Es steht wieder einfach da: "Die Ratsversammlung nimmt die Information zur Kenntnis." Als wäre Leipzig nicht längst Sanktionshauptstadt in Sachsen. Am 15. Mai möchte das Dezernat Wirtschaft und Arbeit einfach das Nicken des Stadtrates zu seiner neuen "Zielvereinbarung mit der Geschäftsführung des Jobcenters Leipzig im Jahr 2013". Die ist sechs Seiten stark und erhöht auch noch den Druck auf die Arbeitssuchenden. Als wolle oder könne man weder im Jobcenter noch im Wirtschaftsdezernat umsteuern.

Am 8. April wurde das Papier erstmals in der Dienstberatung des OB thematisiert. Der Fachausschuss Wirtschaft und Arbeit hat sich am 16. April damit beschäftigt, im Fachausschuss Jugend/Soziales/Gesundheit und Schule steht es am 25. April auf der Tagesordnung. Es ist jedes Mal ein Doppel-Paket, das darin vereinbart wird. Nur dass sich auch der Leipziger Stadtrat so langsam Gedanken darüber machen sollte, wer hier mit wem einen Vertrag abschließt und ob es mit einer simplen “Informationsvorlage” eigentlich getan ist.

Denn damit überlässt das oberste Leipziger Gremium den Umgang mit immerhin 72.000 Leipzigern, die auf eine Grundsicherung angewiesen sind, einem Amt und einem völlig überforderten Jobcenter, das von zwei Seiten Druck bekommt – von einer Bundesregierung, insbesondere einer Arbeitsministerin, die ihren Kontrollzwang mit Zielvorgaben verbrämen, die da lauten “Verringerung der Hilfebedürftigkeit, Verbesserung der Integration in Erwerbstätigkeit, Vermeidung von langfristigem Leistungsbezug”. Da ein Großteil der eigentlichen Förderinstrumente in den letzten Jahren eingespart wurden, sorgt schon diese verkappte “Sorge” um die Erwerbslosen dafür, dass die MitarbeiterInnen des Jobcenters alles tun, um ihre “Kunden” in jede nur erdenkliche Maßnahme oder auch noch so prekäre Beschäftigung auf Zeit zu drücken. Das Druckmittel: Sanktionen.

Spielräume für eine wirkliche Berufsberatung und Qualifikationsstrategie, die gar noch in enger Kooperation mit dem seriösen Teil der Leipziger Wirtschaft geschieht, gibt es da nicht. Und der tatsächliche Druck steckt logischerweise in den Zielvorgaben: Wer unter “Ziel 1: Verringerung der Hilfebedürftigkeit” als Zielindikator die “Veränderung der Summe Leistungen zum Lebensunterhalt (LLU)” definiert, entlarvt seine Absicht eigentlich selbst. An kaum einer Stelle in diesem Abkommen zwischen Stadt und Jobcenter wird deutlich, dass es nicht darum geht, die im Arbeitsmarkt Benachteiligten nachhaltig und dauerhaft für eine Erwerbstätigkeit auf diesem Arbeitsmarkt zu qualifizieren, sondern nur darum, die Kosten zu drücken.

Das Ziel: 177,759 Millionen Euro an “Leistungen für den Unterhalt” im Jahr 2013 werden vereinbart. 2012 war man hier auf 176,348 Millionen Euro gekommen. Klingt erst einmal nach einer Zunahme der gewährten Gelder. Erst recht, wenn man liest, dass die Stadt sich “wünscht”, dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften von 43.161 im Jahr 2012 auf unter 42.000 sinken soll. Im März lag die Zahl der Bedarfsgemeinschaften bei 43.642. Dazu kommt, dass der Regelsatz auch 2013 wieder gestiegen ist – um 8 Euro auf 382 Euro. Das sind 2,13 %. Wenn man den Wert auf die Summe von 2012 aufschlägt, kommt man auf über 180 Millionen Euro, die eigentlich ausgezahlt werden müssten, wenn es nicht gelingt, die Zahl der Bedürftigen tatsächlich deutlich zu senken.

Aber gleichzeitig hat auch die Stadt ihre Sparvorgaben definiert. Sie will die Kosten der Unterkunft auf 150,0 Millionen Euro deckeln. 2012 waren das noch 148,9 Millionen Euro. Aber nicht nur Erwerbslose fürchten sich ja vor den happigen Nebenkostenabrechnungen, die da 2013 auf sie zurollen. Auch tausende Verdienerhaushalte werden in diesem Jahr beim Urlaub sparen müssen, weil Strom und Heizung teurer wurden. 6 Prozent mehr kostete Haushaltsenergie 2012 als im Vorjahr. Am heftigsten war die 12prozentige Steigerung beim Strom. Und viele “Kunden” des Jobcenters bleiben nach wie vor auf die Kosten der Unterkunft (KdU) angewiesen, auch wenn sie in eines der prekären Arbeitsverhältnisse vermittelt werden, mit denen das Jobcenter seine “Vermittlungsquote” erfüllt.

Die Stadt hat ja 2012 ihre Sätze für die KdU zähneknirschend angehoben. Bei der Nettokaltmiete von 4,22 auf 4,46 Euro.

Und was passiert, wenn es den VermittlerInnen nicht gelingt, die Zahl der Bedarfsgemeinschaften unter die 42.000 zu drücken? – Naja, sagte Genosse Lenin: Noch mehr Kontrolle kann nicht schaden. Also führt man als neues Kontrollinstrument ein “KdU-Controlling” ein.Nicht nur die drei rigiden Zielvorgaben der Bundesregierung werden ja mit Zielvorgaben untersetzt, auch die Wünsche der Stadt zur Senkung der ihrerseits anfallenden Kosten.

Und wenn man genau hinschaut, ziehen Wirtschaftsdezernat und Jobcenter in diesem Jahr die Daumenschrauben noch weiter an. Die neu dazu gekommenen Zielvorgaben haben es in sich. Man will sich nicht wirklich darum kümmern, Qualifikation und Beschäftigungsangebot zu verbessern. Nur das wäre wirklich nachhaltig. Aber das Wort “Aktivieren” ist den Sachbearbeitern irgendwie im Ohr geblieben, seit vor elf Jahren angefangen wurde über die Re-Integration von Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt zu diskutieren. Hinter dem Wort steckt genau das, was die Bundesagentur für Arbeit stets behauptet, es gehöre nicht zu ihrem Denken: die Unterstellung, die Betroffenen würden sich nicht selbst um einen neuen Job bemühen. Dass es eine gewisse Klientel derer gibt, die sich nicht mehr integrieren wollen – keine Frage. Aber bei denen helfen auch keine “Aktivierungsprogramme”.

Für die anderen dürfte das neu formulierte Monitoringziel “Aktivierung je Kunde innerhalb von 24 Monaten steigern” durchaus bedrohlich klingen. Zwar gibt das Gesetz nicht vor, dass Menschen, die einer “Eingliederungsvereinbarung” nicht zustimmen, dafür bestraft werden dürfen. Aber es ermöglicht den SachbearbeiterInnen, diesen Menschen dann ein verbindliches Angebot zu machen. Wenn sie sich dem verweigern, kann in der Interpretation des Jobcenters Leipzig sanktioniert werden. Und das wird ja auch fleißig getan.

Die Krux an diesem neuen Monitoringziel: Es ist sinnlos, wenn die notwendigen Qualifizierungselemente für den realen (und nicht den subventionierten) Arbeitsmarkt fehlen. Die Drohung steht dann auch in einer ersten vagen Beschreibung dieses Monitoringziels: “Erfahrungen der Aktivierung aus den Beschäftigungspakten 50plus und der Bürgerarbeit sollen in das Regelgeschäft übernommen werden.” Etliche Derjenigen, die Bürgerarbeit in Leipzig erlebt haben, können ein Lied von dieser organisierten Sinnlosigkeit singen.

Und auch der Rest der üblichen Angebote ist eigentlich eine Katastrophe. Das weiß man im Jobcenter auch. Sonst hätte man nicht das Monitoringziel “Integration in sv-pflichtige Beschäftigung mit einer Dauer von mindestens 6 Monaten” formuliert. Denn viele der so fleißig abgerechneten “Integrationen” waren und sind nichts anderes als kurzfristige Aushilfsjobs, zumeist noch mit diversen Instrumenten des Jobcenters gefördert. Laufen die Instrumente aus, läuft auch die Maßnahme aus. Die Betroffenen landen wieder bei ihrem Berater – das Unternehmen aber besorgt sich so im Schnelldurchlauf immer wieder neue subventionierte Arbeitskräfte.

Es kann spannend werden, wie Jobcenter und Wirtschaftsdezernat es schaffen wollen, diesen Tatbestand zu verändern.

Und nicht nur einige Unternehmen haben sich darauf spezialisiert, die “Kunden” des Jobcenters als Billigarbeitskräfte durchzuschleusen. Die Angebote der Stadt Leipzig sind nicht die Bohne besser. Und auch das weiß man im Jobcenter – sanktioniert aber trotzdem, wenn die Betroffenen nach der dritten und vierten Runde durch diese Sinnlos-Beschäftigungen streiken. Wer sich weigert, wird sanktioniert.

Aber was tun? – Ein neues Ziel formulieren: “Qualität der öffentlich geförderten Beschäftigung verbessern”. Das wird dann etliche Betroffene, die schon einmal der Praxis im Kommunalen Eigenbetrieb Engelsdorf (KEE) begegnet sind, erst recht erschrecken. Denn wirklich verbessern will man die öffentliche Beschäftigung ja nicht. Das wäre ja eine Revolution. Im Gegenteil, man ist zutiefst überzeugt, dass man das eh schon Praktizierte nur noch intensiver praktizieren muss. Der Text aus der Zielvereinbarung: “Um die Heranführung der Teilnehmenden an sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen zu verbessern, wird erstmals durch das Jobcenter für 2013 für einen Teil dieses Personenkreises ein personenspezifisches Coaching ausgeschrieben. Ziel ist die zum Marktersatz ergänzende Begleitung und Betreuung von Teilnehmer/-innen. Damit sollen aktiv und möglichst beim jeweiligen Beschäftigungsträger Vermittlungshemmnisse festgestellt, verringert bzw. beseitigt werden. Das Jobcenter kann hier von Erfahrungen des kommunalen Beschäftigungsträgers KEE im Coaching profitieren. In dem von der Stadt Leipzig initiierten Modellprojekt konnten Vermittlungsquoten von ca. 20 % erreicht werden.”

Es steht nur nicht da, wohin vermittelt wurde.

Die Zielvereinbarung zum Nachlesen: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/37C18B67ED2CA947C1257B440039EB4D/$FILE/V-ds-2936-text.pdf

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar