Wenn es um moderne Datenverwaltung geht, ist Deutschland ein Dritte-Welt-Land. Was mit Entscheidungen aus den 1980er Jahren zu tun hat, die deutschen Behörden untersagen, ihre Datenbestände abzugleichen. Was wiederum unter anderem zum Ergebnis hat, dass keine Zahl so ungewiss ist wie die aktuelle Einwohnerzahl. Wie viele Einwohner/-innen Leipzig aktuell hat, weiß kein Mensch. Vielleicht irgendwas zwischen 607.000 und 630.000. Oder auch nicht.
Das hat mit dem im Jahr 2022 durchgeführten Zensus für die gesamte Bundesrepublik zu tun, bei dem wieder – stichprobenartig – Daten für die gesamte Republik gesammelt und hochgerechnet wurden. Im Ergebnis „verlor“ die Bundesrepublik rund 1,5 Millionen Einwohner und reihenweise mussten deutsche Großstädte ihre Einwohnerzahlen nach unten korrigieren. Oder auch nicht.
Denn Leipzig will gegen den durch den Zensus ermittelten „Verlust“ von rund 20.000 Einwohnern in der amtlichen Statistik in Widerspruch gehen, kündigte Finanzbürgermeister Torsten Bonew am 2. Oktober in der Haushaltssitzung des Stadtrates an. Denn diese 20.000 Einwohner weniger bedeuten eben sofort auch acht Millionen Euro weniger Finanzzuweisungen im Jahr.
Diese Finanzzuweisungen von Bund und Land werden nämlich nicht nach der Einwohnerzahl im Melderegister verteilt, sondern nach der amtlich festgestellten Zahl. Wobei Bonew betonte, dass die Prüfung des Zensus-Bescheides noch ausstehe und die Stadt sich einen Widerspruch vorbehalte.
Im Register stehen jetzt 630.000
Aber im Ergebnis klaffen die Zahlen aus dem Melderegister und die amtlich ermittelte Einwohnerzahl für Leipzig immer weiter auseinander. Was nun auch für die jüngste von der Stadt veröffentlichte Einwohnerzahl für den September 2024 zutrifft. 630.456 registrierte Einwohner/-innen meldet das Amt für Statistik und Wahlen – eine Zahl, die der letzten veröffentlichten Bevölkerungsprognose entspricht. Laut Melderegister wächst die Leipziger Bevölkerung weiter, hat seit September 2023 um 5.346 Personen zugenommen.
Was kein Pappenstiel ist, denn für all diese Menschen braucht es ja Wohnungen, ärztliche Versorgung, Schul- und Kita-Plätze. Die Stadtverwaltung muss mit solchen Zahlen ihre Bauaktivitäten planen.
Aber wie kann man planen, wenn gleichzeitig die amtlichen Zahlen um 20.000 niedriger liegen und damit die Schlüsselzuweisungen von Bund und Ländern entsprechend niedriger ausfallen? Das Geld fehlt sowieso schon in den Kassen sächsischer Kommunen, die durch die Bank unterfinanziert sind. Auch Leipzig.
Gleichzeitig wächst – wie Torsten Bonew betonte – vor allem die finanzielle Belastung der Stadt im Sozialbereich von Jahr zu Jahr. Dort fehlt das Geld also zuallererst.
Gründe für das Auseinanderklaffen der amtlichen und der Melderegisterzahlen sind vor allem fehlende Abmeldungen: Menschen ziehen um und melden sich in Leipzig nicht ab. Was in der Regel erst auffällt, wenn das Leipziger Ordnungsamt wieder eine größere Registerbereinigung vornimmt. Aber diese Bereinigungen umfassten in den vergangenen Jahren nie die Größenordnung, die der Zensus ermittelte.
Was zumindest die Frage aufwirft, warum die Diskrepanz ausgerechnet beim Zensus 2022 derart groß war.
Es gibt 6 Kommentare
@Rudi
Na was denn nun?
Sie haben eine einfache Lösung präsentiert: “Was nicht funktioniert ist der Abgleich der Daten mit dem Ausland, insbesondere mit Afghanistan, Irak und Syrien.”
Der Zensus macht nie Folgefehler. Der fragt einfach eine Handvoll Leute, und dann wird dieses Ergebnis interpoliert.
Korrekt, ziehen Menschen ins Ausland, entstehen vermutlich Fehldaten.
Ehrlich gesagt, würde ich hier mal eine Zwangsmeldung seitens Amt initiieren.
Jeder muss sich im Jahr einmal melden, sonst gibt’s eine Strafgebühr / Leistungsentzug (PA ungültig o.ä.)
Legitim fände ich das, weil der Staat / die Stadt hält ja alles auch vor für seine Bewohner.
Da ist es das Mindeste, seinen Anteil daran beizusteuern.
@christian
Das ist das Problem, wenn man einfache Lösungen für ein komplexes Problem sucht. Dann kommt man zu solchen Schlussfolgerungen. Die Gemengelage wird im Artikel zumindest angerissen. Der Zensus macht eine Hochrechnung. Diese hat er jetzt zum 2. Mal gemacht. Bereits 2011 hattest du keine tatsächliche Bevölkerungszahl. Auf Grundlage dieser neuen amtlichen Bevölkerungszahl wurde der Zensus 2022 durchgeführt und wieder eine neue amtliche Bevölkerungszahl ermittelt. Weggezogen ins Ausland ohne sich abzumelden sind also nicht 20.000 Menschen, sondern eine Anzahl Personen im Bereich 10.000 – 30.000. Die genaue Zahl weiß niemand. Man weiß auch nicht in welches Land diese Personen gezogen sind. Nur weil sie aus Afghanistan kamen, heißt das noch lange nicht, dass sie wieder nach Afghanistan gezogen sind. Insbesondere bei Menschen aus Kriegsgebieten ist es eher wahrscheinlich, dass eine “Familienzusammenführung” innerhalb eines sicheren Landes erfolgte, bspw. in einem anderen EU-Land. Aber auch mit EU-Ländern gibt es keinen Abgleich. Was man weiß: Im Einwohnermelderegister stehen auch Personen, die definitiv nicht mehr in Deutschland sind. Hier gibt es eine Ãœbererfassung. Der Zensus macht wahrscheinlich eine Untererfassung. Wen man nun aus dem Melderegister streichen müsste, ist im Moment völlig unklar.
Es gibt übrigens noch ein anderes Problem: Mehrfacherfassung wegen uneinheitlicher Transkription des Namens. Da wird dann die selbe Person unter leicht geändertem Namen mehrfach erfasst. Das passiert immer mal wieder wenn im Herkunftsland keine lateinischen Buchstaben verwendet werden.
@Rudi,
das bezweifele ich aber.
Wenn wir in Leipzig 20.000 Leute zu viel haben: Sind dann 20.000 Menschen nach Afghanistan, Irak oder Syrien gezogen und wir haben es nicht mitbekommen???
@christian
Der Abgleich innerhalb Deutschlands funktioniert weitestgehend. Was nicht funktioniert ist der Abgleich der Daten mit dem Ausland, insbesondere mit Afghanistan, Irak und Syrien.
Wenn man sich in einer anderen Stadt anmeldet, oder den Wohnort wechselt und auf dem Amt seinen PA anpassen will, werden doch sämtliche Daten erfasst?! Auch die vorherigen. Mir ist schleierhaft, dass man es im Zeitalter der Digitalisierung, oder meinetwegen des Faxes oder Telefons, nicht schafft, geänderte Daten im Datenbestand abzugleichen.
Das ist ein skandalöses Armutszeugnis für eine Verwaltung.
Allerdings kann es auch nicht sein, dass nun die korrekte Anzahl an Menschen über eine interpolierte und hochgerechnete Umfrage erhoben wird.
Um zu erfahren, wen man aus dem Melderegister streichen muss, hat die Nachbarstadt Halle Saale alle Menschen im Einwohnermelderegister angeschrieben. Ca. 6.000 Briefe kamen zurück und hier findet nun die Prüfung statt, wer tatsächlich nicht mehr da ist. Das ist zwar ein großer Aufwand, aber irgendwo muss man auch mal mit der Korrektur des Überbestandes anfangen.
Ursprünglich dachte man in Halle allerdings, dass man mit der Briefaktion belegen könnte, wie stark der Zensus untererfasst.
https://dubisthalle.de/zensus-2022-anhoerungsverfahren-startet-zaehl-aktion-der-stadt-halle-nach-ansicht-des-statistischen-landesamtes-nicht-geeignet-zur-ueberpruefung-der-zensus-ergebnisse