Nonchalant verkündete OBM Burkhard Jung im Frühjahr in Sachen kulturelle Eigenbetriebe, da müsse man halt "mehr Geld ins System geben". Doch an anderer Stelle wird die Stadt Leipzig zwangsläufig "mehr Geld ins System" geben müssen, mehr als geplant, weil selbst das Sozialdezernat die zunehmende Altersarmut in Leipzig völlig unterschätzt hat.

Und das ist immerhin das Dezernat, wo man zumindest schon begriffen hat, dass sich die Probleme, die man auf dem Arbeitsmarkt so locker mit ein paar griffigen Zwangsmaßnahmen geklärt zu haben scheint, einfach verlagern. Menschen verschwinden ja nicht einfach aus dem “System”, bloß weil sich die zuständigen Arbeitsminister und Wirtschaftsdezernenten die Zahlen schön rechnen. Im Gegenteil: Jeder Arbeitsplatz, der sich nicht selbst trägt und mit dem die Betroffenen weiter in der Bedürftigkeit und unter den Beitragsschwellen für die Sozialsysteme bleiben, schlägt über kurz oder lang wieder als Kostenblock im Sozialbereich auf.

Sei es bei den Kosten der Unterkunft, die in Leipzig immer mehr ausufern, obwohl fast jeden Monat sinkende Arbeitslosenzahlen bejubelt werden, sei es bei den Kosten für die Langzeitgeprellten, die vom Jobcenter gleich in den Ruhestand verabschiedet werden.

Und so legt das Sozialdezernat in der Stadtratssitzung am 20. September gleich ein ganzes Paket überplanmäßiger Ausgaben vor, das der Stadtrat nur noch abnicken kann.

2,5 Millionen Euro für heimische Pflege und 2,5 Millionen für Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Beides zusätzlich.

Im Paket sind auch noch Kosten heilpädagogische Maßnahmen und betreutes Wohnen, die aber einen anderen Problembereich – den des selbstbestimmten Lebens mit Behinderung – betreffen. Auch hier steigen die Kosten.
Was einigen Stadträten zu Denken geben sollte, ist der kleine Hinweis: ” Die formale Deckung erfolgt aus der Kostenstelle 1098600000 ‘Unterjährige Finanzierung ohne Deckung Ergebnishaushalt’ und erhöht damit das Defizit im Ergebnishaushalt.”

Geplant waren für die Versorgung mit häuslicher Pflege ursprünglich 3,455 Millionen Euro. Auch das war schon ein Rekordwert. Der Betrag ist von 1,1 Millionen Euro im Jahr 2007 an ständig gestiegen. 2011 gab die Stadt 4,84 Millionen Euro dafür aus.

Was natürlich völlig unverständlich macht, dass dann 2012 sogar nur mit 3,46 Millionen Euro in die Planung gegangen wurde.

“Die Entwicklung in der ambulanten HzP wird u.a. maßgeblich durch den demografischen Wandel, die Einkommenssituation älterer Menschen, die Veränderung der Familienbeziehungen, welche zu einer zunehmenden Professionalisierung der Pflegearrangements führen sowie die steigende Zahl von Demenzkranken mit einem speziellen Betreuungsbedarf beeinflusst”, heißt es in der Vorlage des Sozialdezernats. “Die Zahlen bei der ‘Heranziehung einer besonderen Pflegekraft (= Einsatz eines professionellen Pflegedienstes)’ sind deutlich von 2007: 184, über 2008: 224, 2009: 305, 2010: 356 auf 2011: 451 gestiegen. Erklärbar ist der zunehmende Einsatz von Pflegediensten zum einen mit ihrer wachsenden Verfügbarkeit und andererseits mit dem Umstand, dass Angehörige und/oder Nachbarn physisch und psychisch, ggf. auch zeitlich immer weniger in der Lage sind, selbst Pflegeleistungen zu erbringen. Der prognostizierte Fallzahlzuwachs liegt mit 10 % eher am unteren Ende.”

Und dazu kommt die schlichte Tatsache, die auch erwähnt wird: “Auf der Grundlage eines vorhandenen Einkommens der Pflegebedürftigen werden überwiegend aufstockende Pflegehilfen geleistet. Für die Zukunft ist davon auszugehen, dass sich das verfügbare Einkommen – i.d.R. aus Rente – aufgrund von Zeiten der Erwerbslosigkeit oder verminderten Erwerbseinkommen mit der Folge eines Anstieges der ergänzend zu gewährenden Leistungen, verringert.”

Heißt im Klartext: Dieser Kostenblock wird für die Stadt Leipzig in den nächsten Jahren weiter steigen. Die sächsische Niedriglohnpolitik wird zur Folgebelastung für den städtischen Haushalt.

Und ganz genauso verhält es sich mit der “Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gem. § 42 SGB XII”. Der Rest ist einfach Ernüchterung: “Die Anzahl der Leistungsbezieher wird im Wesentlichen durch die zunehmende Anzahl Älterer aufgrund der demografischen Entwicklung, die Höhe der Renteneinkünfte bzw. des erwirtschafteten Vermögens, das Mietniveau und die Höhe der Nebenkosten beeinflusst. Diese Einflussfaktoren sind für den Träger der Sozialhilfe nicht steuerbar”, heißt es in der Vorlage. “Die Fallzahlentwicklung weist für den Zeitraum 2007 bis 2011 eine stetige Steigerung mit gleichbleibendem Niveau auf. Im Jahr 2007 erhielten 2.317 Personen Leistungen der Grundsicherung im Alter, 2008 waren es 2.477 Personen (+ 7 %), 2009 dann 2.551 Personen (+ 3 %), 2010 stieg die Zahl auf 2.681 Personen (+ 5 %) und 2011 erhielten 2.883 Personen diese Leistung (+ 7 %). Für die Jahre 2012 und 2013 wird daher eine Steigerung um jeweils 5 % auf 3.027 bzw. 3.178 Personen prognostiziert.”

2011 hatte die Stadt hier mit Kosten von 14,4 Millionen Euro gerechnet, kam am Ende aber bei 15,9 Millionen heraus. 2012 war der Planansatz dann 16,1 Millionen Euro. Aber schon Ende Mai hatte man 8,45 Millionen auszahlen müssen., was nahe legt, dass der Mehrbedarf auch hier 2,5 Millionen Euro höher liegt – bei 18,6 Millionen Euro.

Was dann allein durch die zunehmende Verarmung von älteren Leipzigern einen – nicht geplanten – Mehrbedarf von 5 Millionen Euro im Haushaltsjahr 2012 bedeutet.

Es ist also nicht nur die dümmste, sondern auch die unwirtschaftlichste Politik, in einem Land wie Sachsen auf prekäre und schlecht bezahlte Jobs zu setzen. Das verteilt die Kosten nur um – hin zu jenen, die schon jetzt den größten Teil der Soziallast auffangen müssen, den Kommunen.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar