Eine Sekundärauswertung der Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 durch das Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig zeigt, mit welchen Themen die Wähler vor der Bundestagswahl 2025 mobilisierbar sind. Im Policy Paper zeigen Prof. Dr. Oliver Decker und Prof. Dr. Elmar Brähler, unter welchen Parteianhängern derzeit antidemokratische und autoritäre Erwartungen besonders ausgeprägt sind. Die Daten der Leipziger Autoritarismus Studie 2024 sind geeignet, Aussagen über die Wählerschaft der verschiedenen Parteien zu treffen.

Ein wichtiger Befund dieser Sekundärauswertung ist die Wählerwanderung von Menschen mit rechtsextremer Einstellung und autoritären Aggressionen weg von der CDU/CSU und SPD hin zur AfD. Unter den Anhängern der Parteien fallen immer wieder die der AfD durch hohe Aggressionsbereitschaft und Ressentiments gegen viele Bevölkerungsgruppen auf. In diesem politischen Milieu herrscht eine destruktive Atmosphäre, in der die Ausgrenzung von Menschen auf der Grundlage einer behaupteten Gruppenzugehörigkeit legitimiert wird.

Ein gleichberechtigter, demokratischer Aushandlungsprozess ist unter solchen Bedingungen schwer vorstellbar. Da diese Ressentiments politisch wirksam werden sollen, geht heute von dieser Einstellung selbst eine Bedrohung der liberalen Demokratie aus. Die Wahl der AfD ist Ausdruck einer politischen Willensbildung, die von autoritär-destruktiven Bedürfnissen getragen ist. Auffällig ist zudem, dass die Themen der AfD kaum noch an die politische Kultur anderer Parteien anschlussfähig sind.

AfD hat größtes Mobilisierungspotential bei den Nichtwählern

Während CDU/CSU-, SPD-, FDP- und Grünen-Wähler in der Regel mit der Alltagsdemokratie zufrieden sind, finden sich die Unzufriedenen vor allem unter den AfD-Wählern, gefolgt von denen der Linkspartei, des BSW und den Nichtwählern.

Diese Gemeinsamkeit darf aber nicht über die Unterschiede hinwegtäuschen: Während die politischen Milieus von Linkspartei und BSW nur geringe Überschneidungsbereiche mit den Themen der AfD haben, sind sie bei den Nichtwählern groß, weswegen sie eine zusätzliche Wählerreserve der AfD sein könnten, wenn es der Partei gelingen würde, sie zum Urnengang zu mobilisieren.

Liberal-demokratisch eingestellte Wähler sind unentschieden

Ganz anders sieht es bei denjenigen aus, die gegenwärtig unsicher sind, welche Partei sie wählen wollen. Sie sind in ihrer politischen Orientierung liberal-demokratisch eingestellt, ihre Unzufriedenheit mit der Demokratie ist nicht im selben Maße mit Ressentiments verbunden wie bei AfD-Wählern. Möglicherweise fühlen sie sich der Parteienlandschaft entfremdet und sind auf der Suche nach einer politischen Heimat bei den anstehenden Bundestagswahlen.

Aber eine abgefragte Dimension stellt so manches, was im aktuellen Wahlkampf passiert, infrage. Das ist die Dimension Ausländerfeindlichkeit, die allein bei AfD-Anhängern zu über 60 Prozent Zustimmung findet, bei anderen Parteien aber nicht in dem Maß, selbst bei CDU/ CSU nur zu 21,5 Prozent. Das heißt: Wenn andere Parteien als die AfD jetzt aktuell so vehement die Migrationsdebatte betreiben, dann stärken sie nicht ihren eigenen Kern, sondern allein den der AfD. Und sie jagen der AfD auch keine Wähler ab.

Wenn jetzt also ausgerechnet eine Verschärfung der Migrationsgesetzgebung den Wahlkampf bestimmt, verunsichert das vor allem die Wählerschaft der demokratischen Parteien und setzt politische Schwerpunkte, die dort überhaupt nicht die wesentliche Rolle spielen.

Ausländerfeindlichkeit bei verschiedenen Parteianhängern. Grafik: Uni Leipzig/Else-Frenkel-Brunswik-Institut
Ausländerfeindlichkeit bei verschiedenen Parteianhängern. Grafik: Uni Leipzig/Else-Frenkel-Brunswik-Institut

Dass sich die Union keinen Gefallen damit tut, wenn sie die Themen der AfD übernimmt, macht auch die konkretere Untersuchung des typischen CDU/CSU-Wählers deutlich: „Anders die Wähler der Unionsparteien (CDU/ CSU), von denen viele die Konventionen betonen. Auch autoritäre Aggressionen sind hier häufig, etwa wenn Unruhestifter – nach Meinung vieler Wähler – zu spüren bekommen sollen, dass sie unerwünscht sind. Wähler von CDU/CSU behelfen sich in einer unübersichtlichen Welt, von der sie sich relativ häufig überfordert fühlen, offenbar mit starren Regeln und Normen.

Sie stützen zwar die Idee der Demokratie und sind zufrieden mit der Verfassung, aber nur die Hälfte von ihnen ist mit der Alltagsbürokratie zufrieden – damit gehören sie noch immer zu den Stützen der gegenwärtigen Demokratie. Gab es unter den Anhängern von CDU/CSU bis vor zehn Jahren viele mit einer extrem-rechten Einstellung, sind dort derzeit kaum noch Menschen mit einer Affinität zu Motiven der Neo-NS-Ideologie anzutreffen.“

Hilflosigkeit und Ohnmacht

Die Untersuchung der AfD-Wählerschaft macht hingegen deutlich, warum sich diese Menschen in einem autoritär-chauvinistischen Angebot eher aufgehoben fühlen: „Psychodynamisch interessant sind die hohe Depressionsneigung und die generalisierte Ängstlichkeit.

Vor diesem Hintergrund lassen sich die autoritären Aggressionen als Abwehr von Hilflosigkeits- und Ohnmachtsängsten verstehen, die auch in der Verschwörungsmentalität mitschwingen, wenn in den sie umgebenden Ereignissen das Wirken ‚gefährlicher Feinde‘ aus gemacht wird. AfD-Wähler begegnen der Erfahrung von Differenz besonders häufig mit dem Wunsch nach Homogenität und der Betonung starrer Konventionen, was sie für völkische Ideologien erreich bar macht.“

Das wäre vielleicht ein Ansatz, die Beweggründe dieser Wähler zu verstehen. Und auch zu verstehen, wo die Ursache für diese massive Verunsicherung in der Gesellschaft liegen könnten.

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