahren trocken stehenden Auwaldes verbunden. Und 2004 hat man das bei der Entwicklung von Hochwasserschutzkonzepten durchaus mitgedacht. Das Problem ist nur: Die Konzepte schlafen ihren Dornröschenschlaf – genau wie die Stadtverwaltung, die hier längst hätte steuernd eingreifen können.

Mehr dazu gleich unter dem Motto: Kommt Zeit, kommt Wasser.

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