Als der Landtagsabgeordnete der Grünen, Johannes Lichdi, im Sommer nach den von sächsischen Meldebehörden im Jahr 2011 verkauften Daten der Bürger fragte, bekam er von der Lansdesregierung nur eine halbe Antwort. Die Hälfte der Meldebehörden hatte die Zahlen gar nicht griffbereit. So war dann auch nicht zu erkennen, ob der Datenhandel nachgelassen hatte oder nicht. Auch nicht in Bezug auf Leipzig.
Das fanden auch die Linken nicht so ersprießlich. Wie soll man wissen, was die Behörden tun, wenn sie einfach keine Abfrage beantworten? Mit der Transparenz liegt es im Freistaat schon seit Jahren im Argen. Manchmal sind es mittlerweile einfach fehlende Ressourcen. Wenn Politiker von Bürokratieabbau schwadronieren oder gar von eine effizienteren Behördenarbeit, dann haben sie selten das im Sinn, was die Worte bedeuten. So selbstlos sind Politiker auch im Deutschland des Jahres 2012 nicht.
Und die kritischeren Medien im Land sind längst dazu übergegangen, den Verlautbarungen aus Ämtern und Ministerien zu misstrauen, den schönen Wortblasen sowieso. Eigentlich lohnt sich, an die nur scheinbar so klare moderne Politik jeden Tag aufs Neue mit der Krimifreunden so gut bekannten Frage heranzugehen. Nicht dem “Wer war’s?”. Das ist der Krimi des 19. Jahrhundert, den man heute eigentlich nur noch als Pausenfüller lesen kann.
Nein. Im 21. Jahrhundert lautet die wirklich zielführende Frage: “Wem nutzt es?”
Und Meldedatenhandel nutzt einer ganzen Menge Leute. Zuerst einmal allerlei Firmen, die der ein oder anderen Partei sehr, sehr nahe stehen und mit den bei den Ämtern gekauften Adressdaten selbst wieder schwungvollen Handel treiben. Eins der lukrativsten Geschäfte ist das sogenannte “Direktmarketing”: Werbesendungen landen mit der persönlichen Adresse und Ansprache direkt im Briefkasten des Kunden. Das Zeug bekommen dann in der Regel auch Leute, die dick und fett am Briefkasten stehen haben: “Keine Werbung!”
“Zielgenaue und streuverlustfreie Werbung” nennen das die Leute, die ihren Werbekunden damit die Hucke volllügen. Die adressierte Werbung landet zwar im “richtigen” Briefkasten – erhöht aber nicht im mindesten die Bereitschaft der Beschickten, den Papiermüll auch nur zu öffnen. Er landet genauso schnell in der Papiertonne wie die Berge an Flyern, Prospekten und – demnächst wieder – Wahlkampfzeitungen der NPD, die in Hausflure und Briefkästen gestopft werden. Normalerweise ist diese Beschickung – auch wenn der richtige Adressname drauf steht – rechtswidrig. Der Werbende müsste – wie beim E-Mail-Werbeversand im Internet, eigentlich zuvor das Einverständnis des Beschickten einholen.
Nur hat der Gesetzgeber nicht geregelt, wie das zu passieren hat. Und deswegen passiert es auch nicht.
Und da die meisten Leute nicht abmahnen lassen oder gar klagen gegen die gesetzwidrige Beschickung, wird weiter gekauft und verkauft. Oft wissen die Werbeaussender nicht einmal, wie das vor sich geht. Sie kaufen einfach eine Portion Direktversand, lassen sich vom Auftragnehmer ein großes Paket gezielt angeschriebener Konsumenten versprechen – und dann geht die Papierlawine auf den Weg. Durchaus vergleichbar dem ganzen Spam-Werbemüll im E-Mail-Fach, der genauso illegal ist.
Und die ganzen Daten dafür kaufen sich die Versender bei den Meldeämtern. Das sollte mit dem neuen Meldegesetz, das in dieser Woche im Bundesrat scheiterte, zwar unterbunden werden. Doch die meisten haben ja mitbekommen, wie das neue Meldegesetz in einer abendlichen Mini-Sitzung des Bundestages durchgewinkt wurde. Mit der völlig ins Gegenteil verkehrten Absicht. Künftig würden die Bürger noch weniger Möglichkeiten haben, gegen einen Verkauf ihrer Meldedaten Einspruch zu erheben.
Was für den OBM-Kandidaten der Grünen in Leipzig, Felix Ekart, am Donnerstag, 20. September, Anlass war, vor dem Bürgeramt in der Markgrafenstraße gegen die aktuelle Praxis zu protestieren. Ist ja nicht so, dass Leipzig Meldedaten verkaufen muss.
Ekart fordert die Stadt auf, Meldedaten nur nach vorheriger schriftlicher Einwilligung der betroffenen Einwohner weiterzugeben.
“Um den Handel mit Einwohnermeldedaten wie Adresse, Geburtstag, Konfession oder Familienstand wird auf Bundesebene derzeit heftig gestritten. Unsere Zielsetzung ist es, dass Daten nur nach ausdrücklicher vorheriger Genehmigung weitergegeben werden dürfen. In den letzten Jahren gab es zu viele Datenschutzskandale, so dass dem uneingeschränkten Adresshandel mit Melderegisterdaten ein Riegel vorgeschoben werden muss. Für Unternehmen gilt nach wie vor das sogenannte ‘Listenprivileg’, dass es ihnen erlaubt, listenmäßig zusammengefasste, personenbezogene Daten zu erfassen und zu verarbeiten, ohne dass der einzelne Verbraucher zustimmen muss”, erklärte Ekart zu seiner Aktion.
“Leipzig könnte im Rahmen des Ermessens diesen Datenhandel sofort beenden – unabhängig von anstehenden Gesetzesänderungen und sich damit deutlich für den Datenschutz der Bürger in der Stadt positionieren. Denn der uneingeschränkte Datenhandel und die Weitergabe von Adressdaten schädigt auch das Vertrauen der Menschen in die Verwaltung und höhlt ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus. Jeder Mensch muss für sich entscheiden dürfen, wann er wem welche Daten zur Verfügung stellt. Die Weitergabe von Adressdaten erfüllt diese Voraussetzungen nicht, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird ausgehöhlt. ”
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Vielen Menschen sei nach wie vor nicht bewusst, dass ihre Meldedaten ganz legal auf Grundlage des Sächsischen Meldegesetzes verkauft werden – zum Beispiel an private Marktforschungsinstitute, an Parteien für Wahlwerbung oder an Adressbuchverlage. “Ich fürchte, dass Leipzig das Ermessen bei der Durchführung des Meldegesetzes nicht ausschöpfen will, um die damit generierten Einnahmen nicht zu gefährden. Umso wichtiger ist es, dass möglichst viele Menschen in der Stadt Widerspruch gegen diese Praxis einlegen”, sagt Ekardt. “Auch die Weitergabe und Herausgabe von Erstwählernamen und Adressen an Parteien sollte beendet werden. In den nächsten Jahren ist eine Vielzahl von Wahlen. Unabhängig davon, dass auch undemokratische Parteien Zugriff auf diese Adressdaten haben, ist die Verwendung dieser Daten für Parteien nicht angebracht und konterkariert auch die Stellung der Parteien, die um Vertrauen werben mit Daten die Ihnen nicht zu stehen. Datenschutz ist Bürgerrecht und nicht ein beliebiger Punkt im Kleingedruckten.”
Und da die Auskunft an Johannes Lichdi im August so lückenhaft war, hat die Fraktion Die Linke in Leipzig noch vor der ersten Stadtratssitzung nach der Sommerpause eine Anfrage an die Leipziger Stadtverwaltung formuliert.
“Leipzig erzielt mit Melderegisterauskünften ca. eine halbe Million Euro Einnahmen”, stellt Linke-Stadträtin Skadi Jennicke fest. “Das Thema ‘Einnahmen der Städte aus Melderegisterauskünften’ rückte in den letzten Wochen mehrfach in die öffentliche Aufmerksamkeit.”
Die Angaben der sächsischen Landesregierung ließen nur ahnen, dass Leipzig weiter so emsig Daten verkauft wie in den Vorjahren. Eine halbe Millionen Euro zusätzlich in der Kasse, das spielt für eine finanziell klamme Kommune schon eine Rolle. Und so viel wird es auch 2012. Mindestens. Nach Auskunft des Ordnungsamtes wurden 2011 “einfache Melderegisterauskünfte an Private” für insgesamt 462.000 Euro verkauft. Zum Ende Juni 2012 war man bei diesen einfachen Registerdaten-Verkäufen schon bei 273.000 Euro angelangt.
Die rechtliche Grundlage ist dabei der § 32 des Sächsischen Meldegesetzes, in dem es in Absatz 1 heißt: “Die Meldebehörde darf anderen als den in §§ 24 und 29 bezeichneten Personen und Stellen Auskunft über Vor- und Familiennamen, Doktorgrad und gegenwärtige Anschriften einzelner bestimmter Einwohner übermitteln (einfache Melderegisterauskunft). Dies gilt auch, wenn jemand Auskunft über Daten einer Vielzahl namentlich bezeichneter Einwohner beantragt.”
Das Wörtchen “keine” steht in der Spalte Gruppenauskunft vor Wahlen. Die kommenden Wahlen sind also in den großen Abfragezahlen des ersten Halbjahres noch nicht enthalten.
Die Einnahmen aus Melderegisterauskünften als PDF zum download.
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