Gerhard Pötzsch sitzt für die SPD-Fraktion unter anderem im Betriebsausschuss Kulturstätten. Auch im Kulturausschuss sitzt er. Genau wie der Fraktionsvorsitzende Axel Dyck. Anders als andere Fraktionen hat die SPD-Fraktionen keinen Vorschlag auf Zusammenlegung verschiedener Häuser vorgelegt. Im Gegenteil. Sie warnt vor voreiligen Entscheidungen.

Und dezidiert warnt Axel Dyck davor, Entscheidungen zu treffen, deren Folgen nicht absehbar seien. “Ich persönlich traue mir gar nicht zu, so eine weit reichende Entscheidung zu treffen. Keiner weiß wirklich, welche Folgen jede einzelne Entscheidung hat”, sagt er. Geprüft habe man jeden einzelnen Vorschlag der anderen Fraktionen.

“Aber ich sehe keinen Vorschlag, der auch nur die Chance auf eine Mehrheit im Stadtrat hätte”, sagt Pötzsch. Dyck: “In der Summe denken wir, dass alles, was sich hier an Strukturveränderungen abzeichnet, nicht dem Wert der Kultureinrichtungen entspricht.”

Einen Zeitdruck, noch im Jahr 2012 Grundsatzentscheidungen zu treffen, sehen beide nicht, sehen auch im anstehenden OBM-Wahlkampf keinen Grund, Zeitdruck zu erzeugen. Axel Dyck: “Es kostet Zeit. Das ist nicht von heute auf morgen zu machen.”

“Einfach rummachen bringt hohe Risiken mit sich”, sagt Pötzsch. Die steigenden Kosten sieht er wohl. Und das actori-Gutachten habe für ihn durchaus zwei wichtige Erkenntnisse gebracht. Die Analyse der steigenden Kosten sei das eine. Doch actori habe auch deutlich gemacht, welchen Wert die Kulturlandschaft für Leipzig habe.

“Und es ist dieses Kulturangebot, das den eigentlichen Kern der Kulturstadt Leipzig ausmacht”, sagt Pötzsch. “Etwas anderes haben wir nicht. Und da wollen wir jetzt einfach mit der Schere ran?”

Gezeigt habe das Gutachten auch, wie schlank die Strukturen der vier Kultureigenbetriebe mittlerweile seien. 33 Millionen der 40 Millionen Euro, die die Oper zur Verfügung hat, sind reine Personalkosten. “Weiter kürzen geht da gar nicht. Man braucht eine Mindestzahl von Tänzern, um Ballett zu machen, man braucht eine Mindestzahl von Sängern, um überhaupt Oper machen zu können. Gibt zwar auch die moderne Variante, dass in einer Mozart-Oper alle Rollen von nur einem Sänger übernommen werden – aber das kann doch nicht das sein, was wir wollen!”Gerade die Oper sei für ihn ein Beispiel dafür, wie kurzatmig Kulturpolitik in Leipzig mittlerweile sei. “Wir haben gerade einen neuen Intendanten installiert. Wir haben gerade seine Planungen für die nächsten Jahre im Stadtrat bestätigt – und das wollen wir jetzt alles wieder über den Haufen werfen, weil wir denken, dass wir eine schnelle Lösung brauchen?”

Dabei habe sich der neu installierte Intendant Prof. Ulf Schirmer doch gerade zu den Zielen bekannt, die auch der Stadtrat einverlangt habe: höhere Auslastungszahlen und ein attraktiveres Angebot für die Leipziger. “Da muss man ihn doch erst mal machen lassen. So was kommt nicht von heut’ auf morgen”, sagt er.

Auch die Musikalische Komödie sei ein Pfund. “Das einzige eigenständige Operettenhaus in Deutschland neben Dresden. Ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Und das wollen wir einfach dicht machen?”

Was ihm fehlt – und was auch das actori-Gutachten nicht leisten konnte – ist eine verlässliche Ermittlung der so genannten Umwegrendite. Für die Leipziger Messe gibt es solche Berechnungen. Für die Leipziger Kultur gibt es sie nicht. So dass auch niemand sagen kann, welchen wirtschaftlichen Effekt die 75 Millionen Euro Zuschuss für Oper, Gewandhaus, Schauspiel und Theater der Jungen Welt tatsächlich haben. Keine einfache Rechnung, denn hier schlagen zusätzliche Hotelbuchungen durch angereiste Gäste genauso zu Buche wie zusätzliche Einnahmen in der Gastronomie, aber auch zusätzliche Unternehmensansiedlungen oder Effekte im Marketing der Stadt selbst. Das Gewandhausorchester, das in diesem Etat enthalten ist, ist regelmäßig auch als Botschafter der Stadt Leipzig unterwegs.Was Pötzsch aber kritisiert, ist das mangelhafte Marketing der Häuser selbst. Teilweise ist das Budget der Häuser viel zu klein. Andererseits aber wurstelt auch jeder für sich allein, reitet seine eigene ach so geniale Werbestrategie. Oft ist die Vermarktung der Stücke so seltsam, dass die meisten Leipziger gar nicht mehr mitbekommen, was in ihren großen Kultureinrichtungen passiert. Und überregional würde praktisch gar nichts zur Vermarktung der Kulturstadt Leipzig passieren. “Mit diesem Pfund muss viel mehr gewuchert werden”, fordert der SPD-Stadtrat.

So ähnlich formuliert es auch Dyck. Beide sehen keine Chance in einem Umbau der Einrichtungen, wenn man ihn nicht gemeinsam mit den Leitungen der Häuser bewerkstellige. “Hier müssen wir ins Gespräch kommen. Und diese Gesprächsgremien gibt es ja auch seit einer Weile. Da kann ich doch nicht einfach als Stadtrat beschließen: Ihr macht das jetzt so.”

Leipzig braucht einen Kulturwirtschaftsbericht, sind sich beide sicher. Dazu habe die SPD-Fraktion jetzt auch eine entsprechende Initiative gestartet. Damit könne man durchaus die Universität Leipzig betrauen. “Und federführend muss natürlich das Amt für Wirtschaftsförderung sein, keine Frage”, sagt Pötzsch. “Wir können doch nur Entscheidungen treffen, wenn wir überhaupt wissen, worum es geht.”

Deswegen sei es im ersten Schritt unumgänglich, dass “wir mehr Geld ins System geben”. So ist ja auch der Vorschlag des OBM für die Ratsversammlung formuliert. “Und dann werden wir uns trotzdem zusammensetzen müssen”, sagt Pötzsch. “Darum kommen wir gar nicht herum. Aber ich wünsche mir das in einer gewissen Ruhe und Gelassenheit.” Er teilt dabei eine Einschätzung des langjährigen IWH-Forschers Ulrich Blum, dass all das, was an Leipzig gekappt würde, unwiederbringlich verloren sei.

Er hat das Gefühl, dass über all den Debatten um die Auslastung in den Häusern, Sanierungen, Intendanten, schlechte Inszenierungen in letzter Zeit das Gefühl der Leipziger für den Wert ihrer Kulturinstitutionen verloren gegangen ist.

Dass niemand mehr über die Kürzung der Kulturraumgelder durch die Landesregierung spricht, hält er mittlerweile schon für sehr bedenkenswert. Auch diese Millionen fehlen im System.

Das actori-Gutachten: www.leipzig.de (http://www.leipzig.de/imperia/md/content/01-2_medien_kommunikation_stadtbuero/news/20111102_projektergebnisse-actori-leipzig-kultur.pdf)

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