Noch vor Weihnachten konnte das Amt für Statistik und Wahlen die Auswertung der „Bürgerumfrage 2023“ vorlegen. Die eigentlich eine Bürgerumfrage 2023/2024 war, denn die Befragungsergebnisse wurden bis Anfang 2024 eingesammelt. Und deshalb sind die Ergebnisse auch jetzt noch aktuell, werden erst im Herbst durch die Ergebnisse der „Bürgerumfrage 2024“ aktualisiert. Und eine zentrale politische Frage ist ja seit Jahren: Wo sehen den die Leipziger tatsächlich die größten Probleme in der Stadt?
Das sind eben nicht immer die Probleme, mit denen einige Parteien bei Wahlkämpfen auf Stimmenfang gehen. Das wurde auch im Wahlkampf für die Stadtratswahlen im Juni sichtbar, wo so manche Partei Probleme plakatierte, die so gar nichts mit den aktuellen Herausforderungen der Stadt zu tun haben.
Wohnen nun Problem Nr. 1
Dabei gibt es genug, was den Leipzigern auf den Nägeln brennt. Und dazu gibt es eben für 2023 auch ein Novum, denn erstmals rückte das Problem Wohnen ganz an die Spitze aller Problemsichten. Denn immer mehr Leipziger habe inzwischen entweder das Problem, überhaupt noch eine bezahlbare und geeignete Wohnung zu finden.
Und immer mehr bekommen eine Mieterhöhung verpasst, die das sowieso schon knappe Haushaltsbudget zusätzlich belastet – oft genug parallel zur Erhöhung der Nebenkosten, weil auch diese – vor allem durch die Heiz- und Energiekosten getrieben – steigen.
Das geht gerade bei vielen Leipziger Gering- und Normalverdienern an die Substanz, weil ihre Einkommen mit dieser Mietentwicklung nicht mithalten können.
Und so verwundert es eigentlich nicht, dass sich die Nennung des Wohnens als Problem seit 2016 mehr als verdoppelt hat. Waren es damals nur 22 Prozent der Befragten, die hier ein Problem sahen, stieg der Wert 2023 auf 48 Prozent. Was eben bedeutet, dass fast jeder zweite Haushalt das Wohnen mittlerweile als echte Herausforderung sieht. Und das in einer Landschaft, in der gerade viel zu wenige Wohnungen mit Mietpreisbindung gebaut werden.
Dafür hat das alte Dauerthema Kriminalität und Sicherheit an Bedeutung abgenommen. Waren es zeitweilig 50 Prozent der Befragten, die hier das größte Problem der Stadt sahen, waren es 2023 nur noch 41 – womit das Thema auf Rang 3 unter den großen Problemen abgerutscht ist.
Sammelsurium-Thema Verkehr
Beim zweitplatzierten Thema Verkehr freilich muss man vorsichtig sein. Denn so weit oben in der Hierarchie landet es erst, seit in der Befragung alle Verkehrsprobleme in einem einzigen Befragungspunkt zusammengezogen wurden, obwohl sich die Leipziger alle unterschiedlich im Straßenraum fortbewegen und völlig unterschiedliche Problemsichten haben.
Während Autobesitzer eher Probleme mit Stellplätzen, Ampelschaltungen und Straßenpflaster haben, sehen Radfahrer die Probleme in fehlenden oder unsicheren Radverkehrsanlagen. Und Fußgänger erkennen Probleme bei fehlender Barrierefreiheit, zugeparkten Kreuzungen, rücksichtslosem Fahrverhalten der stärkeren Verkehrsteilnehmer. Und auch der ÖPNV steckt mit drin, mit fehlenden Haltestellen, fehlenden Anbindungen, dünnen Takten.
Was dann in der Summe das Thema Verkehr für 43 Prozent der Befragten zum „größten Problem“ macht.
Wobei auch hier gestutzt werden darf, denn in der Summe der ganzen Probleme war der Verkehr 2016 mit 65 Prozent der Nennungen ein noch viel größeres. Was nun einmal auch heißt: Die befragten Leipziger sehen das Thema Verkehr im Lauf der Jahre immer wenige als Hauptproblem an – auch weil sich da und dort für verschiedene Verkehrsteilnehmer die Dinge zum Besseren gewandelt haben.
Was freilich der Punkt ist, der an dieser Stelle eine konkrete Analyse unmöglich macht, weil nicht sichtbar wird, in welchem Verkehrssegment die Verbesserungen besonders spürbar wurden.
Wachsende Sorgen um Armut und Einkommen
Dafür ist ein Hinweis des Amtes für Statistik auf das Problem wichtig, das sich mit 37 Prozent der Nennungen mittlerweile auf Rang 4 vorgeschoben hat: das Thema Armut und Einkommen, das 2016 nur von 16 Prozent der Befragten genannt wurde. Aber gerade mit dem ersten Corona-Jahr 2020 ist dieser Problempunkt in der Aufmerksamkeit deutlich in den Vordergrund gerückt.
Was nicht heißen muss, dass die Armut tatsächlich gewachsen ist. Aber viele Haushalte, die zuvor ganz gut mit ihrem Einkommen zurecht kamen, haben seitdem erfahren, dass steigende Preise ihnen heftiger zusetzen und das Geld für viele lebenswichtige Dinge eben nicht mehr reicht.
Am Beispiel des Vergleichs von Mieten und Einkommensentwicklung (Grafik siehe oben) macht das Amt für Statistik und Wahlen deutlich, wie sich das gerade bei Miete und Wohnen auswirkt: Denn ganz offensichtlich hat die Mietpreisentwicklung in den letzten Jahren die Einkommenszuwächse in vielen Haushalten aufgefressen. Die Grafik zeigt hier das tatsächlich gestiegene nominale Personennettoeinkommen – statistisch betrachtet haben alle Sachsen und Leipziger mehr Geld in der Börse.
Aber parallel haben die steigenden Preise und Mieten (hier berechnet als spezifischer Verbraucherpreisindex für Leipzig und Sachsen), die Zugewinne nicht nur aufgefressen, sondern dafür gesorgt, dass die Sachsen und die Leipziger nicht nur gefühlt weniger Geld zur Verfügung haben. Das reale Personennettoeinkommen in Leipzig lag danach 2023 um satte 416 Euro unter dem nominalen. Die Leipziger konnten sich also trotz gestiegener Einkommen nicht mehr leisten als 2019.
Wobei man hier berücksichtigen muss, dass es immer um Durchschnittswerte geht. Denn da stecken Haushalte mit drin, die trotzdem wachsende reale Einkommen hatten – und eben eine steigende Zahl von Haushalten, die auf einmal in Schwierigkeiten kommen, ihre monatlichen Kosten zu decken.
Unterschiedliche Problemsichten nach Alter
Und es lohnt sich eben auch ein Blick auf die Altersstruktur bei den Befragten. Und da wird deutlich, dass es ausgerechnet die jungen Leipziger (18 bis 34 Jahre) sind, die massive Probleme beim Wohnen und dem Finden einer bezahlbaren Wohnung sehen (66 Prozent), während dieses Problem aus Sicht der Senioren eher marginal ist – sie haben ja in der Regel eine Wohnung.
Und dasselbe beim Thema Sicherheit – aber hier genau andersherum: 67 Prozent der Senioren sehen hier das größte Problem, während es für junge Leute eher eine geringe Rolle spielt. Das war auch in früheren Befragungen so und hat nachweislich nichts mit dem tatsächlichen Kriminalitätserleben zu tun, dafür eine Menge mit der Berichterstattung der Medien, die gern selbst da steigende Kriminalität vermelden, wo es gar keine Steigerung gibt.
Beim Verkehr liegen die Einschätzungen der Befragten dafür dicht beieinander. Was natürlich einer genaueren Betrachtung wert ist. Dazu kommen wir im nächsten Beitrag.
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