"Die Äußerungen des Oberbürgermeisters Jung im LVZ-Interview sind ein politisches Armutszeugnis und entbehren jeglicher Fachlichkeit oder politischer Verantwortung die einem Oberbürgermeister qua Amt ausüben sollte", sagt Norman Volger, Stadtrat der Grünen. Das Interview war am Donnerstag, 6. Juni, in der LVZ erschienen unter dem Titel "OBM Jung will SMS-Warn-System und Wege an allen Deichen".

Dass man im Hause LVZ die Sache mit dem Umweltschutz manchmal etwas anders sieht – das kennt man schon. Aber wenn ein Oberbürgermeister solche Worte sagt, wird es gefährlich – für den Auwald und den Naturschutz.

“Es steht jeder Privatperson zu, gesetzliche Regelungen wie die der europäischen FFH-Schutzgebiete zu kritisieren. Es kann aber nicht sein, dass OBM-Jung ‘keine Lust mehr hat, über Bäume oder Zuwege zu Deichen zu diskutieren'”, kritisiert Volger. “Die Stadt und der OBM haben sich an Recht und Gesetz zu halten und diesbezügliche Beteiligungsregelungen entsprechend zu beachten und sich nicht darüber hinwegzusetzen, egal ob es dem OBM nun passt oder nicht. Zumal das entsprechende Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport hier eine durchaus detaillierte und abgestufte Position vertritt, die auf Fachkenntnis basiert. Der OBM hat sich in den vergangenen Jahren noch nie zum Thema Hochwasser und Umweltschutz geäußert, sondern dies dem entsprechenden Fachdezernat überlassen. Man kann ihm nur empfehlen, dies auch zukünftig zu tun und diejenigen Reden zu lassen, die Ahnung vom Thema haben.”

Was Jung sagte, zielt aber im Kern auf die Abschaffung des Naturschutzes zu Gunsten eines technischen Hochwasserschutz-Denkens, das teuer und am Ende unbezahlbar ist. Dabei will er sich nach seinen eigenen Worten sogar noch dafür stark machen, die Regelungen im Naturschutz aufzuweichen.

Seine Worte aus dem Interview: “Ja – und genau das kann nicht sein. Wir brauchen entlang aller Deiche 3,50 bis vier Meter breite Wege, die auch mit schwerem Gerät befahrbar sind. Umweltschutz ist mit dem Menschenschutz in Einklang zu bringen. Da müssen wir uns auch noch einmal über die Landesgesetzgebung unterhalten. Ich werde das Thema im Sächsischen Städte- und Gemeindetag einbringen. Wir brauchen eine Initiative für schnellere und unbürokratische Wege zu einem verbesserten Flutschutz. Die Regelungen in den europäischen FFH-Schutzgebieten (Flora-Fauna-Habitat) sind zu scharf. Ich habe keine Lust mehr, über Bäume oder Zuwege zu Deichen zu diskutieren.”

Aber wie er selbst sagt: Es ist ein europäisches Schutzgebiet mit europäischen Standards.
Dass er sich so dezidiert äußert, hat mit dem sächsischen Verständnis von Hochwasserschutz zu tun: hohe Deiche, schweres Gerät, Milliardeninvestitionen und “Kampf um die Deiche”.

Dass es dabei um den Deich des Elsterflutbetts ging, hinter dem kein Siedlungsgebiet liegt, sondern einmal mehr der Auewald, fällt fast gar nicht mehr auf.

Aber der OBM hat es selbst gesagt. Frage LVZ: “Was würde passieren, wenn der erwähnte östliche Damm bricht?”

Antwort Burkhard Jung: “Es würde Wasser aus der Weißen Elster in den Cospudener See laufen. Viel mehr nicht.”
Deutlicher hat Leipzigs OBM bisher noch nie gesagt, dass er eigentlich nicht versteht, was im Leipziger Hochwasserschutz passiert, was die Talsperrenverwaltung tut und wie viel davon teurer und im Grunde überflüssiger technischer Schutz ist.

Norman Volger als umweltpolitischer Sprecher der Stadtratsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen: “An dieser Stelle sei im Rahmen des Hochwassers stellvertretend für viele Beteiligte, Organisationen, dem Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport und seinem Bürgermeister Rosenthal sowie den Leitungspersonal des zugehörigen Brandschutz-, Umwelt-, Ordnungsamtes und dem Amt für Stadtgrün und Gewässer zu danken, die eine hervorragende Arbeit in den letzten Tagen verrichtet haben. Ebenso den vielen ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen und Leipzigern die sich über Facebook organisierten.”

“Dem OBM dagegen stände es gut zu Gesicht, sich hier nicht als Deichgraf zu inszenieren, sondern ein wenig Demut an den Tag zu legen und Manöverkritik zu betreiben”, so Volger abschließend.

Zumindest hat Burkhard Jung deutlich gemacht, dass er zutiefst von technischem Lösungen überzeugt ist. Egal, wie sinnlos sie sind. “Diese Flut bestätigt uns in unserem Hochwasserschutzkonzept. Wenn wir dieses Wasser 2002 bekommen hätten, wäre das für uns nicht so glimpflich ausgegangen. Und wäre der Luppedamm im Zustand von vor zwei Jahren gewesen, hätten wir auch eine Katastrophe gehabt.”

Aber seine Spitze gegen das FFH-Gebiet hat auch mit einigen seiner anderen Träume zu tun, die so nicht funktionieren – beispielhaft genannt sei der Südteil des Mittleren Ringes, den er nur verschoben hat in eine ungewisse Zukunft, statt ihn ein für allemal zu begraben. Denn er würde mitten durchs FFH-Gebiet führen.

Starkregenereignisse, die jetzt zum Hochwasser geführt haben, werden in Zukunft vermutlich mit steigender Wahrscheinlichkeit auftreten, stellt auch der BUND fest, die Gesellschaft müsse daher Abstand nehmen von der Illusion, die Natur beherrschen zu können. In der aktuellen Situation nunmehr gegen die Umweltverbände zu wettern, wie dies der OBM tue, zeuge von einer beachtlichen Instinkt- und Kenntnislosigkeit des Themas. Der BUND fordert OBM Jung auf, konstruktiv nach Lösungsansätzen zu suchen, welche Mensch und Natur gleichermaßen gerecht werden. Dazu gehöre auch, den Auwald, welcher Wasser benötigt, nicht vor dem Wasser zu schützen, sondern dort wo möglich als Retentionsfläche zu nutzen.

“Wir müssen uns sehr intensiv mit dem aktuellen Hochwasser auseinandersetzen und analysieren, was geklappt hat und was nicht. Die Aussagen des Oberbürgermeisters Herrn Jung, der mitgeteilt hat, er habe keine Lust über Bäume zu reden und die Aufweichung der Gesetze fordert, stimmen uns als Umweltschützer sehr bedenklich”, so Jürgen Kasek Co-Vorsitzender des BUND Leipzig.

Martin Hilbrecht, Co-Vorsitzender der Regionalgruppe des BUND Leipzig: “Gerade die Umweltverbände haben in den letzten Jahren mit Fachexpertisen und Stellungnahmen immer wieder auf umweltverträgliche Alternativen zum rein technischen Hochwasserschutz hingewiesen und immer wieder gefordert, dass die Flüsse mehr Raum und Retentionsflächen brauchen. Die Äußerungen von Herrn Jung sind leider nicht geeignet, den konstruktiven Dialog über den sinnvollsten und besten Hochwasserschutz zu führen.”

Der Leipziger Auwald ist ein natürliches Überschwemmungsgebiet. Statt einzig und allein auf technischen Hochwasserschutz zu setzen, müsse weiter geprüft werden, wo der Weißen Elster mehr Raum gegeben werden kann. Dass sich der Oberbürgermeister mit einer Analyse nicht aufhält und stattdessen den Umweltschützern, wie dem BUND den schwarzen Peter zuschiebt, sei traurig. Dies vor allen Dingen auch deswegen, da sich Burkhard Jung in die Diskussionen zum Hochwasserschutz in Leipzig bislang in keiner Weise eingebracht hat.

Der BUND habe Burkhard Jung ausdrücklich zur Wiederwahl in einem offenen Brief gratuliert und angeboten, ihn bei der Arbeit im konstruktiven Miteinander zu unterstützen. “An diesem konstruktiven Dialog im Interesse der Einwohner Leipzigs und der Natur scheint Herr Jung nach seinen letzten Äußerungen im Interview mit der LVZ kein Interesse zu haben”, bedauert der BUND und weist daraufhin, dass die Gesetze ausreichend Spielraum geben. “Der BUND wird sich auch weiterhin für einen umweltverträglichen Hochwasserschutz im Sinne der Einwohner Leipzigs einsetzen und sich weiterhin dafür stark machen, dass die Flüsse mehr Breite statt mehr Höhe brauchen, denn damit ist Mensch und Natur gleichermaßen geholfen.”

Aber vielleicht hat sich Burkhard Jung auch nur in der Landschaft geirrt und verwechselt die Flussaue der Weißen Elster mit der Nordsee. Denn im Interview sagte er auch noch forsch: “Haben Sie auf einem Nordsee-Deich schon mal einen Baum stehen sehen?

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