Die Auswertung der Bürgerumfrage 2023 macht auch sichtbar, warum und wie gerade die Leipziger mit niedrigen Einkommen unter Inflation und Mietsteigerungen leiden. Sie hatten zwar – genauso wie die oberen Einkommen – seit 2013 Teil an den statistisch erfassten Einkommenszuwächsen. Doch wie das mit Prozenten so ist: Was bei oberen Einkommen tatsächlich zu mehr Geld in der Börse führt, bedeutet am unteren Ende der Skala seit 2020 reale Einkommensverluste.

„Das Nettoäquivalenzeinkommen der Mieterinnen und Mieter in Leipzig liegt im Jahr 2023 im Mittel (Median) bei rund 1.780 Euro und folglich circa 90 Euro unter dem mittleren Wert für die Gesamtstadt, der auch die Wohneigentümer/-innen enthält“, beschreibt die Auswertung der Bürgerumfrage die Lage der Dinge.

„Im Vergleich zum Vorjahr konnten Leipzigs Mieter/-innen zwar ein um circa 70 Euro höheres Nettoäquivalenzeinkommen realisieren, nach Mietzahlung verbleibt jedoch im Mittel noch ein Nettoäquivalenzresteinkommen von rund 1.300 Euro. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies also nur noch einer nominalen Steigerung von rund 50 Euro.“

Zwar ächzen viele Unternehmen – und auch die Leipziger Stadtverwaltung – unter den deutlich gestiegenen Personalkosten durch höhere Tarifabschlüsse. Aber bei vielen Leipzigern kommen die Zuwächse gar nicht an. Sie erlebten 2023 trotzdem reale Einkommensverluste, wie der Bericht zur Bürgerumfrage erläutert.

„Berücksichtigt man alle weiteren Preissteigerungen (Inflation der weiteren Verbraucherpreise), haben Leipzigs Mieter/-innen im Jahr 2023 im Mittel reale Einkommensverluste von 30 Euro im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen. Seit dem Jahr 2021 verzeichnen Leipzigs Mieter/-innen folglich reale Kaufkraftverluste nach Zahlung der Miete“, so der Bericht.

Die Einkommensentwicklung der unterschiedlichen Einkommensgruppen im Zeitverlauf. Grafik: Stadt Leipzig/Bürgerumfrage 2023
Einkommensentwicklung der unterschiedlichen Einkommensgruppen im Zeitverlauf. Grafik: Stadt Leipzig/Bürgerumfrage 2023

Und besonders leiden die Haushalte mit niedrigen Einkommen unter der drastischen Steigerung der Lebenshaltungskosten: „Blicken wir auf die einkommensschwächsten 20 Prozent der Mieterinnen und Mieter, zeigt sich, dass die nominale Einkommenssituation nach Mietzahlung bereits seit 2020 stagniert. Wird ferner die Teuerung der weiteren Verbraucherpreise berücksichtigt, ist nach Mietzahlung und inflationsbereinigt bereits seit 2020 ein faktischer (realer) Einkommensrückgang festzustellen.

Die einkommensschwächsten 20 Prozent der Mieterinnen und Mieter verfügen aktuell nach Zahlung der Miete und bei Berücksichtigung der Inflation aller weiteren Verbraucherpreise um 85 Euro weniger im Monat als noch im Jahr 2020.“

Wenn die Mietsteigerung zuschlägt

Völlig anders das Bild in der Gruppe der einkommensstärksten Mieterinnen und Mieter. Dort „dagegen die Äquivalenzeinkommen vor und nach Mietzahlung an. Aufgrund der starken Inflation der weiteren Verbraucherpreise haben jedoch auch die Einkommensstärksten im Jahr 2021 und 2023 reale Einkommensverluste erlitten. Im Langzeitvergleich hingegen konnten die einkommensstärksten Leipziger/-innen ihr reales Nettoäquivalenz-Resteinkommen nach Mietzahlung um immerhin 168 Euro steigern.“

Was dann eben auch sichtbar macht, warum die steigenden Mieten in ganz Leipzig vor allem die einkommensschwachen Haushalte treffen, die dagegen keinen Puffer haben. Auch darüber berichtete ja der Bericht zur Bürgerumfrage 2023: „In den vergangenen zehn Jahren sind die Mieten in Leipzig deutlich angestiegen, wobei der Anstieg der Angebotsmieten stärker ausfällt (+ 66 Prozent) als der Anstieg der Bestandsmieten (+ 35 Prozent).

Zudem ist die Schere zwischen den Angebots- und Bestandsmieten stetig größer geworden: 2013 lagen die Angebotsmieten im Mittel (Median) mit nur fünf Cent pro Quadratmeter über den Bestandsmieten (2014 sogar 2 Cent darunter), 2023 sind es 1,63 Euro pro Quadratmeter mehr. Dies kann in der Summe als Indikator für einen zunehmend angespannten Wohnungsmarkt in Leipzig gesehen werden. Für umziehende und zuziehende Miethaushalte wird Wohnen in Leipzig somit tendenziell teurer.“

Und zur Mietentwicklung gehören nun einmal auch die Heizkosten. Und da wird es in den nächsten Jahren noch teurer, weil die CO₂-Umlage vor allem Heizen mit Öl und Erdgas deutlich verteuert.

Die BeschriftungStrategien der Leipziger Haushalte, mit steigenden Mieten umzugehen. Grafik: Stadt Leipzig/Bürgerumfrage 2023
Strategien der Leipziger Haushalte, mit steigenden Mieten umzugehen. Grafik: Stadt Leipzig/Bürgerumfrage 2023

Wenn für Kinder kein Platz mehr ist

Und wenn das durch eine Umlage für einkommensschwache Haushalte nicht aufgefangen wird, wird das richtig teuer für den Leipziger Stadthaushalt. Denn dann rutschen hunderte Haushalte zwangsläufig in den Bereich, in dem sie gezwungen sein werden, Wohngeld zu beantragen. Und genau hier sehen viele der Befragten tatsächlich den einzigen Ausweg aus der Klemme, die sie nicht selbst geschaffen haben.

„Bei den Bewältigungsstrategien, wie Haushalte, die eine Erhöhung der Kaltmiete um 15 Prozent nicht problemlos bezahlen können, mit der Mieterhöhung umgehen, stehen nach wie vor der Verzicht auf andere Ausgaben (46 Prozent) sowie die Beantragung eines Mietzuschusses (41 Prozent) an oberster Stelle.

Hier ist ein deutlicher Unterschied zwischen Haushalten mit Kind(ern) und ohne Kind festzustellen: Erstere geben deutlich häufiger (+24 Prozentpunkte) an, einen Mietzuschuss beantragen zu wollen als die Vergleichsgruppe. Deutlich seltener (-15 Prozentpunkte) können oder möchten sie auf andere Ausgaben verzichten.“

Gerade Haushalte mit Kindern haben oft kaum Möglichkeiten und Spielraum, auf wichtige Ausgaben zu verzichten. Womit man bei der Frage ist, welche die aktuellen Politiker fast aller Parteien einfach ausblenden, wenn es um die Frage von Demografie und Geburtenrate geht: Wer mit einer Familie unter solch prekären Verhältnissen starten muss und keine Ausweichoption in eine bezahlbare und familiengerechte Wohnung hat, der verzichtet zuallererst auf den Kinderwunsch.

Es ist die Bruchstelle unserer Gesellschaft, die am deutlichsten macht, wie radikales Marktdenken dazu führt, dass eine Gesellschaft ihre Kinder verliert.

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