"Stuttgart 21" ist überall. Nicht nur in Stuttgart. Auch in Leipzig, Bautzen oder Jena. In Jena heißt es "Eichplatz", ein beliebter Platz mitten im Stadtzentrum, der nach dem Willen der Stadtväter ganz väterlichst zum Ort eines neuen Einkaufs-Centers werden soll. Bauherr: ECE, eine Tochter des Otto-Konzerns. Sie hat eine eigene Lobby-Stiftung. "Lebendige Stadt" heißt sie. Verschiedene Oberbürgermeister und Minister sind Mitglied im Stiftungsbeirat. Unter anderem auch Leipzigs OBM Burkhard Jung.
Die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat will jetzt gern wissen, warum er da sitzt. Und nicht nur er. Stellvertretender Kuratoriumsvorsitzender ist Wolfgang Tiefensee, Bundesminister a.D. und Leipziger Bundestagsabgeordneter. Auch Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup, Leipzigs ehemaligen Planungsbeigeordneten und jetzigen Aufsichtsratsvorsitzenden der LWB findet man da in illustrer Gesellschaft etwa der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz, des brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck, des sächsischen Innenministers Markus Ulbig.
Im Kuratorium findet man auch noch Dr. Wolfgang Schuster, bis Januar Oberbürgermeister von Stuttgart. Er war nicht nur ein Befürworter von “Stuttgart 21”, sondern auch für das Projekt, um das es einigen Akteuren, die den Tiefbahnhof unbedingt gebaut haben wollen, eigentlich auch geht – das Quartier obendrüber, das auf einem Teil des alten Güterbahnhofs entstehen soll: das “Quartier am Mailänder Platz”. Sogar eine Namenssuche hat ECE dafür in Stuttgart gestartet. “Milaneo” soll der neue Einkaufsgigant heißen, gegen den Händler der Stuttgarter Innenstadt vergeblich protestierten.
Es geht nicht nur Leipzig so, dass mit erstaunlicher Leichtigkeit völlig überdimensionierte Einkaufs-Giganten mitten in innerstädtische Strukturen eindringen. In Leipzig hat freilich nicht ECE den jüngsten Giganten hingesetzt, sondern mfi. Aber die Ideenentwickler dieser Einkaufs-Center im Herzen der Großstädte gehen überall nach dem selben Strickmuster vor. Und machen vorher, bevor auch nur der erste Architektenwettbewerb stattfindet, fleißig Lobbyarbeit. Darüber haben etliche große Zeitungen schon berichtet.
Auch über die ECE und ihre Lobby-Stiftung “Lebendige Stadt”, die zuletzt in Jena bei den Planungen für den Eichplatz in die Diskussion geriet. Auch weil der Jenaer OBM Albrecht ebenfalls Mitglied im Stiftungsbeirat “Lebendige Stadt” war.Welche Rolle Oberbürgermeister da eigentlich spielen, das will jetzt die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat genauer wissen. Am 14. Februar reichte sie ihre Anfrage “Mitwirkung in Lobby-Stiftung ‘Lebendige Stadt'” ein. In der Stadtratssitzung am 20. März möchte sie von Burkhard Jung gern ein paar Auskünfte haben.
“Ziel der Stiftung ist es, innovative Stadtentwicklung und Projekte mit Vorbildcharakter zu sichten, zu bewerten und ggf. zu prämieren. Jedoch ist die Stiftung im Zuge des geplanten ECE-Projektes ‘Quartier am Mailänder Platz’ im Rahmen des Großprojektes ‘Stuttgart 21’ nach Veröffentlichungen im Handelsblatt in die Kritik gekommen. Aus diesem Grund musste die Landesverkehrsministerin Tanja Gönner ab Oktober 2010 ihre Mitgliedschaft im Stiftungsrat ruhen lassen. Hintergrund sind mögliche Interessenkonflikte, da ECE die Stiftung dazu nutzen kann, das Image großer (ECE-)Einkaufszentren in Innenstädten aufzubessern”, heißt es in der Anfrage. “Für viele Städte steht der begründete Vorwurf im Raum, dass derartige Shoppingmalls die Innenstädte veröden würden, wenn dem nicht durch integrierte Stadtentwicklungskonzepte wie in Leipzig entgegengetreten würde.”
Und so fragt die Linke:
1. Welche Beweggründe haben den Oberbürgermeister veranlasst, im Stiftungsrat der Stiftung “Lebendige Stadt” mitzuarbeiten?
2. Welche politischen Ziele verbindet der Oberbürgermeister mit diesem Posten?
3. Wie vereinbaren sich die Ämter als Oberbürgermeister der Stadt Leipzig und als Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung “Lebendige Stadt”?
4. Wie ist gesichert, dass keine Interessenkonflikte bei Prof. Engelbert Lütke Daldrup mit seiner Tätigkeit als LWB-Aufsichtsratschef und Mitglied des Stiftungsrates “Lebendige Stadt” entstehen können?
5. Welche Investitions- und Bauvorhabenanfragen der ECE-Centermanagement-AG gibt es neben den bereits in den 1990er Jahren realisierten Großprojekten Einkaufszentrum “Promenaden” im Hauptbahnhof und dem Einkaufszentrum “Allee-Center” in Leipzig-Grünau gegenüber der Stadt Leipzig?
6. Welche Investitions- und Bauvorhabenanfragen der ECE-Centermanagement-AG hat es bisher gegenüber der Stadt gegeben?
Es sind erst einmal ein paar vorsichtige Fragen. Die natürlich die Frage einschließen: Macht sich Leipzig mit dieser Mitgliedschaft auch abhängig?
Denn die Stiftung “Lebendige Stadt” verteilt ja auch immer wieder Bonbons – sponsert einzelne Projekte, die die Innenstädte aufhübschen. In Leipzig betrifft das zum Beispiel die Lichtinstallation “Erinnerung an die friedliche Revolution von 1989” von Tilo Schulz auf dem Nikolaikirchhof, die von der Stiftung genauso unterstützt wurde wie die “Leipziger Notenwand” als Bestandteil der “Leipziger Notenspur”.
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Die “Süddeutsche” berichtete über die damalige Mitgliedschaft des Marktforschungsinstituts GfK Prisma über ihren Geschäftsführer in der Stiftung. Das Institut habe “einen großen Teil der ‘Verträglichkeitsgutachten’ erstellt, die für die Genehmigungsfähigkeit von Einkaufszentren erforderlich sind.” Aktuell ist ein anderes Institut, das auf diesem Feld tätig ist, durch den Leiter seiner Hamburger Niederlassung Mitglied im Stiftungsrat: die GMA Gesellschaft für Markt und Absatzforschung mbH.
Studien zu “Auswirkungsanalysen für großflächigen Einzelhandel” hat sie zum Beispiel erstellt für – Leipzig. Zum Beispiel für die damals noch als “Brühl Arcaden” projektierten “Höfe am Brühl”. Die Studie kam zu dem erwartbaren Urteil: “Nach gutachterlicher Einschätzung ist der Planstadtort ‘Brühlsche Höfe’ für die Etablierung eines Einkaufszentrums geeignet.” Wer das Gutachten liest, findet hier die als “verträglich” angesehenen 25.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, die bei einem anvisierten Umsatz von 76,6 Millionen Euro im Jahr den größten Teil dieses Umsatzes aus der Innenstadt abziehen.
Das hat zwar der Stadtrat dann auch so beschlossen. Gebaut hat mfi dann aber 44.000 Quadratmeter. Das Gutachten stellen wir hier einfach noch mal zum Nachlesen hin. Denn ab hier wird es komplex. Und die Verbindungen führen nicht nur in die Gutachterinstitute und Stiftungen, sondern auch an diverse Hochschulinstitute, wo Strategien für die Etablierung solcher Einkaufs-Center in Innenstädten entwickelt wurden und werden.
Das “Quartier am Mailänder Platz”: www.quartier-mailaender-platz.com
Die Stiftung “Lebendige Stadt”: www.lebendige-stadt.de
Mehr zur ECE: www.ece.de
Kritik am Stuttgarter Center-Bau:
Jenapolis und die “Süddeutsche” zur “Lebendigen Stadt”:
www.jenapolis.de/2012/05/ueber-die-stiftung-lebendige-stadt/
www.sueddeutsche.de/geld/deutsche-innenstaedte-die-diktatur-der-shoppingmalls-1.909703-3
Das GMA-Gutachten als PDF zum download.
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