Es war alles so schön ausgedacht: Bevor Leipzig 2014 das 25-jährige Jubiläum der Friedlichen Revolution mit einem ganz großen Lichtfest feiert, gibt es drei Lichtfeste, auf denen die anderen Länder gewürdigt werden, ohne die es den Herbst 1989 so nicht gegeben hätte. 2011 wurde so die Rolle der polnischen Solidarnosc gewürdigt. 2012 sollte eigentlich Ungarn dran sein. Offiziell ist es das auch. Der Ärger ist programmiert.
Denn im April 2010 gab es einen Erdrutsch in der ungarischen Politik. Das Wahlbündnis der nationalkonservativen Fidesz und der christlich-demokratischen Volklspartei KDNP errang 263 der 386 Sitze im ungarischen Parlament – und damit die für eine Verfassungsänderung nötige 2/3-Mehrheit. Die Verfassung hat die neue Regierungskoalition auch geändert. Sei dem 1. Januar 2012 stehen Gott, Krone (Stephanskrone) und Vaterland, Christentum, Familie und Nationalstolz wieder ganz oben an in der Verfassung. Das Mediengesetz wurde schon 2011 geändert. Am 1. Januar 2011 trat es in Kraft und die “Zeit” titelte damals: “Ungarn führt die Zensur ein”.
Was nun? Wen fragt man da? Kann man die Ungarn düpieren, indem man sie einfach wieder auslädt? Aber was macht man dann aus diesem gewollten Brückenschlag zum Juni 1989, jenem 27. Juni 1989, als der ungarische Außenminister Gyula Horn zusammen mit seinem österreichischen Amtskollegen Alois Mock in einem symbolischen Akt den Stacheldraht an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich zerschnitt?
Seitdem war der Stöpsel raus, seitdem strömten die DDR-Bürger zu Tausenden erst nach Ungarn und dann über die nun offenen Grenze über Österreich nach Westdeutschland. Ohne dieses Loch im Eisernen Vorhang” wäre die Dynamik des Herbstes 1989 nicht erklärbar. Dieses Loch sorgte nicht nur dafür, dass die Verhältnisse in der DDR ins Rutschen kamen. Sie waren auch der Beginn einer so nie erwarteten gemeinsamen europäischen Geschichte. Das ist das Thema, mit dem sich Jürgen Meier, künstlerischer Leiter des Lichtfestes, beschäftigt hat, seit feststand, dass Ungarn zum Lichtfest 2012 thematisiert werden sollte.
Denn mit dieser Grenzöffnung begann eine Geschichte, die tatsächlich eine gemeinsame europäische Geschichte ist. Den Europäern gelang es – wider alle finsteren Erwartungen – den Kalten Krieg und die Teilung des Kontinents friedlich zu beenden. 1989 in Ungarn wesentlich an diesen Veränderungen beteiligt war ein Mann namens Viktor Orbán, seit 1989 Mitglied im Führungsstab der neu gegründeten liberalen Partei Fidesz. Eben jener Partei, die sich in den vergangenen 22 Jahren zu einer streng national-konservativen Partei entwickelte – mit starken Wertsetzungen auf Autoritarismus und Nationalismus. Das Wort Autoritarismus stammt jetzt aus Wikipedia. Man könnte es auch diversen Totalitarismus-Forschern in Deutschland ins Stammbuch schreiben. Wikipedia definiert es “als eine diktatorische Form der Herrschaft, welche zwar zwischen Demokratie und dem diktatorischen Totalitarismus liegt”, aber sich noch von ihnen unterscheidet.
Mit der Fidesz wurde Orbàn 2010 ungarischer Ministerpräsident. Wenn man unbedingt ein Beispiel dafür haben wollte, dass die Erringung von Freiheit und Demokratie noch längst keine Garantie dafür ist, dass jetzt die Bürgerrechte geschützt und die Freiheit und Selbstbestimmung gewahrt bleiben, der hat es hier.
Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung hat das Dilemma versucht zu lösen, indem er sich in der letzten Woche zur Vorbereitung des Lichtfestes mit dem ungarischen Botschafter Jozsef Czukor traf und – wie er erklärt – die aktuellen politischen Entwicklungen in Ungarn sehr kritisch ansprach und seine Sorgen um die Demokratie in Ungarn ansprach. “Es gehört natürlich kritisch angesprochen”, sagte er am Montag, 9. Juli, bei der Vorstellung der Konzeption fürs Lichtfest 2012.
Czukor sollte ursprünglich am 9. Oktober auch mit Burkhard Jung gemeinsam das Lichtfest eröffnen. “Doch er ist dem Kulturminister zuliebe beiseite getreten”, sagte Jung am Montag. Der ungarische Kulturminister, ganz offiziell Minister für “Human Ressources” (Bildung, Gesundheit, Soziales, Kultur, Sport, Jugend), heißt Zoltán Balog. Seit Mai 2012 bekleidet er das Super-Ministerium. Zuvor war Super-Minister Miklós Rétheyli auf Druck von Orban zurückgetreten, weil er – so interpretiert es der “Pester Lloyd” – den Umbau des Landes nach den Vorstellungen Orbáns nicht begeistert genug vorangetrieben hatte.
Balog, zuvor evangelischer Pfarrer und jahrelang Leiter der deutschsprachigen Gemeinde in Budapest, war vor seiner Berufung zum Minister Staatssekretär für Soziale Integration gewesen.
Es ist schon interessant, was sich da um Leipzigs 9. Oktober herum zusammenbraut.
Umfragen gehen zwar davon aus, dass die Fidesz mittlerweile sehr an Zuspruch in der Bevölkeung verloren hat. Aber die Wähler scheinen eben doch nicht wieder zurück zu den liberalen und sozialdemokratischen Parteien zu wandern. Ihre Stimmen könnten bei der nächsten Wahl den Rechtsextremen zugute kommen. Womit Ungarn auch zu einem exemplarischen Beispiel dafür zu werden droht, was passiert, wenn konservative Parteien die nationalistische und die autokratische Karte spielen – beides Politikansätze, die jede Demokratie bedrohen.
Vielleicht wäre es sogar mutig gewesen von Leipzig, im Jahr 1989 Ungarn aus dem Lichtfest-Programm zu streichen. Denn das, was die aktuelle Fidesz-Regierung in Ungarn macht, hat mit dem großen europäischen Aufbruch von 1989 wenig zu tun.
Es sei denn, man nimmt wie Jürgen Meier den damaligen Fidesz-Mitgründer Viktor Orbán beim Wort. Beim Doppelwort: Er sprach damals von Freiheit und Verantwortung. Was auch bedeutet, dass jeder, dem demokratisch die Macht in die Hände gelegt wurde, die Verantwortung hat, die Freiheiten zu verteidigen, die diese Demokratie ausmachen.
Der “Pester Lolloyd” zur Berufung von Zoltán Balog zum neuen ungarischen Super-Minister.
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