"Ohne Bildung keine Zukunft" oder "Wissen ist Macht" sind zwei Sprüche, die immer wieder zu hören sind, wenn sich Politiker mit diesem Thema beschäftigen. Der Leipziger Stadtrat hat am heutigen 20. Juni seine zweite bildungspolitische Stunde abgehalten und die vor einem Jahr in Auftrag gegebenen Leitlinien beschlossen. Mit diesen soll nun die Leipziger Bildungslandschaft weiterentwickelt werden.
Am 20. April 2011 wurde es historisch im Leipziger Stadtrat, denn es wurde zum ersten Mal eine bildungspolitische Stunde abgehalten. Damals sagte Oberbürgermeister Burkhard Jung in seiner Rede: “Der Geist ist der wichtigste Rohstoff, denn andere Rohstoffe haben wir nicht.” Und obwohl sich alle Fraktionen bei dem Thema einig waren und sind, gab es bis dato keine ressortübergreifende Zusammenarbeit. Das soll sich nun ändern.
Die Leitlinien im Einzelnen:
Leitlinie1: Menschen in allen Bildungsphasen fördern und stärken
Leitlinie 2: Unterschiede anerkennen und Vielfalt stärken
Leitlinie 3: Bildungszugänge schaffen und Bildungsübergänge sichern, unabhängig von sozialräumlichen Besonderheiten
Leitlinie 4: Vielfältige Bildungsformen und -orte nutzen
Leitlinie 5: Familien als Bildungspartner wertschätzen
Leitlinie 6: Über den Tag hinaus denken und Bildung als kommunalpolitische Kernaufgabe gestalten
Leitlinie 7: Bildung gemeinsam verantworten
Die Leitlinien sind von Akteuren inner- und außerhalb der Stadtverwaltung ausgearbeitet worden und beruhen zum Beispiel auf Ergebnissen des Bildungsreports 2011 oder der Bildungskonferenzen 2010 bzw. 2011. Auch das Bundesprogramm “Lernen vor Ort” und verschiedene Veranstaltungen zum Thema haben Einfluss genommen.
Oberbürgermeister Burkhard Jung leitete die bildungspolitische Stunde ein. Der Diskurs sei durch “Lernen vor Ort” beschleunigt worden, sagte er. Die Arbeit hier in Leipzig sei sehr erfolgreich, bundesweit sogar als vorbildlich angesehen, weshalb eine weitere Förderung vom Bund zugesagt worden sei.
“Bildung ist Qualifikation für den Arbeitsprozess, sie ermöglicht Mündigkeit”, so Jung. In Leipzig werde weiterhin ein integrierter Ansatz verfolgt, der allgemein Bildungsbeteiligung fördern, Ausgrenzung abbauen und die Entwicklung der Bildungslandschaft in allen Stadtteilen beinhalten soll. Gerade die Hürden an den Übergängen von zum Beispiel der Grund- zur Mittelschule und auch die sehr hohe Quote von Schulabbrechern hier in Leipzig seien im besonderen Fokus.
Die vielen Konzepte, die sich schon mit Bildungsthemen beschäftigen, aber auch zum Beispiel die senioren- oder migrantenpolitischen Leitlinien werden in dem neuen Papier berücksichtigt. Und natürlich zählen auch die vielen Stadtentwicklungskonzepte dazu, denn Bildungsmöglichkeiten gehen auch immer mit vorhandener Infrastruktur einher. Und da ist in Leipzig ja noch nicht alles so rosig, wie es eigentlich sein sollte: Eine Reihe von Schulen und Kindertagesstätten fehlen.
Jede Fraktion hatte zehn Minuten, um sich zu den Leitlinien zu äußern. Den Anfang machte die CDU mit Stefan Billig. Er fragte, ob die Leitlinien in dieser Form wirklich nötig seien, da es ja bereits andere Konzepte gebe. Das vorliegende Papier sei mit Binsenweisheiten gespickt und in Teilen pathetisch. Außerdem sei die Aufgabe einer Kommune in erster Linie die Erhaltung und Bereitstellung der technisch-materiellen Basis. “Wir sind doch keine Außenstelle des Kultusministeriums,” so Billig. “Konkret und nicht unbestimmt” wünschte sich der CDU-Stadtrat die Leitlinien, ihm fehlten die Handlungsansätze.
Als nächste trat Margitta Hollick (Die Linke) ans Rednerpult. Sie machte deutlich, dass ihre Fraktion eine andere Auffassung hat als ihr Vorredner: “Lernen vor Ort richtet sich an alle, auch an den Stadtrat, deshalb Bildungspolitik. Bildung ist aber eben nicht nur Sache des Freistaats.” Ihre Fraktion setzt sich für eine Bildungsgerechtigkeit ein: “Jeder sechste Jugendliche ist ohne Schulabschluss. Das ist ein Kreislauf, den wir durchbrechen müssen.” Die Wirksamkeit und der Nutzen solcher Leitlinien hingen aber auch immer von deren Qualität ab, aber auch vom Umgang mit ihnen innerhalb der Verwaltung. Hollick findet, entgegen Billigs Meinung, dass die Leitlinien in verständlicher Sprache formuliert seien.
Ute Köhler-Siegel redete für die SPD-Fraktion: “Jedes Kind hat einen Lerntrieb, der hier in Leipzig aber zu schnell nachlässt. Das müssen wir herausfinden, warum, und dann gegensteuern.” Die Brüche in den meisten Bildungsbiographien könne man verhindern, indem man frühkindliche Bildung stärke. “Die Familie ist der erste Bildungsort. Wir müssen die Erziehungskompetenzen stärken, aber auch immer wieder einfordern,” so Köhler-Siegel. Der Kita-Aufbau und damit die Schaffung von ausreichenden Betreuungskapazitäten ist der Fraktion besonders wichtig, denn hier könne die Kommune handeln.
Norman Volger von den Grünen sprach wie Jung die Mündigkeit eines Menschen an: “Kein demokratisches Gemeinwesen kann leben und atmen ohne mündige Bürger und Bürgerinnen. Mündigkeit setzt aber freien Geist und das Wahrnehmen von Dialektik voraus.” Lebenslanges Lernen sei zwar keine primäre Aufgabe der Kommune, aber die Vernetzung der Einrichtungen und die Personalstruktur müsse bzw. könne von der Stadt gemacht werden. Volger wies auf die Kürzungen vom Land hin (z. B. Jugendpauschale), die eine Bildungsgerechtigkeit erschweren würden. Der Grüne-Stadtrat forderte “mehr Freiheit für die Bildung, mehr Offenheit für Bildungsreformen”.
Es müssten “Bildungsorte statt Lehrstätten” geschaffen werden.
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Michael Burgkhardt von der Bürgerfraktion schloss sich seinen Vorrednern an und betonte nur noch einen Aspekt: Die sprachliche Entwicklung oder eben Nicht-Entwicklung, die mit Denglisch oder Kanak Sprak im alltäglichen Leben ziemlich verkümmert sei. Hier müsse was getan werden. Er habe nichts gegen die Leitlinien, fragte sich aber schon: “Was bringt uns das jetzt genau? Man kann nichts dagegen haben, deshalb wird meine Fraktion den Leitlinien zustimmen. Eine Zustimmung ist schadlos.”
Die bildungspolitische Stunde wurde von René Hobusch von der FDP beendet. Er hob vor allem das Lottospiel mit der Kita- und Krippenplatzvergabe hervor: “Das ist kein Zufall mehr, sondern ein Systemfehler.” Er kritisierte Sozialbürgermeister Thomas Fabian: “Hier besteht kein Wahlrecht, sondern Mangelverwaltung.” Eine Neuordnung der Platzvergabe sei dringend nötig. Hobusch weiter: “Die Leitlinien sind richtig, dürfen aber nicht über die dringenden, praktischen Problemen hinwegtäuschen.” Es brauche eine Prioritätensetzung im Haushalt, denn auch diese Wahrheit gehöre auf den Tisch, er wolle keine Schönwetterpolitik.
Damit war es Zeit für die Abstimmung der Vorlage über die bildungspolitischen Leitlinien der Stadt Leipzig. Den Ergänzungsantrag von Malte Reupert (Grüne) hatte der Antragsteller kurzerhand zurückgezogen. Die Ratsversammlung hat dann fast einstimmig das Papier beschlossen. Im Laufe des Jahres werden die noch sehr theoretischen Punkte in konkrete Handlungsempfehlungen umgewandelt. Dazu sollen sich die Leipziger Bürgerinnen und Bürger einbringen. Im September ist zum Beispiel eine Veranstaltungsreihe in der Volkshochschule geplant.
Links zu pdfs (Anlage 1 und 2 der Vorlage):
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