Egal, wie man den Ball der politischen Grundprobleme in Leipzig spielt, man landet immer wieder bei den desolaten Wirtschafts-, Arbeits- und Finanzstrukturen der Stadt. Die Frage ist: Braucht man dafür lauter einzelne Bürgermeister? Oder braucht man da eher eine nachhaltige Strategie? Eine, die die Grundlagen der Stadt als dynamische Prozesse begreift und organisiert. Die auch Wirtschaft und Arbeit als soziale Grundlage begreift.

Der Ansatz ist ja da. Nur wieder – wie so oft in dieser Stadt – völlig falsch gedacht: im Rahmenvertrag der Stadt Leipzig mit seinem Jobcenter.

Doch wer die soziale Komponente hier sucht, findet sie nicht. Die asoziale ist drin – als Erwartung, das Jobcenter würde auf Kosten der von ihm Betreuten die Kosten senken. Das integrative Moment versteckt sich hinter dem Auftrag, die Betroffenen fleißig in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Kein Wort von fairer Bezahlung bei den angebotenen Jobs, kein Wort zu nachhaltiger Begleitung.

Woher auch. Dafür ist kein Puffer eingeplant. Der Puffer muss woanders aufgemacht werden: im Sozialdezernat, wo die Kosten dann auflaufen.

Wenn Leipzig nicht zu einer nachhaltigen, fairen und ehrlichen Arbeitspolitik kommt, wird sich nichts ändern. Das setzt eine andere Wichtung voraus. Leipzig braucht eigentlich ein Sozialdezernat, das Wirtschaft und Arbeit als integratives Element enthält.

Die Problematik von Kindern und Jugendlichen in prekären Verhältnissen hat hier nichts zu suchen. Die gehört eigentlich in ein völlig selbstständiges Dezernat, ein Dezernat Familie, dass sich mit allen Rahmenbedingungen für eine familiengerechte Stadt und einer Absicherung derjenigen, die Hilfe brauchen, beschäftigt.

Aber nicht mit Schule. Die Integration des Schulverwaltungsamtes in das Mega-Amt für Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule musste die Amtsleitung überfordern. Sie gehört in ein völlig anderes Dezernat, das sich schwerpunktmäßig mit dem Mega-Thema Bildung beschäftigt. Es wird in Leipzig viel geredet über frühkindliche Bildung und lebenslanges Lernen. Nur ein verantwortlicher Bürgermeister dafür existiert nicht, auch wenn sich Sozialbürgermeister Thomas Fabian der Sache engagiert annimmt. Dieses Thema gehört in seiner Bedeutung separat auf die Bürgermeisterebene.

Über die Auflösung der Bürgermeisterei für Allgemeine Verwaltung wurde schon mehrmals diskutiert. Die von den Grünen aufgebrachte Forderung nach Ablösung von Bürgermeister Andreas Müller wird zwar nicht mitgetragen von den anderen Fraktionen. Aber auch der Skandal um die “Herrenlosen Häuser” ist nur ein Symptom. Ein Symptom für eine falsch gedachte Struktur in der Stadtverwaltung.

Einen Verwaltungschef braucht das Rathaus. Aber muss das ein Bürgermeister sein? Wäre das nicht eher der Chef des Geschäftsbereichs OBM? Womit man natürlich eine Vakanz benennt, die nun seit sechs Jahren besteht. Denn dann fände sich das Rechtsamt zwangsläufig in direkter Kontrolle des OBM. Wo es hingehört.

Der Rest sind dann Autoparks, Ordnungsdienste, Eigenbetriebe usw. Etliches davon sind reine technische Administrationen. – Kleine Überlegung: Braucht Leipzig nicht eigentlich einen Technischen Bürgermeister?Übrig bleibt: die eigentliche Stadtwirtschaft. Auch Torsten Bonew hat zu recht darauf hingewiesen, dass die Arbeit des Baudezernats mit all ihren Investitionen in Straßen, Kitas, Brücken in erster Linie echte Wirtschaftsförderung ist. Normalerweise ist auch die restliche Vergabepolitik Wirtschaftsförderung – eine sehr undurchsichtige. Auch die veröffentlichten Vergabeberichte sind nur lückenhaft. Und sie beschäftigen sich nicht mit wichtigen Grundnoten der Zeit – oder eben nur da, wo der Stadtrat konkrete Anforderungen gestellt hat: regionale Beschaffung, faire Produktionsbedingungen, umweltfreundliche Standards usw.

Aber auch die komplette Tourismus- und Marketingpolitik der Stadt gehört hierher. Dass in Leipzig wirtschaftlich nicht konsistent gearbeitet wird, hat auch damit zu tun, dass sich die wirklichen wirtschaftlichen Stellschrauben über alle Dezernate verstreuen. Aktuellstes Thema: die Bestellung von Essen für Schulen und Kitas. Zu möglichst knappen Preisen. Die Gefahr, dass sich der Noro-Virus auch in Leipziger Einrichtungen so schnell ausbreiten kann, hat eben auch damit zu tun, dass nur ein Großlieferant in der Lage ist, die knapp kalkulierten Preise zu bedienen. Womit die meisten Aufträge in der öffentlichen Essensversorgung dann eben auch wieder aus Leipzig abwandern.

Das ist nur eine Skizze. Derartige Überlegungen hätte man eigentlich spätestens in den letzten 14 Jahren aus Parteien, Fraktionen oder all den schönen Brainstorming-Runden der Verwaltung erwarten können. Sie kamen nicht. Selbst das Komplexthema “Agenda 21” ist in lauter kleine Bausteine aufgeteilt worden, von denen die meisten auf Halde liegen, weil sie in die gegenwärtigen Stadtstrukturen entweder nicht hineinpassen oder weil sie “nicht finanzierbar” sind. Und an den anderen arbeitet man sich im Tempo einer Schnecke ab.

Dass einige der 1998 formulierten Punkte eben nicht nur die beliebten “ämterübergreifenden” Spiele verlangen, sondern echte Strukturreformen hin zu einer modernen Verwaltung, wurde bis heute nicht begriffen. Wobei wir uns an dieser Stelle einmal für das Wort “modern” entschuldigen. Es ist in letzter Zeit so oft von Leuten missbraucht worden, die dahinter ihre ganz speziellen Privat- und Parteiinteressen versteckt haben und den Sachsen auch noch die jüngste Streckenstilllegung oder Ämterschließung als “Modernisierung” verkauft haben.

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Modern ist nicht das, was ein paar Leute als “effizient” betrachten. Modern ist das Denken und Handeln in den lebenden Zusammenhängen. Man kann zehn Mal das Wort “Familienfreundlichkeit” als Handlungsmaxime der Stadt erklären – wenn es nicht auf die primäre Weisungsebene wandert, bleibt es ein hübsches Etikett ohne Inhalt – und die wirklich betroffenen Familien bleiben mit all ihren Problemen ratlos im Regen stehen.

Deswegen bleibt eigentlich nur ein Fazit: All die Rücktrittsforderungen, die derzeit immer wieder geäußert werden, sind kleinkarierter Murks. Wer die Verwaltungsstruktur nicht wirklich nachhaltig erneuern will, kann die Leute auswechseln, so oft er will: Es ändert nichts. Übrigens genauso wenig wie das Auswechseln des Oberbürgermeisters. Auch wenn Oberbürgermeisterwahlen die kleine Chance in sich tragen, mit der Wahl auch moderne Strukturen umzusetzen. Aber dazu müsste erstmal einer den Mumm haben, sie zu durchdenken und auf den Tisch zu legen.

Bis jetzt können die Bürger nur das Gefühl haben, dass sie mal wieder mal über den obersten Kopf entscheiden dürfen. Das Wesentliche murkst dann einfach weiter wie gehabt.

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