Eigentlich war es Begleitmusik zum Leipziger OBM-Wahlkampf, als gleich zwei Polizeipräsidenten 2012 die Stadt Leipzig für ihre Drogenpolitik kritisierten. Ein wenig mutete es schon an wie das alte Spiel: Man schlägt den Sack, aber meint den Esel. Die Frage war nur: Wer wäre da der gemeinte Esel? - Das Dezernat Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule hat jetzt die drogenpolitischen Leitlinien der Stadt neu formuliert. Sie sollen nun in den Ausschüssen des Stadtrates beraten und im Juni von der Ratsversammlung beschlossen werden.

“Nach intensiven Beratungen mit Vertretern aus Suchthilfeeinrichtungen und Behörden haben wir die drogenpolitischen Leitlinien für die Stadt Leipzig neu formuliert”, erklärt Bürgermeister Thomas Fabian dazu. “Die wichtigste Zielgruppe sind nach wie vor junge Menschen. Außerdem werden suchtkranke Schwangere und Eltern besonders in den Blick genommen. Die psychosoziale Betreuung bei Substitution erhält besonderes Gewicht. Im Rahmen der Maßnahmen zur Schadensreduzierung wird die Bedeutung aufsuchender Angebote der Sozialarbeit betont.”

Fast diplomatisch betont er auf die Weise, dass er die zentralen Kritikpunkte der Polizei an der Leipziger Drogenpolitik nie akzeptieren konnte, weil sie schlicht Unfug waren. Irgendwie hatten es die gestressten Polizisten als Fakt angesehen, dass ausgerechnet die Sozialarbeiter der Stadt daran schuld wären, dass ihr Ermittlungsdruck auf die Leipziger Drogenszene keine Erfolge zeitigte. Im Gegenteil, die Fallzahlen stiegen ja auch 2012 weiter an. Und werden es auch 2013 tun, auch wenn Polizeipräsident Bernd Merbitz verspricht, jeden verfügbaren Polizisten auf die Straße zu bringen und sogar eine eigene Polizeifahrradstaffel aufzustellen.

Aber Thomas Fabian ist ein diplomatischer Mann. Den Streit mit der Polizei hat er nicht gewollt und nicht gesucht. Als Polizeipräsident Horst Wawrzynski nicht lockerließ, ließ er seine Stellung im Kriminalpräventiven Beirat stärken. Und auch die Umformulierung der 1999 vom Stadtrat beschlossenen drogenpolitischen Leitlinien sind ein Signal an die besorgten Ordnungshüter. Im Grunde wird nur das Wort Repression jetzt deutlicher betont. 1999 sprach man noch von “abgestimmten polizeilichen Maßnahmen”. Es war damals kein bisschen anders als heute: Man kann nur sinnvolle Präventionsarbeit machen, wenn man gemeinsam versucht, eine etablierte feste Szene zu verhindern und das Agieren der eigentlichen Profiteure, die 1999 beim sinnfälligen Begriff “Organisierte Kriminalität” genannt wurden, zu erschweren.

Aber das war 1999. Seitdem hat sich nicht die Leipziger Präventionspolitik verändert, sondern die sächsische Polizeiarbeit hat sich gravierend verschlechtert. Das ist den klugen Polizeipräsidenten sehr wohl bewusst. Bis 2005 hatten sie in Sachsen sogar noch flankierende Unterstützung bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK). Bis dahin hatte der Verfassungsschutz diese Aufgabe. Bis dann der Landtag beschloss, dem Verfassungsschutz diese Aufgabe zu entziehen. Was dann auf einmal den sächsischen Datenschutzbeauftragten auf den Plan rief, der die Vernichtung der Akten zur Organisierten Kriminalität beim Landesamt für Verfassungsschutz forderte. Und dann stellte sich heraus, wieviel brisantes Material in den rund 16.000 Blättern Papier zur OK gesammelt war – auch zu dem, was man nun seit einigen Jahren “Sachsensumpf” nennt.

Das Problem, über das seitdem niemand redet, ist: Es wurden keine entsprechenden zusätzlichen Einheiten zur Beobachtung der OK in Sachsen bei der Polizei gebildet. Man muss ja sparen. Und spart auch fleißig. Nicht erst seit der närrischen “Polizeireform 2020”. Auch vorher schon waren die Direktionen allesamt unterbesetzt, wurden zu wenige neue Polizisten eingestellt. 2007 verschärfte sich das Ganze. 2007 traten auch die östlichen Nachbarländer Sachsens dem Schengen-Raum bei, die Grenzkontrollen entfielen, die Bundespolizei wurde abgezogen. Und Sachsens Innenminister – damals war es noch Albrecht Buttolo – versprach hoch und heilig, die Kriminalität im Grenzraum würde sich nicht erhöhen. Sein Nachfolger Markus Ulbig tat es genauso. Die Zahlen sprechen vom Gegenteil. Offene Grenzen sind nicht nur neue Handelsräume für die Wirtschaft, sondern auch neue Tummelplätze für die Schattenwirtschaft.

Diebesbanden operieren mittlerweile genauso europaweit wie Müllverschicker und Rauschgiftdealer. Sachsen hätte seine Polizei im Bereich OK spätestens 2007 deutlich aufstocken müssen.

Aber man muss ja sparen. Und weil man die ministerielle Sparwut nicht so einfach verantwortlich machen kann für die lachenden Kriminellen im Land, wettert man lieber über die Drogenpolitik der Stadt.Und so betont das Sozialdezernat zu den neu formulierten Leitlinien in der Drogenpolitik: “Die Säulen der drogenpolitischen Leitlinien sind Prävention, Beratung und Behandlung, Maßnahmen zur Schadensminimierung, Repression, Kooperation und Vernetzung. Die Sucht- und Drogenpolitik der Stadt Leipzig befindet sich im Einklang mit der nationalen Strategie zur Sucht- und Drogenpolitik der Bundesregierung”, lässt Bürgermeister Fabian noch einmal betonen. Falls es einer in sächsischen Landesbehörden überlesen sollte. Denn die Kommunen sind es, die seit Jahren Erfahrungen sammeln darüber, was in der Bekämpfung des Drogenmissbrauchs funktioniert – und was nicht. Westdeutsche Städte haben ihre leidvollen Erfahrungen mit einer Hardliner-Politik, wie sie die Polizei gern anmahnt, alle schon hinter sich.

Doch die Sucht ist nun einmal fest eingebaut in die moderne Konsumgesellschaft. Die Kriminalpolizisten in Leipzig wissen das aus langjähriger Erfahrung selbst. Wo es Süchte gibt, findet sich immer ein dubioser Händler, der mit seiner Ware verspricht, die Süchte zu befriedigen. Gefangen werden in der Regel nur die kleinen Dealer, selten mal die Zwischenhändler, die mit ein paar Kilogramm Suchtmittel auf der Autobahn abgefangen werden.

Aber auch ein Sozialbürgermeister kann nicht einfach sagen: Dann stockt doch bitte endlich mal die entsprechenden Polizeiabteilungen auf! – Also formuliert es sein Dezernat wieder ganz freundlich: Die Drogenpolitik verfolge “einen integrativen Ansatz der Suchtpolitik, die sowohl legale als auch illegale Suchtstoffe einschließt. Die Leipziger Drogenpolitik erfolgt in interdisziplinärer Zusammenarbeit. Es gibt bewährte Netzwerke und Kooperationen zwischen Prävention, Suchthilfe und Repression. Die Bedeutung der Zusammenarbeit aller Beteiligten wird mit einer zusätzlichen Leitlinie besonders hervorgehoben.”

Und damit nicht gleich wieder das Feuer aus den Schützengräben der Politik aufflackert: “Die aktualisierten Leitlinien haben die ausdrückliche Zustimmung der Polizeidirektion Leipzig.”

“Mit diesen Leitlinien wurde eine Empfehlung der gemeinsamen Fachkommission von Polizei und Stadt umgesetzt”, erläutert Polizeipräsident Bernd Merbitz. “Sie bieten eine gute Grundlage für die praktische Arbeit. Drogenabhängige Menschen sollen Hilfe erhalten und die Bevölkerung muss vor Kriminalität geschützt werden. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe, bei der wir konstruktiv zusammenarbeiten werden.”

Womit man eigentlich genau wieder da ist, wo man auch 1999 war: beim Schulterschluss, ohne den es gar nicht geht.

Alles andere ist eigentlich Aufgabe der sächsischen Politik.

Auf der Grundlage der neuen Leitlinien soll noch in diesem Jahr ein mit allen Beteiligten abgestimmtes Suchtkonzept mit einem Maßnahmeplan vorgelegt werden, teilt das Sozialdezernat noch mit.

Der alte Text der drogenpolitischen Leitlinien von 1999: www.leipzig.de/imperia/md/content/53_gesundheitsamt/dropol_leitlinien_2004.pdf#search=%22drogenpolitische%22

Der neue Text der drogenpolitischen Leitlinien als PDF zum download.

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