Die Linke will vor dem Bundesverfassungsgericht den Fiskalpakt und den neuen Rettungsschirm ESM stoppen, sagt die Leipziger Bundestagsabgeordnete Dr. Barbara Höll im L-IZ-Interview. Auch die aktuelle Einigung von Schwarz bis Grün zur Finanztransaktionssteuer sei kein richtiger Grund zur Freude, so die linke Finanzexpertin.
Frau Dr. Höll, nun wollen Union, FDP, SPD und Grüne sich für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer – wenigstens in einer Reihe von Euro-Ländern – stark machen. Für Sie als Linke ein Grund zur Freude?
Dass wir diesen Zustand erreicht haben, ist bereits ein Erfolg. Allerdings bleibt das Misstrauen gegenüber der FDP, ob diese die Finanztransaktionssteuer tatsächlich voranbringen will, oder sich nicht doch noch ein Schlupfloch offen lässt, um diese zu torpedieren. Ein richtiger Grund zur Freude wäre es für mich erst, wenn noch in diesem Jahr ein Beschluss des Bundestages gefasst würde, die Finanztransaktionssteuer einzuführen, zur Not auch erst einmal in Deutschland, so wie in Frankreich.
Ende des Monats werden Bundestag und Bundesrat über den Fiskalpakt und den zweiten europäischen Rettungsschirm ESM abstimmen. Wird die Linke angesichts der Euro-Krise bei dieser ganz großen Koalition mitmachen?
Nein, bei dieser “großen Koalition” wird Die Linke nicht mitmachen. Das hat folgende Gründe: Die europäische Fortschreibung von Schuldenbremsen wird notwendige Investitionen verhindern. Wenn in der jetzigen Situation dann noch Altschulden getilgt werden sollen, wird Europa weiter in die Rezession abdriften. Auch soll das Budgetrecht der Parlamente durch den ESM und Fiskalpakt noch weiter eingeschränkt werden.
Daher wollen wir mit Eilanträgen die Ratifizierung des Fiskalpakts und des ESM vor dem Bundesverfassungsgericht stoppen. Den ESM und den Fiskalpakt jetzt einfach im Parlament abzusegnen, halte ich angesichts der umstrittenen Wirkungen sowie der nicht kalkulierbaren Risiken für Deutschland und Europa sowie der Verantwortung, die ich gegenüber den Bürgerinnen und Bürger dieses Landes habe, für nicht vertretbar.Mittlerweile sucht mit Spanien eines der großen EU-Länder Schutz unter dem Rettungsschirm. Wie weit reicht denn die Spannweite der vereinbarten Rettungsschirme noch?
Das kann ich nicht sagen. Fakt aber ist: Die alleinige Aufstockung der Rettungsschirme konnte die Krise bisher nicht lösen. Was wir daher definitiv vorrangig brauchen, ist eine vernünftige Regulierung der Finanzmärkte, in der Art und Weise, dass unsinnige Finanzspekulationen gegen Staaten verhindert werden und die Finanzmärkte auf ihre eigentlichen Funktionen zurückgestutzt werden.
Auch gehört in den Lösungskatalog eine gerechtere Verteilung von großen Vermögen, eine europaweite Vermögensabgabe wäre hier eine Option. Ein weiterer Aspekt zur Lösung der Krise wäre angesichts des Auseinanderdriftens der wirtschaftlichen Entwicklung der Mitgliedsstaaten eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik innerhalb Europas.
Fakt ist auch: Die Erweiterung der Spannweite der Rettungsschirme wird die Situation nicht lösen.
Selbst wenn die Finanztransaktionssteuer kommt, stellt sich die Frage, wer die milliardenschweren Schutzinstrumente denn bezahlen soll. Wie kann das aus Ihrer Sicht geschehen?
Die so genannten Schutzinstrumente, sprich: Rettungsschirme, haben nicht zur Beruhigung der Krise beigetragen und können es auch in Zukunft nicht leisten. Und das wird auch solange nicht passieren, bis die Finanzmärkte nicht endlich im Sinne der Interessen der Bürgerinnen und Bürger Europas reguliert werden.
Auch muss dafür Sorge getragen werden, dass endlich einmal diejenigen, die von der Krise profitiert, beziehungsweise sie verursacht haben, zur Finanzierung der Krisenkosten herangezogen werden. Das darf nicht alles auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abgewälzt werden.
Und was die Finanzierung angeht, mangelt es ja nicht an Finanzvermögen. Selbst in Krisenzeiten wuchs die Anzahl der Millionäre, wie eine jüngste Veröffentlichung des Beratungsunternehmens Capgemini und der Royal Bank of Canada zeigt. Demnach stieg die Anzahl der Millionäre in Deutschland im Jahr 2011 um rund drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf über 950.000. Hierbei sind selbst genutzte Immobilien, Kunstschätze und Luxusautos noch nicht einmal berücksichtigt.
Reichen denn alle diese Schirme zur Krisenbewältigung?Wie ich in den vorangegangenen Antworten bereits sagte: Solange die Finanzmärkte, damit auch die Finanzprodukte, nicht entsprechend, also im Sinne der Interessen der Bürgerinnen und Bürger Europas, reguliert werden, können noch so viele Rettungsschirme aufgebläht werden, es wird nichts nützen. Wir brauchen endlich eine koordinierte europäische Wirtschaftspolitik sowie eine Stärkung der deutschen Binnennachfrage.
Von links kommt die Kritik, dass Hilfeempfänger wie Griechenland durch die EU-Troika in ihren Souveränitätsrechten eingeschränkt werden. Andererseits scheinen die Milliardenhilfen gerade in Deutschland ohne Kontrollen nicht vermittelbar. Wie ließe sich dieses Dilemma auflösen?
Kontrolle ist wichtig, da sind wir uns wohl alle einig. Aber das Absprechen von Souveränitätsrechten geht zu weit. Ich vermute mal, dass die Bundesregierung, sollte Deutschland einmal in eine ähnliche schwierige finanzielle Lage kommen, dem nicht zustimmen würde, was derzeit von Griechenland verlangt wird.
Auch ist es volkswirtschaftlich absurd: Zum einen werden Griechenland von außen Sparmaßnahmen vorgegeben, diese führen jedoch zur Destabilisierung des Steuersubstrats. Zum anderen verlangt man von Griechenland, dass es seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert, dazu bedarf es aber Steuereinnahmen.
Was sollte Griechenland Ihrer Meinung nach tun?
Fakt ist: Die Sparmaßnahmen sind für die Binnennachfrage Griechenlands volkswirtschaftlich schädlich. Die Bundeskanzlerin sagte zu Beginn der Krise in Deutschland, jetzt dürfe nicht gespart, sondern es müsse investiert werden. Dass sie jetzt von Griechenland das Gegenteil verlangt, ist ökonomisch unverständlich.
In Sachen historische Erfahrungen bezüglich Transformation zur Marktwirtschaft oder im Bereich Entwicklungspolitik stellte die Stiftung Wissenschaft und Politik (SPW) übrigens kürzlich fest, dass von außen verordnete Reformen scheitern werden. Gesellschaften müssen ihre Entwicklungsstrategien selbst formulieren. Die Verantwortung gehört nach Athen.
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Allerdings sehe auch ich in Griechenland dringenden Reformbedarf, beispielsweise in der Steuerverwaltung. Auch muss sich Griechenland die Frage gefallen lassen, ob ein so hoher Rüstungshaushalt notwendig ist. Hier könnte ohne weiteres gespart werden.
Von der Euro-Krise zur Euro 2012, die gerade in Polen und der Ukraine stattfindet. Was verbinden Sie mit dem sportlichen Großereignis Fußball-Europameisterschaft?
Ich verbinde damit zum einen große sportliche Leistungen, diese hat unsere deutsche Nationalmannschaft geleistet. Zum anderen verbinde ich mit der Europameisterschaft den Fall Julia Timoschenko, der im Fußballfieber die letzte Zeit leider etwas untergegangen ist.
Vielen Dank für das Gespräch.
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