Der Leipziger Stadtrat spricht sich auf Initiative der Linken für einen Gedenkstein zur Erinnerung an die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins ADAV am 23. Mai 1863 in Leipzig aus. Bedingung für die Errichtung eines Gedenksteines durch Dritte sei die "parteipolitische Neutralität der inhaltlichen Hauptaufschrift", so der Stadtrat.
So dekonstruiert man geschichtspolitische Erzählungen. Nach dem Willen des Leipziger Stadtrates soll die Stadt Leipzig die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) am ehemaligen Standort des Versammlungslokals Pantheons an der Dresdner Straße 20/Ecke Gerichtsweg würdigen.
So weit, so gut. Denn die Arbeiterbewegung stellt eine der wichtigen sozialen Phänomene klassischer Industriegesellschaften dar. Sie ist als Emanzipationsbewegung eine der wichtigen Quellen jeder modernen Demokratie. Und das nicht nur in ihrer parteipolitischen Ausprägung. Dass mit der Gründung des ADAV ein weiteres zentrales Datum der Etablierung der modernen deutschen Gesellschaft in der Messestadt stattfand, sagt viel aus über den Pioniergeist an diesem Ort.
Der Stadtratsbeschluss vom 17. April 2013, von der Fraktion der Linken angeregt, setzt zugleich auf Subsidiarität. Denn die Stadtverwaltung könne es alternativ Dritten gestatten, einen solchen Gedenkstein zu errichten.
“In der Verhandlung des Gestattungsvertrages macht die Stadt die parteipolitische Neutralität der inhaltlichen Hauptaufschrift zur Bedingung für dessen Abschluss”, beschlossen die Stadträte mit breiter Mehrheit.
Linken-Stadtrat Marco Götze sieht das Stadtratsvotum als rundherum positiv. “Leipzigerinnen und Leipziger, Gewerkschafter, politische Parteien sowie Gruppen und Personen, die sich gleichfalls in der Tradition des ADAV sehen, haben die Möglichkeit, sich mit einem neutralen Gedenkstein jenseits von Parteipräferenzen zu identifizieren”, erklärt der Stadtrat. Darin habe das zentrale geschichtspolitische Anliegen des Linken-Antrages bestanden. Fern parteilpolitischer Befindlichkeiten habe der Antrag eine “breite Zustimmung” im Stadtrat erfahren, hebt Götze hervor.
Und damit wird es zumindest dialektisch. Denn Ziel der ADAV-Gründung war die Bildung einer politischen Partei. Allerspätestens seit 1963 begreift die SPD (West) die ADAV-Gründung vom 23. Mai 1863 als ihren offiziellen Geburtstag. Das passte damals in Westdeutschland bestens in die Zeit. Mit der Berufung auf die von Ferdinand Lassalle (1825 – 1864) entscheidend geprägte Parteigründung konnte man sich gleichermaßen nichtmarxistisch, wie staatstragend geben. Für eine Partei, die getragen vom antikommunistischen Grundkonsens der Bundesrepublik endlich an die Regierungsmacht wollte, war das eine doppelt passende Traditionslinie.
Diejenigen, von denen man sich damit abgrenzen wollte, erhoben weiland keinen Anspruch auf das Lassallesche Erbe. Wiewohl sich DDR und SED als die eigentlichen Testamentsvollstreckerinnen der Arbeiterbewegung und der stark marxistisch geprägten Vorkriegssozialdemokratie verstanden: Den Lassalle konnten Brandt, Wehner und Genossen im Westen gern für sich allein haben.
Ein halbes Jahrhundert, eine deutsche Revolution nebst Wiedervereinigung sowie verschiedene “Parteibildungsprozesse” auf der Linken später sieht das anders aus. Die ADAV-Gründung reklamiert Leipzigs Linken-Fraktionschef Sören Pellmann als “Bestandteil der Tradition der Linken”.
Das erklärt den Stadtratsbeschluss, der jeden Errichter eines ADAV-Gedenksteins zur “parteipolitischen Neutralität” verpflichtet. Im Klartext: Ganz parteipolitisch neutral darf also nun die SPD Sachsen, die einen solchen Stein errichten will, auf ein Datum hinweisen, das sie als Gründung der eigenen Partei begreift.
Sachsens SPD-Generalsekretär Dirk Panter scheint mit dem Stadtratsbeschluss zufrieden. “Durch den Beschluss kann die SPD den Gedenkstein wie geplant errichten. Gerade Beschlusspunkt zwei besagt nichts anderes, als das was die SPD ohnehin vorhatte”, so Panter zur L-IZ. Von daher sei der Linken-Antrag aus Panters Sicht nicht notwendig gewesen.
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“Da sich der bisherige Entwurf ohnehin noch in der parteiinternen Abstimmung befand, kann ich keine Aussage dazu treffen, ob sich durch diesen Beschluss am Text der Erinnerungstafel etwas geändert hätte”, erklärt Panter weiter. Selbstverständlich werde die SPD den Text der Stadtverwaltung vorab zur Kenntnis geben. “Wir gehen fest davon aus, dass es gegen die Hauptaufschrift keinen Widerspruch geben wird”, ist Panter zuversichtlich.
Na dann. Einer Partei wird also per Stadtratsbeschluss parteipolitische Neutralität verordnet. Das wirkt in etwa so, als würde die Evangelische Kirche in Deutschland beauflagt, das Reformationsjubiläum 2017 ganz konfessionsneutral auszugestalten. Womöglich solle sie dazu den maßgeblichen Reformatoren Martin Luther (1483 – 1546) als papsttreuen Augustinermönch darstellen. Erfurt statt Wittenberg sozusagen.
Oder muss 2015 das 150-jährige Jubiläum des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins ADF an Elster und Pleiße per Stadtratsbeschluss ganz geschlechterneutral begangen werden? Der ADF entstand am 18. Oktober 1865 übrigens ebenfalls in Leipzig.
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