Wer es nicht glaubt, kann nachlesen: Das oberste Ziel, das die Stadt Leipzig mit dem Jobcenter Leipzig vereinbart hat, ist nicht die bessere Integration von Arbeitslosen in den regulären Arbeitsmarkt, sondern dieses: "Ziel 1 - Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung (LfU) so gering wie möglich halten."

Die Kosten steigen Jahr für Jahr. Aber nicht, weil die Bedürftigen immer mehr werden, sondern weil die Kosten tatsächlich steigen.

Im Mai hatte die Linksfraktion einen Antrag in die Ratsversammlung eingebracht, der die Stadtverwaltung Leipzig dazu bringen sollte, die gewährten Kosten für die Unterkunft (KdU) den tatsächlichen Kosten auf dem Leipziger Wohnungsmarkt anzupassen. Die Linke berief sich dabei auf das Bundessozialgericht: “Das Bundessozialgericht fordert unter anderem eine breite Datenbasis als Grundlage für die Ermittlung der Kosten der Unterkunft. Dies ist für die im Juni 2011 in Kraft getretene Richtlinie nicht erfolgt. Als Datengrundlage diente vor allem die Datenbank des Jobcenters der Wohnungen von Beziehern von SGB II-Leistungen sowie die Zuarbeiten der Wohnungsgenossenschaften und der LWB. Diese Datengrundlage entspricht nicht der vom Bundessozialgericht geforderten breiten Datengrundlage.

Die faktische Beweislastumkehr auf die Betroffenen, den Nachweis darüber zu führen, dass nicht genügend Wohnraum in der Stadt Leipzig vorhanden ist, der den Angemessenheitskriterien der Leipziger Richtlinie entspricht, ist rechtlich zumindest äußerst bedenklich. Hier ist die Kommune gefordert, den Nachweis darüber zu führen, dass ausreichend Wohnraum vorhanden ist.”

Die Linke hatte den Antrag eingebracht, nachdem viele Leistungsempfänger im Frühjahr 2012 mit Aufforderungen zur Kostensenkung durch das Jobcenter Leipzig konfrontiert wurden. Die Zielvereinbarung zwischen Jobcenter und Stadt wird sichtlich umgesetzt. Und während die Stadtverwaltung noch 2005 und 2006 vehement abstritt, dass niemand umziehen müsse, bloß weil er nun auf einmal Hartz-IV-Empfänger sei, gehört der Druck auf die Leistungsempfänger, in kleinere und “billigere” Wohnungen umzuziehen, seitdem zum Standard des Jobcenters. Ohne dass der Druck durch ein einziges qualifiziertes Begleitinstrument untersetzt wäre. Denn gleichzeitig wurden kleinere Wohnungen, die den strengen Quadratmeter-Vorgaben des Jobcenters entsprechen, nicht nur knapp in Leipzig – sie wurden auch in vielen Stadtteilen teurer.

Teilweise führte dieser amtlich forcierte Prozess genau zu dem, was die Sozialpolitik der Stadt eigentlich großmäulig verhindern möchte: Die soziale Entmischung von Ortsteilen. Immer mehr soziale “Härtefälle” konzentrieren sich in einigen Ortsteilen. Und wer der Nötigung des Jobcenters nicht folgt, muss mit Sanktionen rechnen.

In einer Stadt, in der über 74.000 Menschen von den Überweisungen des Jobcenters abhängig sind, ist das ein nicht unwichtiger Teil der Stadtpolitik. Bei der Leipzig längst auch geltendes Recht unterwandert, um die Kosten irgendwie im Griff zu behalten. Aber die Kosten steigen nicht mit den Grundmieten. Auch die Wohnungsgenossenschaften in Leipzig bemühen sich seit Jahren engagiert, niemanden, der von der Hilfe des Jobcenters abhängig ist, zum Umzug zu zwingen. Man versucht dort abzufedern, was irgend geht. Doch irgendjemand bleibt immer auf den steigenden Nebenkosten sitzen.

Die Stadt schädigt auch jene Wohnungsunternehmen, die sich dem sozialen Ausgleich in Leipzig verpflichtet fühlen.Die Zielvereinbarung zwischen Stadt und Jobcenter ist nicht nur kläglich – sie ist hochgradig gefährlich. Denn da es keine flankierenden Programme gibt, die auf Hilfen Angewiesenen (und es sind nur zum Teil Arbeitslose, zu einem großen Teil aber auch Kinder und Arbeitende, die “aufstocken” müssen) bei der Suche nach bezahlbarem und menschenwürdigem Wohnraum zu unterstützen, wird das Ganze zu einem neuen Sanktionsinstrument für Sachbearbeiter, denen logischerweise die Weisung der Stadt wichtiger ist als das Wohlergehen der Menschen, die man dort so gern “Kunden” nennt.

Klagen vor Gericht können nur die Betroffenen selbst. Aber sie gewinnen in der Regel ihre Prozesse. Denn die Mauschelsumme, mit der das Jobcenter Leipzig agiert, hat mit den Marktrealitäten in Leipzig immer weniger zu tun.

Die Richtlinie der Stadt Leipzig zu den Unterkunftskosten hat vor dem Sozialgericht keinen Bestand. Das Jobcenter verliert vor Gericht. Es ist dem Center, das im Grunde noch immer das alte, sture Amt für Arbeitslosenverwaltung ist, sogar egal, ob es verliert.

“Leider unterlagen wir mit diesem Antrag bei der Abstimmung in der Ratssitzung im Mai nur knapp”, stellt nun die Linke-Stadträtin Naomi-Pia Witte fest. “Zu meinem Bedauern zeigt sich aber auch der zuständige Sozialbürgermeister Prof. Fabian, in dessen Verantwortung die Festsetzung der Richtlinie liegt, doch recht taub auf diesem Ohr. Und so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Stadtverwaltung hier folgende Rechnung aufgestellt hat: Die ALG II-Empfänger, die sich mit ihrer Klage beim Sozialgericht durchsetzen, kommen die Stadt wesentlich billiger als eine Neufestsetzung der Unterkunftskosten, die allen Leistungsbeziehern zu Gute kommen würde. Wohl wissend, dass nur ein geringer Anteil der Berechtigten den Gang vor das Sozialgericht unternimmt. Eine Kalkulation zur Sanierung des städtischen Haushaltes, die zu Lasten der Ärmsten der Leipziger Stadtgesellschaft geht.”

2011 gab die Stadt knapp 156 Millionen Euro für die “Kosten der Unterkunft” aus. Das Jobcenter zeigte sich ziemlich stolz, unter der Zielplanvorgabe von 159 Millionen Euro geblieben zu sein. Auch 2012 will man unter dieser Zielvorgabe bleiben. Was nur zu schaffen ist, wenn man die Leistungsempfänger selbst zu weiteren Sparanstrengungen oder Einschränkungen zwingt.

Doch Manchem fliegen – obwohl er schon preiswert wohnt – die Nebenkosten um die Ohren. Denn mit den Energiekosten steigen logischerweise auch die Heiz- und Stromkosten. Und während ein gutverdienender Haushalt sich dann entschließen kann, langfristig zu denken und den alten Kühlschrank oder Herd durch energiesparende Neugeräte zu ersetzen, ist dafür in den ALG-II-Sätzen gar kein Spielraum vorgesehen. Wer einfach nur Minderungsaufforderungen an die eh schon Knappgesparten verschickt, der löst das Problem nicht – er wälzt es nur auf Leute ab, die sich oft nicht einmal mehr wehren können.

Sozial ist das nicht wirklich.

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Naomi-Pia Witte: “Es steht aber nicht nur das Urteil des Bundessozialgerichts im Raum, auch das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil festgestellt, dass die Bemessung von Sozialleistungen sich nicht an der Kassenlage des Trägers der Sozialleistungen orientieren darf, sondern sich an dem tatsächlichen Bedarf der Leistungsempfänger orientieren muss.”

“Es scheint also so”, sagt sie, “dass der Sozialbürgermeister Prof. Fabian die Urteile der höchsten deutschen Gerichte bewusst ignoriert, um auf diesem Wege Gelder für die Stadtkasse einzusparen, die eigentlich den Beziehern der Transferleistungen zustünden. Anders kann man sich der jahrelangen Verweigerung der Stadtverwaltung, eine den Leipziger Markt abbildende Richtlinie für die Unterkunftskosten zu erstellen, nicht erklären. Die Leipziger Zustände bei den Kosten der Unterkunft sind eines Rechtsstaates unwürdig. Wir fordern den Sozialbürgermeister deshalb mit Nachdruck auf, endlich das Urteil des Bundessozialgerichts auch für Leipzig zur Kenntnis zu nehmen und eine rechtssichere Richtlinie zeitnah aufzustellen.”

Der abgelehnte Antrag der Linken: http://notes.leipzig.de

Die Zielvereinbarung mit dem Jobcenter Leipzig: http://notes.leipzig.de

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