Nicht wenigen Leipzigern fehlt, über 20 Jahre nach der "Kehre" wie die Wende hier und da flapsig genannt wird, eine Aufarbeitung der Nachwendezeit, dem Übergang von einem DDR-System der Wortlosigkeit in ein System des freien Marktes und der Buschzulagen. Ist die Zeit reif, sich einmal umzudrehen und zu fragen, was vom "Kulturschock" bis heute besteht?

Die Forderung nach Auseinandersetzung mit der DDR finde ich längst überfällig. Halten Sie eine Forderung nach Auseinandersetzung mit der Nachwendezeit für verfrüht?

Nein, Auseinandersetzung über Geschichte, auch jüngste, sollte es immer geben – ohne Vergangenheit keine Zukunft. Dann aber bitte unter der Maßgabe, verschiedenste Perspektiven zuzulassen und die Aufarbeitung immer auch für Neubewertungen offen zu halten. Die Bewertung der Ereignisse von 1989 geschieht doch allzu oft sehr einseitig und wird damit den Erfahrungen der Menschen nur bedingt gerecht.

Wenn Amtsinhaber Jung in seinem Wahlprogramm von der “Wiedergeburt Leipzigs nach 1989” spricht, diskreditiert er die Lebensleistung vieler Leipzigerinnen und Leipziger. Eine solch einseitige Betrachtung historischer Ereignisse ist aus meiner Sicht fragwürdig und atmet den Geist einer Siegermentalität.

Für mich persönlich bedeuten die Lebensabschnitte DDR-Wende-BRD ein Erfahrungsschatz, den ich keinesfalls missen möchte. Das Erleben unterschiedlicher Systeme ist ein unglaublicher Wert, den wir ostdeutschen Politiker viel stärker nutzen sollten.

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