Leipzig weiter denken. Das ist ein großer Anspruch. Und seit das Projekt im Frühjahr gestartet ist, versucht die Stadt dazu auch den intensiven Dialog mit den Bürgern. In Workshops, Foren und im Internet. Hochkarätige Redner wurden eingeladen. Und trotzdem kommt der Online-Dialog nicht so recht in Gang. Ein Grund dafür könnte sein: Über die alten Lösungsansätze will niemand mehr ernsthaft diskutieren.
Man findet die Diskussionsbereiche alle auf der extra mit Fleiß erstellten Website. Da findet man auch die Input-Thesen, mit denen die Stadt selbst versucht, die Diskussion zu befeuern.
Wer vorher so das vage Bauchgefühl hatte, die Verwaltung stecke in alten Denkrastern fest, der wurde aufs Deutlichste bestätigt. Etwa beim Thema Stadtfinanzen. Dauerthema in Leipzig, derzeit wieder höchst aktuell. Am heutigen 24. Oktober läuft die Einspruchsfrist zum neuen Haushalt 2013 aus. Simples Fazit: Es interessiert kaum jemanden. Nicht nur, weil sich ein gewöhnlicher Bürger in 1.000 PDF-Seiten mit lauter Einzelposten noch viel weniger zurechtfindet als die gewählten Stadträte, die sich damit jeden Monat befassen müssen und trotzdem fast alle mit Einführung der Doppik das Handtuch geschmissen haben, weil ihnen das neue Zahlenwerk viel zu komplex ist, nicht mehr in der verfügbaren Frist überhaupt substanziell durcharbeitbar.
Die doppische Haushaltsführung ist was für Profis, für Leute, die tagtäglich hauptberuflich mit diesen Zahlenwerken umgehen.
Nur die knappen Formeln, auf die die Verwaltungsspitze ihren Umgang mit Geld immer wieder gern bringt, versteht man dann noch. Sie sind auch in den Thesen zum Online-Dialog “Nachhaltige Stadtfinanzen” zu finden. Das hier sind sie: 1. Ausgaben und Zuschüsse senken: Die Kürzungsstrategie. 2. Tarife, Gebühren und Steuern erhöhen: Die Einnahmestrategie. 3. Vorrang für die Wirtschaft: Die Wachstumsstrategie.” Man sieht es sofort in den Diskussionsbeiträgen: Es geht ruckzuck ins Kleinklein. Da wird dann über Schulhefte und Taktzeiten der Straßenbahn diskutiert und über Dinge, die nicht gekürzt werden sollen.
So richtig können die Leipziger mit diesen Fragestellungen nichts anfangen. Auch wenn es die letzte Bürgerbefragung so suggeriert hat, wo die Leipziger nach “Kürzen / Nicht kürzen” abstimmen durften. Am Ende kam so etwas wie eine Hitliste heraus, die zuerst einmal Museen, Soziokultur, Oper, Gewandhaus und Schauspiel zur Kürzung vorschlug. Und bei Schulen, Kitas, Straßen und Wirtschaft sollte nicht gespart werden.
Die Umfrage entlarvte eigentlich das Grundproblem der Finanzpolitik. Nicht nur der Leipziger. So kleinkariert wird auch in Dresden und Berlin geplant. Das Problem ist – und die Doppik verstärkt dieses Denken noch – man betrachtet öffentliche Finanzierung wie die Bestückung eines Krämerladens: Bananen müssen nachbestellt werden. Und weil Bier weggeht wie nix, muss auch neues Bier geordert werden. Die teuren Äpfel aus Borsdorf kauft kaum einer, also schicken wir die Fuhre zurück. Usw.
Natürlich merken die Leipziger, dass sie schon wieder mit der alten Krämerdenkweise konfrontiert sind. Am 22. September meldete sich dann unterm Stichwort “Nachhaltige Stadtfinanzen – was bedeutet das für Sie und unsere Stadt?” ein Timmy Selle zu Wort, der einmal ganz ohne die übliche Brille für sich erläutert, dass Nachhaltigkeit wohl nichts mit diesem bürokratischen Kleinklein zu tun hat. Wer eine nachhaltige (Finanz-)Politik will, muss herausfinden, welche Potenziale eine Stadt tatsächlich hat. “In weiteren sollte man darauf schauen, welche Investitionen das höchste nachhaltige Potential haben, bzw. Investitionen in Bereiche bewusster zu lenken, die eine Art Selbstläufer-Potential haben. Darin sehe ich vor allem die Bildung”, schreibt er. Der Schreibfehler ist wohl der Eile geschuldet. So emsig wie Selle ist keiner auf der Dialogseite unterwegs.
Eine weitere Diskussion dort gibt es noch nicht. Aber gerade da sollte es anfangen. Dann kann man sich die wirklich sinnlosen Befragungen innerhalb der Bürgerumfrage sparen. Und dann suggeriert man den Bürgern auch keine falschen Erkenntnisse. Wie in der Frage “Als eine Stadt mit internationalem Anspruch und hoher Lebensqualität muss die Stadtverwaltung Leipzig Schwerpunkt setzen, wo sie die immer knapper werdenden Haushaltsmittel vorrangig einsetzt.” Und dann stehen da in der Bürgerumfrage Wirtschaftsförderung, Grundsicherung, Daseinsvorsorge und Kultur zur Auswahl untereinander.
Deutlicher kann das falsche Denken in den Schubladen-Rastern nicht gezeigt werden. Eins wird gegen das andere abgewogen wie Radieschen und Möhren gegen Salz und Pfeffer. Die Synthese fehlt. Die fehlende Synthese hat System. An dieser Stelle wurde die falsch strukturierte Stadtverwaltung schon einmal analysiert.
Und so sieht es auch “Maren M.”, die unter “Ihr Thema fehlt hier?” gegen die drei von der Stadt angebotenen Uralt-Strategien eine weitere setzt, die man eigentlich nach dem Einführungsvortrag zum Thema Nachhaltigkeit erwartet hätte: die Suffizienzstrategie. Die zielt nämlich auf ein verändertes Nutzerverhalten. Die Stadt wird nicht mehr als Krämerladen behandelt, sondern als Refugium für alle, bei dem alle in der Verantwortung stehen, die Dinge zum gemeinsamen Besten und nachhaltig zu gestalten.
Da kommt man dann schnell dahin, die Prozesse zu definieren, die in Leipzig keineswegs nachhaltig laufen. Öffentliche Diskussionen zum Beispiel. Alles, was bis jetzt dazu passiert ist – ob bei “Leipzig weiter denken” oder in der Denkmalsdiskussion – ist ein vages Vortasten. Man lernt noch nichts dabei. Im Gegenteil, während sich das “Weiter denken”-Team in der wichtigen Organisation des Prozesses aufreibt, turnen andere Akteure der Stadt wieder auf anderen, völlig abwegigen Spielwiesen herum, betreiben geradezu chaotische Kommunikation bei Facebook oder gründen immer neue Diskussionsforen, die die Aufmerksamkeit immer weiter zersplittern. Man zappt herum, als wäre Stadtpolitik ein Vorabendangebot im Fernsehen. Und die Bürger finden in den Tohuwabohu keine Orientierung. Wie denn auch?
Ungelöst: Wie kann man eine übersichtliche Online-Beteiligung für die Leipziger organisieren?
Ist Leipzig auf dem Weg zu einer fußgängerfreundlicheren Stadt?
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Probleme im Mega-Amt Jugend, Familie, Bildung: Die alte Müllsack-Politik funktioniert nicht mehr
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Egal, wie man den Ball der politischen …
“Warum fassen die Entscheidungsträger von Politik und Verwaltung nicht bestehende Dinge anders, nachhaltiger und sinnvoller an?”, fragt Maren M. berechtigterweise. “Warum organisieren wir uns beispielsweise durch permanente Fehlanreize in der Arbeitsmarktpolitik die Haushaltsprobleme höchst selbst (überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten bei den Minijobbern und den ausschließlich geringfügig Beschäftigten – Verfestigung der KdU, Verstetigung Armut)?”
Recht hat sie: Die Leipziger Arbeitsmarktpolitik ist nicht die Bohne nachhaltig. Da helfen auch die scheinbar gesunkenen Arbeitslosenzahlen nicht.
“Warum haben wir in der Verwaltung noch immer kein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM als Mittel zur Haushaltskonsolidierung)? Warum zerstören wir bestehende Einzelhandelsstrukturen durch ungebremste Neuansiedlungen (Missverhältnis Kaufkraft, Verkaufsfläche/EW)?”, fragt Maren M. Und recht hat sie: Die Liste ließe sich fortsetzen. Leipzigs Stadtverwaltung denkt nicht nachhaltig.
Auch 14 Jahre nach dem Start des Leipziger Agenda-Prozesses nicht. Die zarten Ansätze, etwas zum Nachhaltigen hin zu ändern, werden im Kleinklein der kleinmütigen Interessen immer wieder zerrieben.
“So wird die Verwaltung weiter wurschteln und sich nur gelegentlich durch diverse Anträge unbequemer StadträtInnen aus dem Konzept bringen lassen”, schreibt Maren M. “Wenn man sich allerdings ansieht, durch welche Institutionen und Einrichtungen der Dialog ‘Leipzig weiter denken’ gefördert bzw. unterstützt wird, müssten eigentlich die Ansätze STREICHEN, ERHÖHEN, WACHSEN umgehend in den Schredder marschieren. Thema verfehlt.”
Womit sie nur halb recht hat. Denn zur Erkenntnis, dass man neu denken muss, gehört auch das Wissen darum, was am alten Denken falsch ist. Und der Dreiklang “Streichen, Erhöhen, Wachsen” ist derselbe Dreiklang, der gerade Griechenland und Spanien in den Ruin treibt. Es ist ein Denkansatz, der Gesellschaften wie Krämerläden behandelt – und nicht wie lebendige Organismen. Und eine Stadt wie Leipzig ist ein lebendiger Organismus. Alle Prozesse greifen ineinander. Und wirklich nachhaltig wird auch kommunale Politik erst, wenn die Verantwortlichen lernen, in Prozessen zu denken.
Fazit zum Online-Dialog zu “Nachhaltigen Stadtfinanzen”: Er hat noch nicht einmal begonnen.
Die Diskussionsseite zu den “Nachhaltigen Stadtfinanzen”:
www.leipzig-weiter-denken.de/nachhaltige_stadtfinanzen/wd-de/index.asp
Der Beitrag von “Maren M:”:
www.leipzig-weiter-denken.de/nachhaltige_stadtfinanzen/wd-de/21_dialog.asp?mSel=0,15,23&bUrl=wd-de/index.asp
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