Es gibt ja noch Fraktionen im Stadtrat, die können sich wundern. Denn Manches ist ja wundersam. Etwa die Wort-Bild-Marke zum 1.000-jährigen Jubiläum der Ersterwähnung Leipzigs im Jahr 2015: Die "1.000" sieht aus wie ein stilisierter Hummelflug in den Farben Gelb, Grün, Blau (wobei der Betrachter rätseln kann, woher das Grün kommt). Und der Slogan erinnert irgendwie an die jüngste OBM-Wahl: "Wir sind die Stadt."

“‘Wir sind die Stadt’ – das ist die Botschaft, unter der Leipzig das Festjahr 2015 zum Anlass seiner urkundlichen Ersterwähnung im Jahre 1015 stellen wird”, teilte die Stadtspitze am 25. März dazu mit. Oberbürgermeister Burkhard Jung und Bürgermeister Torsten Bonew als Beauftragter “Leipzig 2015” der Stadt, gaben heute an diesem Tag den siegreichen Entwurf und die Sieger des Agenturwettbewerbs für Logo und Claim bekannt, den die Stadt ausgelobt hatte. Schöpfer der Bildmarke, die am Ende die Jury überzeugte, ist die Agentur MinneMedia (Leipzig und Dresden).

“Die Wortmarke wurde von der Agentur Brandung (Leipzig) kreiert”, betont die Stadtverwaltung.

Wobei das eigentlich unlesbare Wort kreieren ursprünglich auf Kreation, die “Schöpfung” zurückgeht. Auf schöpferische Kraft, die Fähigkeit, Neues zu schaffen.

Aber irgendwie hat man sich ja schon während des OBM-Wahlkampfes ein wenig gekringelt über dieses unheimliche Wir-Gefühl in den Plakaten Burkhard Jungs: “Leipzig. Unsere Stadt.” Das findet sich hier wieder, auch weil es aus derselben Agentur kommt.

Nur werden sich diesmal die Leute aus dem Hause Springer an den Kopf fassen, denn diesen Slogan verwenden sie ja am liebsten, wenn es richtig groß zur Sache geht. Die besten Beispiele aus den letzten Jahren: “Wir sind Weltmeister!” (1990) und “Wir sind Papst!” (2005). Leichte Abwandlung von dem 1989 mal gehörten “Wir sind das Volk!”

Nun also: “Wir sind die Stadt.”

“Ich finde das Ergebnis ausgesprochen geglückt”, kommentierte Oberbürgermeister Burkhard Jung das Ganze. “Die Botschaft mit ihrem bewussten Anklang an die Friedliche Revolution von 1989 ist prägnanter Ausdruck des wachen Bewusstseins für die eigene Herkunft, für den Mut und das zivilgesellschaftliche Engagement der Leipzigerinnen und Leipziger. Und Leipzig ist Inbegriff der europäischen Stadt. Das Festjahr soll ein Katalysator für die Entwicklung unserer Stadt in den nächsten Jahrzehnten sein: Wachstum. Vielfalt. Nachhaltigkeit.”
Torsten Bonew ergänzte: “Das Festjahr ruht auf vier Säulen: Bürger, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft. Dem entsprechen die bisherigen vier Subclaims: ?Wir atmen Freiheit’, Wir leben Kultur’, ?Wir schöpfen Werte’ und ?Wir teilen Wissen’. Im Festjahr soll sich Leipzig als organische Verbindung aus großer Vergangenheit, aufregender, weltoffener Gegenwart und vielversprechender Zukunft präsentieren. Die Schwerpunkte lauten: Handels- und Messestadt, Stadt des Geistes und der Künste, Musikstadt, Buch- und Verlagsstadt, Stadt großer wirtschaftlicher und architektonischer Blüte, Stadt der Arbeiter- und der Frauenbewegung, Sportstadt, Stadt der Friedlichen Revolution und junge, kreative Stadt. Dabei möchten wir möglichst viele Menschen erreichen und bewegen, indem wir an Bürgersinn, Bürgerfleiß und Bürgerstolz appellieren.”

Der Agenturwettbewerb wurde im November 2012 gestartet. Zehn Leipziger Agenturen waren dazu eingeladen, sieben beteiligten sich. Von den 18 eingereichten Logos und Claims kamen je vier in die Vorauswahl. Am 8. März entschied dann die Jury. Die Finalisten wurden zuvor durch das unabhängige Institut für Marktforschung Leipzig evaluiert. Befragt wurde in Leipzig, Dresden und Hannover zum Gefallen der Entwürfe, zu Gedanken und Empfindungen, die sie bei den Probanden auslösen, zur generellen Akzeptanz sowie zur Innen- und um Außensicht. Basierend auf den Ergebnissen der Marktforschung machten am Ende MinneMedia und Brandung das Rennen, so teilt die Stadt mit.

Aber dass ausgerechnet die Agentur Brandung mit ihrem “Wir”-Slogan aufs Plakat kam, verwunderte die Fraktion der FDP. Die reichte gleich am nächsten Tag ein Paket von Nachfragen ein, die sie gern am 17. April in der Ratsversammlung beantwortet haben möchte.

Die Fragen:

1. Im Impressum der offenbar in einer Auflage von 255.000 Exemplaren produzierten Wahlkampfzeitschrift von Burkhard Jung “LEIPZIG – UNSERE STADT” wurde für die Gestaltung die Internetseite der Agentur Brandung angegeben. Handelt es sich bei dieser Agentur um die gleiche Agentur, die in der Pressemitteilung der Stadt Leipzig zur Wort-Bild-Marke genannt wurde?

2. Wenn Frage 1 mit Ja beantwortet wurde: Wie hoch ist die Vergütung, die die Agentur Brandung für den Auftrag zum Festjahr erhalten hat bzw. erhalten wird?

3. Wenn Frage 1 mit Ja beantwortet wurde: In welchem Umfang erhielt die Agentur in den Jahren 2011 und 2012 insgesamt Aufträge von der Stadt Leipzig?

4. Aus welchem Grund wurde die Farbe GRÜN, die bekanntlich keine Farbe der Stadt Leipzig ist, für die Gestaltung der Wort-Bild-Marke genutzt?

5. Gab es Überlegungen, über einen Marktforschungstest hinaus, die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Leipzig über die Markenentwürfe entscheiden zu lassen – bspw. im Rahmen einer Online-Umfrage? Wenn ja: Warum wurden diese verworfen? Wenn nein: Warum nicht?

6. Mit der Wort-Bild-Marke ist nunmehr eine weitere Wort-Bild-Marke für die Kommunikation der Stadt Leipzig geschaffen worden. Andere Beispiele sind: “Leipzig 2020”, “Leipzig weiter denken”, “ASW – Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung”, “Verfügungsfonds”, “Familienfreundliches Leipzig”, “Familieninfobüro” etc. Da diese Marken gestalterisch ohne Verbindung zueinander nebeneinander genutzt werden, fragen wir: Wann wird die Stadt Leipzig ein eigenes Corporate Design erstellen lassen, in dem alle gestalterischen Angelegenheiten vom Wappen, Stadtlogo und Bürgerlogo über die Gestaltung von Wort-Bild-Marken bis hin zu Visitenkarten, Briefpapier, Präsentationen, Broschüren, Plakaten, Gestaltung von Internetauftritten und Messeständen etc. eindeutige Regelungen getroffen werden?

Sofern einzelne Fragen zum Schutz von vertraulichen Daten nichtöffentlich beantwortet werden müssen, bitten wir um nichtöffentliche Beantwortung nur dieser Anfragenteile und darüber hinaus um öffentliche Beantwortung der anderen Punkte, so die FDP-Fraktion.

Bleibt nur noch die Frage: Warum eigentlich nicht “Ihr seid die Stadt!”? Mal als kleines Eingeständnis, dass die Bürger und ihre Verwaltung nicht immer ein Herz und eine Seele sind und die Verwaltung sich mal ab und zu dessen bewusst ist, dass sie die Bürger nur vertritt – nicht ersetzt. Mal so als Gedanke. Es könnte auch der kleine Schritt dahin sein, die Leipziger etwas mehr einzubeziehen in die wesentlichen Entscheidungen. So ein bisschen, wie es die FDP vorschlägt: Abstimmen lassen. Und wenn es nur eine Wort-Bild-Marke ist. So schafft man Akzeptanz.

Aber wem erzählen wir das?

www.minnemedia.de

www.brandung-online.de

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