Wie diskutiert man eigentlich ein Konzept "Wohnen für Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Leipzig"? Wann beginnt man damit? Mit wem? Wen betrifft es? Wie ausgereift muss es sein? Und vor allem: Reichen zwei Monate, um es im Stadtrat beschließen zu können? Zwei Monate, von denen einer verplempert wurde mit Abwarten und einer mit einer Diskussion, in der sich seltsamste Akteure als Kämpfer um ihren Vorgarten positionierten. Dabei steht Leipzig mit der dezentralen Unterbringung in der Pflicht.

Doch all die Bürgerinitiativen, die sich da mittlerweile gegründet haben, weil sie Asylsuchende in Leipzig natürlich überall freudigst begrüßen – nur nicht in ihrer Nähe – finden mehr als genug Angriffspunkte in dem mit heißer Nadel gestrickten Konzept. Einer der wichtigsten Angriffspunkte ist die Einhaltung der vom Stadtrat gesetzten Obergrenze von 50 Bewohnern in so einer Unterkunft. Das hat nicht nur damit zu tun, dass damit Konfliktpotential minimiert wird, das es trotzdem geben wird. Es geht auch um die Chance der Asylsuchenden, ein menschenwürdiges Leben zu führen und um ihre wirklichen Chancen auf eine Integration.

Mal ganz beiseite: Deutschland wird in den nächsten Jahrzehnten massiv auf Zuwanderung angewiesen sein. Und es wäre gut beraten, wenn es seine Integrationsangebote für alle, die da kommen und Heimat suchen, deutlich verbessern würde.

Das braucht aber auch Unterkünfte, die diese Integration befördern. Und allein weil in Grünau große Wohnblöcke stehen, heißt das nicht, dass man dort einfach die selbstgesetzte Grenze von 50 Unterzubringenden aufweicht. Dafür gibt’s jetzt auch deutliche Kritik von der Agendagruppe Grünau. Diese Gruppe hat sich 1997 gegründet und versucht seitdem, den Prozess der Agenda 21 in Grünau zu befördern – heißt: den durchaus mit Problemen kämpfenden Stadtteil nachhaltig umzugestalten.

Das braucht Fingerspitzengefühl. Einfach als Depot der unerledigten Leipziger Hausaufgaben kann man den Stadtteil im Leipziger Westen nicht nutzen, sonst torpediert man den durchaus nicht einfachen Prozess.Deshalb schrieb die Agenda-Gruppe nun auch extra einen Brief an die Stadträte, die im Juli über das neue Unterbringungskonzept befinden sollen.

“Das Anliegen einer dezentralen Unterbringung von Asylsuchenden unterstützen wir ausdrücklich”, stellen sie fest und verweisen auf ihren wichtigsten Kritikpunkt: “In Ihrem Stadtratsbeschluss RBV-404/10 vom 16.6.2010 legen Sie fest, dass maximal 50 Personen in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen sind.

In Grünau existiert bereits seit vielen Jahren die Gemeinschaftsunterkunft in der Liliensteinstraße mit 220 Plätzen (Belegung 31.12.2011: 249 Personen). Diese soll nach dem Konzept weiter erhalten bleiben. Hierbei handelt es sich um ein allein stehendes Wohnhaus mit abgeschlossenen Wohnungen unterschiedlicher Größe. Neben dem Betreiber leisten umliegende Einrichtungen wie 100. Schule und das Kinder- und Familienzentrum der Caritas umfangreiche Sozialarbeit.

O.g. Konzept sieht in Grünau eine weitere Gemeinschaftsunterkunft in der Weißdornstraße 102 mit 180 Plätzen vor. Diese können sogar bis 250 aufgestockt werden, wenn andere geplante Standorte entfallen. Bei diesem Gebäude handelt es sich jedoch um ein Wohnheim mit Zimmern (ohne abgeschlossenen Wohnraum, z.T. ohne eigenen Sanitärbereich und Küchentrakt). Hier wird aus unserer Sicht weiterhin konzentriert statt wie im Stadtratsbeschluss gefordert dezentralisiert. Eine solche Unterbringung traumatisierter, gestresster Flüchtlinge unterschiedlichster Nationalitäten und Religionen halten wir für zutiefst menschenunwürdig und befürchten ein vielfältiges Konfliktpotenzial.”Entsprechend besorgt äußerten sich auch viele Grünauer bei der Stadtbezirksbeiratssitzung zum Thema. In diesem Fall zu recht besorgt. Denn mit den Grünauer Vorschlägen genügt die Stadtverwaltung dem Stadtratsbeschluss von 2010 in keiner Weise.

“Massenunterkünfte dieser Größe sind auch unter dem Sicherheitsaspekt für die Asylsuchenden äußerst fragwürdig. Rechte Gewaltakte gegen Asylbewerberquartiere, die auch von Seiten der Polizei nicht ausgeschlossen werden, sind zu befürchten. Der zu begrüßende Integrationsgedanke wird in einem solchen Heim aus unserer Sicht ad absurdum geführt”, schreibt die Grünauer Agenda-Gruppe.

Und sie appellieren an die Stadträte, die selbst gesetzte Grenze von 50 Asylsuchenden in einem Gebäude zu respektieren.

Als Hintergrund aus einer der jüngsten Beschwerden von Amnesty International an die Bundesregierung:

Bisher erhalten alleinstehende Asylsuchende monatlich insgesamt 225 Euro für ihren Lebensunterhalt. Familienangehörige erhalten 199, Kinder unter sieben Jahren sogar nur 133 Euro. Zum Teil müssen die Betroffenen über Jahre hinweg von diesen Leistungen leben. Seit 1993 wurden diese Leistungen nicht erhöht.

Das ist noch weniger, als Hartz-IV-Empfänger in Deutschland erhalten. Und wer die Preise selbst in sächsischen Discountern kennt, weiß, dass das alles zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens nicht im Ansatz reicht.

“Die seit 1993 geltenden Summen gewährleisten kein menschenwürdiges Leben”, sagt Katharina Spieß. In Leipzig erhalten die Asylsuchenden die Unterstützung in der Regel als Sachleistung – und dazu einen “Barbetrag für persönliche Bedürfnisse (‘Taschengeld’)”.

Wie eingeschränkt das Leben als Asylbewerber in Leipzig ist, kann jeder im 19seitigen “Wegweiser für Asylbewerber” der Stadt Leipzig nachlesen. Wobei eingeschränkt werden muss: Nur vier Seiten beschäftigen sich mit all den Regeln und Einschränkungen für den Aufenthalt – die restlichen Seiten sind vor allem Adressen von Behörden und Einrichtungen, die der Asylsuchende kennen muss oder aufsuchen kann, wenn er oder sie Hilfe sucht.

Wer als Leipziger nicht weiß, wie ein Leben als Asylbewerber in Leipzig ist, sollte sich die ersten vier Seiten schon sehr genau durchlesen. Und dann einfach mal nachdenken: Was bleibt da noch? Welcher Freiraum? Welche Lebensqualität?

Und was machen junge Leute, wenn sie jahrelang in so einer Einrichtung leben müssen?

Dass sich diese absehbaren Konflikte verschärfen, je mehr Hilfesuchende aus aller Welt man auf engem Raum zusammensperrt, kann man sich leicht ausmalen. Erst recht, wenn draußen Bürgerinitiativen ihr Unwesen treiben, die Angst um ihre “sozio-kulturelle Homogenität” haben.

In Sachsen wurden übrigens 2010 insgesamt 4.892 Empfänger von Regelleistungen nach dem Asylbewerbergesetz gezählt, davon 1.171 unter 18 Jahre.

In Leipzig schwankt die Zahl der Asylbewerber um die 800.

Der “Wegweiser für Asylbewerber”: www.leipzig.de

Die Stellungnahme der Agendagruppe als PDF zum download.

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