Wenn man von einer barrierearmen Stadt spricht, dann meint das zwar zuerst die verkehrstechnischen Barrieren - bei einigen Verkehrsplanern dann gern mal als "altersgerecht" gedacht. Aber wer Barrieren in eine Stadt baut, der behindert nicht nur ältere und immobilere Menschen. Der setzt auch Zeichen, schottet Räume ab, schafft Räume für (PS-)Stärkere und Nischen für die Schwächeren. Und grenzt damit Bevölkerungsgruppen aus. Nicht nur die Alten.
Von einer Untersuchung der Stadt Stuttgart ließ sich Anna Rahmig anregen, einmal die Segregations- und Isolationsindizes für Leipzig auszurechnen. Im neuen Quartalsbericht 4/2012 findet man die komplizierte Formel, die sie angewendet hat, um auszurechnen, wie sich der Anteil der über 65-Jährigen, der über 75-Jährigen und der Ausländer in den Ortsteilen unterscheidet. Sie schickt dem Ganzen die Karte mit der Bevölkerungsentwicklung seit 2001 voraus. Denn dass Leipzig sich verändert, hat ja vor allem mit dem Zuzug junger Leute zu tun, die vor allem ins Zentrum der Stadt drängen. Was logischerweise dort den Anteil junger Menschen überproportional steigen lässt – der der Älteren und Alten sinkt scheinbar. Selbst wenn die Älteren gar nicht fortziehen.
Parallel dazu aber nimmt der Anteil der älteren Menschen in Leipzig von Jahr zu Jahr zu. Das heißt: In jenen Stadtteilen, in denen es kaum Zuzug junger Menschen gibt, steigt rein statistisch der Altenanteil. Ohne dass auch nur irgendjemand “verdrängt” wurde, zum Umziehen gezwungen. Segregation ist ein schleichender Prozess, der auch ohne Umzugswagen und grimmige Vermieter passiert. Je älter Menschen werden, um so mehr hängen sie an ihrer gewohnten Umgebung, ihrer Wohnung, ihrem Stadtteil. Es sind die Jungen, die aller paar Jahre mit wachsendem Hausrat umziehen, sich immer neuen Lebenssituationen anpassen.
Das Ergebnis ist auf den Karten der Stadt Leipzig sichtbar und nach wie vor kein “Verdrängungseffekt”: Im kompletten Stadtkern, wo jüngst OBM Burkhard Jung seine besten Wahlergebnisse erzielte, sind die über 65-Jährigen unterrepräsentiert. Anne Rahmig hat auch die Zahlen für das Jahr 2000 ausgerechnet, das Jahr, in dem der Leipziger Bevölkerungszuwachs erst so langsam in Schwung kam. Damals waren die über 65-Jährigen im ganzen Stadtgebiet noch recht gleichmäßig vertreten. Nur in wenigen Ortsteilen wurde eine Überrepräsentation sichtbar. Das Bild ist fast identisch mit dem der über 75-Jährigen – was darauf hindeutet, dass hier vor allem Ortsteile mit größeren Altersheimen bzw. Seniorenresidenzen hervorstechen.
Und relativ ähnlich sind auch die Lokationskarten mit den über 65- und 75-Jährigen im Jahr 2012. Nur dass jetzt komplette Siedlunsgebiete am Stadtrand dunkelgrün eingefärbt sind – zu denen auch die großen Plattenbausiedlungen wie Grünau, Heiterblick und Mockau-Nord gehören, alle bekannt für die Wohnzufriedenheit ihrer Bewohner. Man landet dort nicht, weil man alt ist – sondern man bleibt da. Während es die jungen Leute nach wie vor in die innere Gründerzeitsubstanz zieht. Es gibt zwar aktuell den Trend zu einer leichten Segregation. Alarmierend aber, so Leipzigs Statistiker, ist daran nichts.
Eher ist es ein Abbild der doch recht kurzfristigen Veränderungen, die Leipzig in den vergangenen 24 Jahren durchgemacht hat. Die Älteren werden auch (noch) nicht durch überhöhte Mietpreise aus der Innenstadt verdrängt, teilweise ist ihre Rente auch noch deutlich höher als die Einkommen der jüngeren Jahrgänge. Eher ist die Frage: Wie gut sind die historischen Stadtviertel auf eine zunehmend ältere Bevölkerung eingerichtet – denn die, die heute jünger sind, werden ja irgendwann auch bodenständig, wollen in ihrem gewohnten Ortsteil bleiben, der dann wohl Schleußig, Südvorstadt, Reudnitz heißt. Und auch heute schon zieht es nur eine Minderheit der Älteren in eine betreute Altersunterkunft. Viele möchten in ihrer angestammten Wohnung bleiben und lassen sich lieber von einem Pflegedienst betreuen.
Auch dazu gibt es einen eigenen Beitrag im Quartalsbericht – “Pflegebedürftige Personen in Leipzig 2011” von Heidrun Schellbach. Die so nebenbei erwähnt, wo in Leipzig aktuell tatsächlich neue Arbeitsplätze entstanden sind und weiter entstehen: “Die steigende Zahl der Pflegebedürftigen setzt ein entsprechendes Pflegepotenzial voraus. So erhöhte sich die Zahl der ambulanten Pflegedienste von 96 im Jahr 2009 auf 108 im Jahr 2011. Die Beschäftigtenzahl erhöhte sich um 510 auf 2.358 Personen.”
Wer dann in den Jubelmeldungen der Arbeitsagentur nachschaut, welche anderen Branchen derart neue Arbeitsplätze geschaffen haben, wird keine finden – mit Ausnahme vielleicht noch der zunehmenden Zahl von Tageseltern, die die Kita-Platz-Not in Leipzig lindern. Das sind die Wachstumsbranchen.
Aber es gehört an dieser Stelle auch zusammen: Wer Stadtviertel barrierefrei umbaut, der baut für alle Generationen – auch für die jungen Familien mit Kindern. Und mindert damit auch die zunehmende Segregation. Aktuell liegt der Segregationsindex in Leipzig für die Senioren zwischen 0,2 und 0,25. Das ist ein Wert, der sich am Durchschnitt bemisst – damit überall im Stadtgebiet ein gleich hoher Seniorenanteil ist, müssten 22 Prozent der Senioren umziehen. Was natürlich Unfug ist. Es ist nur ein Zeichen dafür, dass die Älteren eben nicht schön gleichmäßig verteilt sind in der Stadt.
Genauso wie die Ausländer, die schon traditionell eher innenstadtnahe Ortsteile bevorzugten. Hier sind Wege kürzer, sind mehr Andockpunkte. Denn noch stärker als bei den Älteren ist bei den Ausländern zwangsläufig der Effekt der Isolation – sie haben mit Sprachbarrieren zu kämpfen, aber leider auch mit amtlichen und wirtschaftlichen. Ihr Isolationsindex ist doppelt so hoch wie der der Senioren. Bis 2004 ist er auch kontinuierlich angestiegen. Seitdem stagniert er eher auf hohem Niveau.
Das Bemühen der Stadt um eine dezentralere Unterbringung der Asylsuchenden wird die Isolationskennziffer vielleicht ein wenig senken. Die Auflösung der zentralen Unterbringung in der Torgauer Straße hat diesen Isolationspunkt schon deutlich abgeschwächt.
Das strenge Zahlenwerk der Statistiker: Leipzigs Quartalsbericht Nr. 4/2012 ist da
Der neue Statistische Quartalsbericht …
Leipzigs Quartalsbericht Nr. 4/2012 (2): Die neuen Pionierviertel und das Wandern der Studierenden
Leipzig wächst. Der Zuzug hielt …
Ortsteilkatalog 2012 erschienen: Wachsende Gründerzeitquartiere und ein wachsendes Dilemma am Rand
344 Seiten, fast 100.000 Daten …
Und da sie in der Regel das komplette Innenstadtgebiet bevorzugen, gibt es bislang auch nur wenige Ortsteile, in denen der Ausländeranteil die Werte westdeutscher Großstädte erreicht. Das empfinden die Leipziger nach wie vor als exotisch – aber es ist auch eine Chance, jetzt den eigenen Integrationsmotor auf Touren zu bringen. Denn zur Bereicherung der Stadt werden die Migranten aus aller Welt erst dann, wenn sie sich in Arbeit, Bildung, Teilhabe in die Stadtgesellschaft einbringen können.
Der Ortsteil mit der höchsten Ausländerquote war 2012 übrigens Zentrum-Südost mit 23 Prozent. Hier sind viele ausländische Studierende zu finden. Volkmarsdorf ist dahinter die Nr. 2 mit 21,6 Prozent Ausländeranteil, gefolgt von Neustadt-Neuschönefeld mit 20 Prozent und der City selbst mit 17,3 Prozent. Werte von über 10 Prozent findet man auch noch in der Westvorstadt und in der Nordvorstadt. Der Stadtdurchschnitt betrug Ende 2012 offiziell 5,6 Prozent. Und zwar nach Einwohnerregister, wo die Zahlen eine ganze Ecke genauer und verlässlicher sind als in der amtlichen Hochrechnung der Landesstatistik.
Und die Statistik verrät auch, warum in Schleußig die jungen Eltern mittlerweile so richtig sauer reagieren auf die unbewältigte Wildparkerei: 10,2 Prozent aller Schleußiger sind jünger als 6 Jahre. Das ist der höchste Wert in ganz Leipzig. Kein anderer Stadtteil kommt in diese Dimensionen.
Die nächstfolgenden haben Werte von 8,8 Prozent (Waldstraßenviertel), 7,7 Prozent (Südvorstadt) und 7,6 Prozent (Lindenau und Gohlis-Süd). Womit wir auch ganz kurz die derzeitigen “Boomviertel” der jüngeren Stadtentwicklung benannt haben, wo das Kita-Problem schon eine Weile heftig brennt und das Schulproblem gerade so richtig am Hochkochen ist.
Das Meiste, was man zur Stadtplanung eigentlich braucht, ist aus den detaillierten Daten des Einwohnermelderegisters ablesbar. An den Leipziger Statistikern liegt es nicht, wenn es nicht frühzeitig angepackt wird. Dann schon eher am Geld.
Und da war diesmal auch das Finanzdezernat fleißig mit einem Beitrag zur Leipziger Schuldenentwicklung.
Mehr dazu morgen an dieser Stelle.
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