Am 12. September legte das Leipziger Amt für Statistik und Wahlen eine erste Auswertung der Landtagswahl am 1. September vor. Demnach wurden Wählerinnen und Wähler aus 13 repräsentativ ausgewählten Wahllokalen zu ihrer Wahlentscheidung, zu ihren Gründen hierfür, zur Demokratie- und Regierungszufriedenheit und weiteren Themen befragt. Die Landtagswahl entschied sich demnach an den Themen Migration, Krieg in der Ukraine/Rüstung sowie anhand taktischer Erwägungen, um einen Rechtsruck beziehungsweise eine AfD-Mehrheit zu verhindern.

So jedenfalls interpretiert das Amt für Statistik und Wahlen die Ergebnisse der Befragung: „Das Thema Migration wurde vor allem von den Wählerinnen und Wählern der AfD benannt (58 Prozent), der Krieg in der Ukraine und das Thema Rüstung waren den Wählern des neuen BSW am wichtigsten bei ihrer Entscheidung (29 Prozent).

Wählerinnen von CDU, Die Linke und SPD gaben jeweils am häufigsten an, eine Mehrheit für die AfD beziehungsweise einen Rechtsruck verhindern zu wollen (zwischen 29 und 37 Prozent). 40 Prozent der Wähler/-innen von Bündnis90/Die Grünen gaben den Klima- und Umweltschutz als wahlentscheidend an, auf Rang 2 stand das taktische Wählen.“

Die Wirkung der wild gewordenen Migrationsdebatte

Zumindest zeigte diese Wahl, was passiert, wenn fast alle Parteien die Phrasen der ausländerfeindlichen AfD wiederholen und verstärken und gerade die Union auf Bundesebene immer neue Forderungen nach einer Verschärfung des Asylrechts verkündet, sodass die Wähler den Eindruck bekommen, Migration sei tatsächlich das größte Problem.

Die ausschlaggebenden Themen für die Wahlentscheidung der Leipziger am 1. September. Grafik: Stadt Leipzig
Die ausschlaggebenden Themen für die Wahlentscheidung der Leipziger am 1. September. Grafik: Stadt Leipzig

Während ein Thema, das wirklich brennt, nur von 7 Prozent der Befragten für wichtig erachtet wurde: die Klimakrise. Die sich – der Blick nach Polen, Tschechien und Österreich zeigt es ja dieser Tage – längst zur Klimakatastrophe ausgewachsen hat. Migration ist ein Ablenkungsthema – und gleichzeitig selbst eine Folge von drastischen Klimaveränderungen weltweit.

Aber das Katzenkonzert gegen jeden Versuch der Bundesregierung, wenigstens ein paar kleine Schritte beim Klimaschutz voranzukommen, ist ja allgegenwärtig. Das negative Bild, das so von der Arbeit der Bundesregierung in den Köpfen der Wähler herumgeistert, beeinflusste auch diese Wahl.

„Die Befragung zeigt zudem, dass die befragten Wahllokalwähler mit der Arbeit der sächsischen Landesregierung nur teilweise zufrieden sind. Sie erhielt auf einer angesetzten Skala von 1 (sehr zufrieden) bis 5 (sehr unzufrieden) eine Durchschnittsnote von 3,1. Die Regierungsarbeit der Bundesregierung wurde hier durchweg schlechter beurteilt und erhielt eine Note von 3,9. Eine Ausnahme bilden nur Wählerinnen der Bündnis90/Die Grünen, welche die Bundesregierung etwas besser einschätzen als die Landesregierung“, stellte das Amt für Statistik und Wahlen fest.

Die Unzufriedenheit mit der Demokratie

Und es ließ auch nach der Zufriedenheit der Befragten mit der Demokratie fragen. Ergebnis: „Die Zufriedenheit mit der Demokratie fällt moderat bis gering aus. Nur 34 Prozent der Befragten sind mit der Demokratie in Deutschland zufrieden. Die geringe Zufriedenheit geht teilweise einher mit einer Abkehr von der demokratischen Staatsidee.“

Zur Zufriedenheit mit der Demokratie nach Alterskohorten. Grafik: Stadt Leipzig
Die Zufriedenheit mit der Demokratie nach Alterskohorten. Grafik: Stadt Leipzig

So kann man das interpretieren, muss man aber nicht.

Die Schnellauswertung beleuchtet dieses Thema deutlich differenzierter. Denn hier wurde deutlich, dass die „Zufriedenheit mit der Demokratie“ eine Menge mit Umbruch- und Unsicherheitserfahrungen zu tun hat: „Nach Altersgruppen betrachtet, herrscht insbesondere in der Altersgruppe der 55- bis unter 75-Jährigen eine besonders geringe Zufriedenheit mit der Demokratie vor.

Dabei handelt es sich um eine Altersgruppe, die in Leipzig höhere Anteile erwerbsloser Personen bzw. gebrochener Erwerbsbiografie in Folge der Wiedervereinigung aufweist. Geringere Rentenanwartschaften und ein höheres Risiko für Altersarmut sind die Konsequenz (Stadt Leipzig, 2022).“

Es ist also keine aus der Luft gegriffene Unzufriedenheit, sondern der nüchterne Blick auf eine zutiefst ungerechte Gesellschaft. Und dieser Blick auf eine zutiefst frustrierende Lebensbilanz macht natürlich anfällig für radikale Parolen und Versprechen.

Davon profitierten am 1. September besonders zwei Parteien: „Deutliche Parallelen zwischen der Wählerschaft der AfD und des BSW zeigen sich bei der Frage nach der persönlichen Lebenszufriedenheit und der Zukunftssicht. Der Anteil der Wähler/-innen der AfD, der mit dem eigenen Leben zufrieden ist, liegt nur bei 29 Prozent. Bei den Wähler/-innen der GRÜNEN ist er mit 87 Prozent dreimal so groß. Zufriedenheitsdefizite mit ihrem Leben im Allgemeinen weisen Leipzigerinnen und Leipziger auf, die BSW gewählt haben (nur 46 Prozent zufrieden).

Beim Blick auf ihre Zukunft zeichnen die Wählerinnen und Wähler der AfD und des BSW das mit Abstand pessimistischste Bild: Nur 29 Prozent (AfD) bzw. 30 Prozent (BSW) blicken optimistisch auf ihre persönliche Zukunft. Bei der Wählerschaft der übrigen Parteien überwiegen hingegen optimistische Zukunftsszenarien: jeweils mehr als 50 Prozent ihrer Anhängerschaften geben an, optimistisch oder eher optimistisch in die Zukunft zu blicken.“

Das Zukunftsproblem der CDU

Es hätte auch noch schlimmer kommen können. Denn die befragten Leipziger schauen mehrheitlich nicht besonders zufrieden auf die Zukunft: „Die ermittelten Zufriedenheitswerte der Leipziger Befragten sind insgesamt als eher niedrig einzuordnen. Vergleichswerte liegen nur in abgewandelter Formulierung aus dem Eurobarometer des Europäischen Parlaments vor.

Anhand der EU-weiten Untersuchung konnte für die Bundesrepublik Deutschland ein Zufriedenheitswert von 57 Prozent ermittelt werden, die höchste Demokratiezufriedenheit herrscht aktuell in Dänemark und Luxemburg (jew. 87 Prozent), die niedrigste in Bulgarien und der Slowakei (jew. 40 Prozent) sowie Griechenland (37 Prozent) und Zypern (36 Prozent; Tsoulou Malakoud, et al., 2023).“

Die Leipziger haben nach diese Schnellumfrage eine Lebenszufriedenheit von 60 Prozent.

Zukunftssicht der Wähler nach ihrer Parteienpräferenz. Grafik: Stadt Leipzig
Die Zukunftssicht der Wähler nach ihrer Parteienpräferenz. Grafik: Stadt Leipzig

„Ein erheblicher Anteil von etwa einem Drittel der Leipzigerinnen und Leipziger, die mit Listenstimme im Wahllokal CDU, DIE LINKE, GRÜNE oder SPD gewählt haben, begründet die Entscheidung taktisch damit, eine Mehrheit für die AfD im neuen sächsischen Landtag verhindern bzw. dem Rechtsruck entgegenwirken zu wollen“, heißt es im Schnellbericht.

Was dann auch die deutlichen Wählerwanderungen begründet, hinter denen ganz offensichtlich eine Menge taktisches Wählen steckt. Oder so formuliert: Auch in Leipzig wurde die CDU nur die Nr. 1, weil sie massiv Unterstützerstimmen von vorherigen Wählern der Grünen, SPD und Linken bekam,

Und das, obwohl – bis auf eine Mehrheit der CDU-Wähler – die meisten Wählerinnen und Wähler mit der Regierungsarbeit in Sachsen denkbar unzufrieden sind. Da wäre eigentlich nach 34 Jahren Dauerregierung der CDU ein Regierungswechsel fällig gewesen. Aber eben nicht hin zur AfD, die so lange vom Migrationsgeplärre profitiert, wie diese Scheindebatte auch von bürgerlichen Politikern verstärkt wird.

Wobei die Befragung auch deutlich macht, dass die CDU das Spiel auf diese Art nicht noch einmal wird treiben können. Denn die Wählerschaft der CDU ist massiv überaltert. Den „Wahlsieg“ fuhr sie in Leipzig vor allem mit den Stimmen der 60- bis 80-Jährigen ein, während sie bei den unter 40-Jährigen kaum noch punkten konnte. Dort dominierte am 1. September erstaunlicherweise Die Linke, die ganz offensichtlich die Themen der jungen Generation wesentlich besser vertritt.

Wähler von CDU, AfD und Die Linke nach Alterskohorten. Grafik: Stadt Leipzig
Die Wähler von CDU, AfD und Die Linke nach Alterskohorten. Grafik: Stadt Leipzig

Und das korrespondiert erstaunlicherweise wieder mit der Zufriedenheit mit der Demokratie, die bei den unter 40-Jährigen am höchsten ist und gerade bei den 40- bis 65-Jährigen geradezu ins Bodenlose abzustürzen scheint. Was – wie die Schnellbefragung eben auch bestätigt – mit der Erfahrung der Selbstwirksamkeit in der Demokratie zu tun hat. Obwohl keiner Alterskohorte der Weg versperrt ist, sich einzubringen in Ehrenamt, Initiativen, politischer Meinungsbildung.

Aber während die jungen Leute diese Chance augenscheinlich wahrnehmen, scheint gerade bei den 40- bis 65-jährigen die Vorstellung vorzuherrschen, dass sie sich in die Gemeinschaft nicht einbringen können.

Was sich dann in Demokratie- und Staatsfrust verwandelt: „Problematisch ist eine eingeschränkte Demokratiezufriedenheit, da sie Auswirkungen auf die Unterstützung demokratischer Systeme hat. In Abb. 16 ist grafisch dargestellt, dass mit zunehmender Unzufriedenheit des demokratischen Systems in Deutschland auch die Unterstützung demokratischer Systeme insgesamt sinkt. Nur noch 55 Prozent derjenigen, die mit der Demokratie in Deutschland unzufrieden sind, halten die Demokratie an sich für die beste aller Staatsideen.“

Die Befragung

Die Stadt Leipzig hatte am 1. September 2024 vor 13 Wahllokalen sogenannte Exit-Polls durchgeführt. Die Wählerinnen und Wähler wurden nach Verlassen des Wahllokals von einer beziehungsweise einem Erhebungsbeauftragten der Stadt Leipzig nach einem Zufallsprinzip angesprochen und um das Ausfüllen des Fragebogens gebeten.

Diese Befragung ist repräsentativ für Leipzigerinnen und Leipziger, die in Wahllokalen gewählt haben – nicht jedoch für Briefwähler/-innen. Insgesamt haben sich 1.461 Wählerinnen und Wähler an der Befragung beteiligt.

Der Schnellbericht zur Wahlbefragung am 1. September 2024.

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