Transparenz ist die Medizin gegen Interessenverflechtung, sagt Thomas Walter von den Leipziger Piraten im L-IZ-Interview. Mit einer Transparenzsatzung soll das hiesige Rathaus gläsern werden. Ihren Satzungsvorschlag wollen die Freibeuter in Orange weiter diskutieren: zum einen auf ihrem Kreisparteitag am 3. Mai 2012, aber auch mit anderen Parteien.

Herr Dr. Walter, Sie haben eine Transparenzsatzung für Leipzig erarbeitet, mit der das örtliche Verwaltungshandeln gläsern werden soll. Was gab dazu den Anstoß?

Ich bin am 1. Oktober 2011 in die Piratenpartei eingetreten, da ich seit Jahrzehnten die drei Gewalten unserer Demokratie, nämlich Legislative, Judikatur und Verwaltung intensiv mit zunehmender Resignation und Wut beobachtete. Denn ich musste immer wieder zur Kenntnis nehmen, wie infolge der menschlichen Untugenden – Machtgier, Geltungsbedürftigkeit, Missgunst und Eigennutz – ständig Entscheidungen gefällt wurden und Skandale hochkamen, die nicht dem Gemeinwohl dienten.

Die noch sehr allgemein formulierten Grundsätze der Piraten zu Freiheitsrechten und Transparenz inspirierten mich, hier nun Nägel mit Köpfen zu machen und für Sachsen und Leipzig entsprechende Programmvorschläge zu erarbeiten. Neben Transparenzgesetz beziehungsweise Transparenzsatzung wären hier noch die Leitsätze zur Transparenz in der Gesetzgebung und die Offenlegung der Nebentätigkeiten, Verdienste und Aufwandsentschädigungen von hohen Beamten, Abgeordneten und Justizangehörigen zu benennen.

Der Landesparteitag am 25. März 2012 ist meinen Anträgen dazu auch fast einstimmig gefolgt. Und mittlerweile haben neben Leipzig auch andere Kreisverbände der Piraten analoge Forderungen für ihre Kommune – zum Beispiel in Chemnitz und Dresden – erhoben.

Auf welche Erfahrungen andernorts griffen Sie dabei zurück?

Der Vollständigkeit muss ich allerdings erwähnen, dass natürlich das “Hamburger Modell” hier Pate stand und ich hier schon auf einen Gesetzesentwurf für das Land Hamburg zurückgreifen konnte, das ich nur noch auf die sächsischen Besonderheiten und die kommunalen Möglichkeiten umschreiben musste.

Transparenz ist die Medizin, die in allen Bereichen von Politik, Verwaltung und Justiz dringend erforderlich ist, um der Krake der Interessenverflechtung ihre Fangarme zu kürzen. Oder mit einem anderen Bild zu sprechen: Mit dieser Medizin wird so manchem Haifisch zum Zahnausfall verholfen.

Sie verweisen auf das Land Hamburg. Wie schätzen Sie die Situation in Sachsen ein?

Sachsen ist bislang eine “Informationsfreiheitswüste”, das heißt eines der wenigen Länder, die überhaupt kein Informationsfreiheitsgesetz IFG haben. Der Vorstoß aus 2000/2001 der SPD im Landtag scheiterte am konservativen Widerstand.

Allerdings war auch dieser Vorstoß der SPD nur halbherzig, hat sich doch bundesweit – nach Inkrafttreten des Bundes-IFG von 2005, das nach 7 Jahren Rot-Grün gegen den Widerstand und der Weichspülung durch die Ministerialbürokratie in letzter Minute vor der Abdankung der damaligen Bundesregierung noch verabschiedet werden konnte – erwiesen, dass im Geltungsbereich der IF-Gesetze doppelt so viele Informationsbegehren abgewiesen als stattgegeben werden.

In Sachsen wäre es bei dem SPD-Modell von 2000 auch nicht anders gekommen. Und in der SPD/CDU-Koalition 2004-2009 war schon gar keine Rede mehr dazu von der SPD zu hören.Gilt bei dem Thema also: Still ruht der See?

Jetzt haben kürzlich die Linken im Landtag einen neuen Vorstoß unternommen, aber auch der ist noch nicht weitgehend genug. Meine Stellungnahme dazu im Detail kann ich aber erst im Mai verfassen. Und schließlich musste ich im November 2011 die Initiative der Grünen im Stadtrat zu einer Informationsfreiheitssatzung zur Kenntnis nehmen, die aber nur beinhaltete, dass entsprechend den herkömmlichen IFG-Grundsätzen die Verwaltung eine Satzung entwerfen solle.

Mit anderen Worten: Die Grünen wollten allen Ernstes den Bock zum Gärtner machen. Denn wer erwartet allen Ernstes, dass die Verwaltung sich selbst ein enges Korsett anlegt, dass sie sich somit selbst gläsern machen wollen? Hierzu bedarf es vielmehr massiver Hilfe des Stadtparlamentes, das hier die passenden Normen erst noch durch Verabschiedung dieser Satzung ins Leben rufen muss.

Welche Veränderungen für den Bürger wären mit der Satzung verbunden?

Der Bürger, aber auch die Presse, könnte mit diesem Transparenzmodell weitestgehend alle Vorgänge der Verwaltung beobachten und damit kontrollieren. Subventionen, Ausschreibungen, sämtliche Haushaltsvorgänge könnten en detail nachvollzogen werden.

Übergangene potentielle Vertragspartner könnten noch rechtzeitig Rechtsschutz erlangen, ehe vollendete Tatsachen geschaffen werden. Es gäbe mehr Konkurrenz und Innovation. Mehr Einblick inspiriert und animiert Dritte sich einzubringen, sei es durch günstigere Lieferung von Waren oder Leistungen, oder durch sinnvollere Investitionen in den Standort Leipzig.

Bedeutet dies nicht finanziellen Mehraufwand für die Verwaltung?Letztlich führt dies zur Verhinderung unnötiger Verwaltungsausgaben. Dringend benötigte Finanzmittel würden für Kitas, Schulen, Krankenhäuser und so weiter frei und könnten so zielgerechter zum Wohle der Bürger und damit für die Stadt verwendet werden.

Viele Skandale der Vergangenheit, für die die Stadt Leipzig schon negative Berühmtheit erlangt hat, wären mit dieser Transparenzsatzung nicht mehr denkbar. Alleine das Bewusstsein der Verwaltung, dass so mancher bislang dunkle Winkel im Verwaltungsgeschehen immer hell erleuchtet sein wird, führt schon zu viel umsichtigeren Handeln der Verantwortlichen.

Daher ist es auch so wichtig, dass dieses Transparenzmodell nicht abgeschwächt verabschiedet wird, denn sonst geht die ganze Wirkung verloren. Das braucht sicherlich eine Gewöhnungszeit. Nach der Satzung ist hierfür ein Jahr vorgesehen.

Wie hat denn die Stadtverwaltung auf Ihre Ideen bislang reagiert?

Noch gar nicht, denn die Sache ist erst seit Februar durch unsere für alle Parteien einsehbaren Mailinglisten der Piraten im Gespräch. Aber durch die bisherigen Veröffentlichungen war die Verwaltung sehr wohl in der Lage, sich den Satzungsentwurf auf den Tisch zu legen. Und gegebenenfalls kann die Verwaltung dies alles auch berücksichtigen, bevor sie mit einem eigenen Entwurf an die Öffentlichkeit tritt.

Ich setze mich gerade dafür ein, dass die Piraten alsbald im Mai ein neues Treffen mit den anderen Parteien in Leipzig organisieren und dass vielleicht parteiübergreifend hier ein konstruktiver Dialog zustande kommt. Gleichwohl wäre es eine Sensation, sollte der Stadtrat sich auf dieses Hamburger Modell einigen können. Dann würden in der Tat neue Zeiten in Leipzig anbrechen.

Am vergangenen Donnerstag beim Piraten-Treffen haben Sie die Vertreter der etablierten Parteien mit Ihrem Satzungsvorschlag konfrontiert. So recht verbindlich fielen die Reaktionen noch nicht aus. Wie wollen Sie das Thema in Leipzig weiter behandelt sehen?

Die Piraten bleiben am Ball. Wir werden es dem Bürger erklären, alsbald werden wir regelmäßig ein bis zwei Mal im Monat in der Innenstadt mit einer Aktion präsent sein.

Wir versuchen, so natürlich das Problembewusstsein der Bevölkerung zu schärfen, die eigentlich nur darauf warten, dass man “Denen in der Verwaltung” mal auf die Finger schaut. Das erhöht stetig den Druck auf den Stadtrat und die Verwaltung.

Am Ende wird nichts anderes übrig bleiben, als dieses Transparenzmodell auch umzusetzen, ansonsten würde es in Leipzig weitergehen wie bisher, nur dass dann das bittere Ende der materiellen und ideellen städtischen Insolvenz immer näher rückt.

https://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Notar1957/Transparenzsatzung

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