Es sind nur Zahlen. Aber die Zahlen zeigen jenes Stück Wirklichkeit, das in offiziösen Verlautbarungen möglichst nicht auftauchen darf. In DDR-Zeiten wurde die Protokollstrecke des zur Messe einfliegenden Staatsratsvorsitzenden bis zur ersten Etage schön angemalt, damit er die bröckelnde Wirklichkeit nicht sah. Heute verstecken sich Politiker hinter Ausreden. Zum Beispiel dem Wort "betriebsinterne Daten". Als er das las, muss Dr. Dietmar Pellmann mit den Zähnen geknirscht haben.
Pellmann, sozialpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, fragt in seiner Funktion die sächsische Landesregierung Woche um Woche nach jenen Zahlen, nach denen er gar nicht fragen müsste, wenn die sächsische Staatsregierung auch nur so etwas ähnliches wie einen jährlichen Sozial- oder Armutsreport vorlegen würde. Selbst die Bundesregierung tut es, auch wenn sich der Vizekanzler ausbittet, die heftigsten Passagen ein bisschen redigieren zu dürfen. Fürst Potjomkin ist überall. Könnte man sagen, wenn Feldmarschall Reichsfürst Grigori Alexandrowitsch Potjomkin tatsächlich schuld wäre.
Aber selbst die Geschichte über Potjomkin ist ein Fake und eigentlich die Bestätigung deutscher Vorurteile über Russland. Es wird sogar noch besser: Es war der sächsische Gesandte Georg von Helbig, der die Anekdote in die Welt setzte. So fix ist man wieder in heimischen Potjomkinschen Dörfern. In denen immer öfter die Lichter ausgehen. Gleich zum Jahresanfang fragte Dietmar Pellmann die Staatsregierung nach den aktuellen Zahlen von Stromabschaltungen in Sachsen. Das Prozedere war eigentlich bekannt. Aber was Pellmann dann vom Wirtschaftsminister als Antwort bekam, war mehr als wenig. Im ersten Satz verwies der Staatsminister darauf, dass es zu Stromabschaltungen in Sachsen keine statistischen Daten gäbe. Als wenn die Regierung ihr Landesamt für Statistik jemals angewiesen hätte, diese Daten zu erheben. Das wäre der einfachere Weg. Jeder könnte die aktuellen Zahlen nachlesen und brauchte nicht erst den Minister zu fragen.
Und dann warf der Staatsminister dem fragenden Abgeordneten auch nur einen Knochen hin – die zusammengefasste Zahl für die drei Großstädte Dresden, Leipzig und Chemnitz: 13.568. Eine Zahl, die zwar verrät, dass die Zahl der Stromabschaltungen in den drei Städten gestiegen ist. Aber mehr auch nicht.Also stellte Pellmann eine schriftliche Nachfrage. Und die klang dann schon recht bissig: “Ist die Staatsregierung bereit, sich um eine aussagefähige Datenbasis zu Stromabschaltungen bei Privathaushalten zu bemühen?”
Die Antwort von Wirtschaftsminister Sven Morlok fiel dann etwas länger aus und er erklärte am 20. März dem fragenden Linksabgeordneten, dass die Regierung die Energieunternehmen bestenfalls nach § 49, Absatz 6 des Energiewirtschaftsgesetzes nach der Sicherheit der Erzeugeranlagen fragen dürfe. Das träfe aber auf die Zahl der Stromabschaltungen nicht zu.
Wahrscheinlich würde eine simple ministerielle Anweisung an die sächsischen Stromnetzbetreiber genügen, um jährlich die Zahl der Stromabschaltungen bei Privatkunden gemeldet zu bekommen. Denn eigentlich wäre es auch im Interesse von Stromversorgern und Landesregierung, die Probleme der Haushalte, denen die Energiepreise über den Kopf gestiegen sind, nachhaltig zu lösen. Es sei denn, beide hätten ein Interesse daran, dass die Sachsen im Dunkeln sitzen.
Aber das Wirtschaftsministerium sah sich durch die Nachfrage zumindest bewegt, die Gesamtzahl für die drei Großstädte auseinander zu nehmen. Das Ergebnis war entsprechend erhellend: In Dresden kam es demnach 2012 zu 3.000 Stromabschaltungen, in Chemnitz zu 2.097 und in Leipzig zu 8.471. Die Zahl für Leipzig alarmierte nun auch wieder die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat. Am Montag, 2. April, formulierte sie deshalb einen kleinen Fragenkatalog für die Leipziger Stadtverwaltung. Immerhin stieg ja die Zahl der Stromabschaltungen in den letzten Jahren, obwohl die offiziell gezählte Arbeitslosigkeit sank.
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1. Wie erklären sich die gravierenden Unterschiede in der Antwort des Sächsischen Staatsministers auf die Anfrage des Abgeordneten Dr. D. Pellmann zu den Stromabschaltungen 2012 in Leipzig im Vergleich zur Antwort auf die Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur selben Thematik in der Stadtratssitzung am 23.01.2013?
2. Wodurch erklärt sich die immense Anzahl von Stromabschaltungen in Leipzig (8.741) gegenüber der Stadt Dresden (3.000)?
3. Wird in der Verwaltung darüber nachgedacht, wie man die Anzahl der Stromsperren in Leipzig senken kann, bzw. wie eine weitere Steigerung der Stromabschaltungen in Leipzig angesichts steigender Strompreise verhindert werden kann?
4. Inwieweit können dabei die Stadtwerke Leipzig als Unternehmen der Daseinsvorsorge zur Versorgung einkommensschwacher Haushalte dienen?
Die Antwort des Sächsischen Wirtschaftsministers auf die Nachfrage von Dr. Dietmar Pellmann (Die Linke): http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=11435&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=2
Das Märchen von den Potjomkinschen Dörfern: www.zeit.de/2007/08/Stimmts-Potemkin
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