Die aktuell in Leipzig stattfindende Seniorenmesse "Die 66" bezieht sich nicht ohne Hintersinn auf das Udo-Jürgens-Lied "Mit 66 Jahren ...", auch wenn das Angebot irgendwie doch so gestrickt ist, dass man Senioren eben wie Omas und Opa denkt. Dabei gehört zum zunehmenden Älterwerden der Gesellschaft auch die länger anhaltende Fitness vieler Älterer, die gar nicht in Ruhestand wollen.

Schon vor einem Jahr hat die Leipziger Senioren-Union deshalb die Forderung aufgestellt, die Altersgrenze für Wahlbeamte aufzuheben. “Es ist unzeitgemäß und nicht vermittelbar, dass man mit 68 Jahren als Bürgermeister oder Ortsvorsteher zurücktreten muss, aber mit 70 durchaus Bundespräsident, Kanzler oder Minister werden kann”, sagte Konrad Riedel, Vorsitzender der Leipziger Senioren-Union, damals. “Der demografische Wandel geht auch an Sachsen nicht vorbei, und wir brauchen gerade jetzt die erfahrenen Älteren mit ihrer Leistungskraft und Lebenserfahrung.”

Das hat sich auch im Jahr 2012 nicht geändert. In einem Offenen Brief wandte sich die Leipziger Senioren-Union jetzt mit der Bitte um Unterstützung an den Bundespräsidenten Joachim Gauck. Die Leipziger hoffen, dass Gauck “sie in ihrem Bemühen unterstützt, die gegen das Diskriminierungsgesetz verstoßende Ausgrenzung Älterer aus deren freiwilligen aktiven Mitwirken in unserer Gesellschaft zu beenden. Die Seniorinnen und Senioren fordern, dass die auch in Sachsen gültige Altersgrenze für kommunale Wahlbeamte wie Bürgermeister fällt.”

Denn die Bundesländer definieren diese Altersgrenzen in eigenem Ermessen. In Bayern ist schon etwas in Bewegung geraten. Dort soll das Alter, mit dem sich Personen um ein Wahlamt bewerben können, ab 2020 auf 67 Jahre angehoben werden. Der lange Vorlauf ist deswegen eingeplant, damit kein aktuell favorisierter Bewerber hier scheinbar bevorteilt wird. Wer mit 67 gewählt wird, könnte das Amt dann bis 73 ausüben.

“Ein Denkanstoß ihrerseits – wie sie in Ihrer Amtszeit schon viele gaben – könnte, ja sollte die Gesetzgeber zum Nachdenken zwingen”, bittet der Brief den Bundespräsidenten um Hilfe.

“Diese Begrenzung ist eine der reinsten und offensichtlichsten Formen von Altersdiskriminierung. Es ist den Bürgern nicht zu vermitteln, warum ich in diesem Land in den Bundes- oder Landtag oder sogar als Bundespräsident gewählt werden oder Minister sein kann, mir dies aber als Bürgermeister in einer noch so kleinen Gemeinde per Gesetz verboten wird. Neben der Politikverdrossenheit fördert dies auch die immer stärkeren Zweifel an der Demokratie als Gesellschaftsentwurf”, begründet der Kreisvorsitzende der Senioren-Union Konrad Riedel die Initiative.
Riedel wurde am Donnerstag, 25. Oktober, auf der Wahlversammlung ebenso einstimmig im Amt des Vorsitzenden des Kreisverbandes Leipzig der Senioren-Union bestätigt wie seine Stellvertreter Anita Placht und Dr. Johannes Hähle.

Das Thema ist ja auch aktuell, weil sich der CDU-Kandidat zur Oberbürgermeisterwahl, der derzeit beurlaubte Polizeipräsident Horst Wawrzynski, als Kandidat der älteren Leipziger profilieren möchte.

Wawrzynski betonte bei der Gelegenheit, dass das aktive Mitwirken der älteren Leipziger in und an der Stadtgesellschaft unabdingbar sei. Darauf wolle er sich als Oberbürgermeister gern stützen, das Motto der Leipziger Senioren-Union “Politik soll nicht für die Älteren, sondern mit den Älteren gemacht werden” sei richtig und zeitgemäß. Er setze auf einen Sieg im ersten Wahlgang, um dies umsetzen zu können und vor allem “Jungs Postenschacherei” vor einem zweiten Wahlgang zu verhindern. “Wir brauchen im Rathaus kompetente und leistungswillige Persönlichkeiten, aber keine Wahlgeschenk-Posten.”

Hat natürlich weniger mit der älteren Bürgerschaft zu tun. Aber wie sieht es nun wirklich aus? Sind die Älteren in der Leipziger Stadtpolitik unterrepräsentiert? – Im Stadtrat selbst jedenfalls nicht. Hier sind sie sogar überproportional vertreten. Dafür fehlen vor allem junge und erwerbstätige Stadträtinnen und Stadträte.

Und die Fixierung auf die Bedürfnisse der Älteren lenkt natürlich auch davon ab, dass über Jahre vor allem die Bedürfnisse der jüngeren Leipziger vernachlässigt wurden. Es sind die Themen der jungen Generationen, die brennen: bei fehlenden Kita-Betreuungsplätzen, bei familienunfreundlichen Verkehrs- und Einkaufsstrukturen, bei fehlenden Lehrern und Schulen und fehlenden Jobs für Alleinerziehende, bei gekürzten Mitteln im Jugend- und Sozialbereich usw.

Die Antwort auf die politischen Herausforderungen liegt nicht in der besseren Politik für eine Einzelgruppe, sondern in der Fähigkeit der Schlüsselakteure, eine Stadtgesellschaft in ihren lebendigen Zusammenhängen zu denken. Das könnte ein kluger Mensch mit 65 durchaus ganz ähnlich gut wie einer mit 55 oder 35. Wenn er so komplex handeln kann und das Rückgrat für eine stringente Politik hat.

Auch wenn derzeit viel über die Überalterung der deutschen Bevölkerung geredet wird und ein starkes Anwachsen der Gruppe der Älteren vorausgesagt wird, machen sie an der Leipziger Bevölkerung keineswegs die stärkste Gruppe aus. 116.721 Leipzigerinnen und Leipziger waren nach amtlicher Statistik Ende 2011 über 65 Jahre alt, insgesamt 145.300 waren über 60. Macht in Prozentanteilen an der offiziell gezählten Leipziger Bevölkerung von 531.809 in dem einen Fall 22, im anderen 27 %.

Was im Grunde die simple Anforderung mit sich bringt: Wer in einer Stadt wie Leipzig sinnvolle Politik machen will, der sollte nicht separieren, der sollte in der Lage sein, die Stadt in ihrer Einheit der Generationen zu denken – als echte Familienstadt.

Viele der Verwerfungen zwischen den Generationen sind Folgen falscher Klientelpolitik. Und so wirklich weit ist Leipzig mit seinem Denken in Sachen Familienstadt noch nicht gekommen. Da fehlt noch gehörig was. Und es wäre zumindest ein Widerspruch, wenn nur Wahlbeamte noch übers 65. Lebensjahr hinaus tätig sein könnten. Auch das Thema Teilhabe für alle gehört dazu. Das betrifft auch eine altersgerechte Arbeitswelt, die die “Aussortierten” nicht zum Blättersammeln in den Park schickt, sondern sie in sinnvoller und fair bezahlter Arbeit integriert.

So lange das nicht Wirklichkeit ist, ist auch eine verlängerte Amtszeit für Bürgermeister eher nur ein Feigenblatt.
Der Brief an den Bundespräsidenten als PDF zum download.

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