Die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen erschüttern die Bundesrepublik und sind vorläufiger Höhepunkt einer Entwicklung, die das Land zunehmend spaltet. Neue empirische Befunde, die das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) am 6. September veröffentlichte, erlauben ein differenziertes Meinungsbild der Gesamtbevölkerung. Wie bewerten die Menschen in Deutschland die Ziele der AfD und mögliche Konsequenzen für sich selbst?

Die Kurzstudie zeigt: Mit und ohne Migrationshintergrund denken angesichts des AfD-Aufstiegs viele über Auswanderung aus Deutschland oder Wegzug aus ihrem Bundesland nach. Die Folgen für Wirtschaft, Demokratie und Zusammenhalt wären verheerend, warnen beteiligte Forscher/-innen.

Die Alternative für Deutschland (AfD) ist bei den Landtagswahlen in Thüringen stärkste Kraft geworden, in Sachsen lag sie nur knapp hinter dem Sieger CDU. Ein Ergebnis, das sich ankündigte: In den vergangenen Jahren haben die Rechtspopulisten bei Wahlen auf allen Ebenen dazugewonnen, zuletzt bei der Europawahl und den Kommunalwahlen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Diese Tendenz wirft zahlreiche Fragen auf: Werden die AfD und ihre Standpunkte zunehmend auch von der breiten Mitte der Gesellschaft akzeptiert? Wie „normal“ ist es, die Partei zu wählen? Welche Gefühle lösen Pläne zur „Remigration“ – ein zentraler Teil des Parteiprogramms – in der Bevölkerung aus? Und wie könnten sich weitere AfD-Wahlerfolge auf Abwanderungsabsichten innerhalb Deutschlands und Auswanderung auswirken?

AfD-Pläne treiben Menschen zum Abwandern

Das wichtigste Ergebnis: Immer mehr Menschen denken über Aus- oder Abwanderung nach. Die AfD-dominierten Bundesländer würden regelrecht ausbluten.

Erhebliche Teile der Bevölkerung denken angesichts des AfD-Aufstiegs über Auswanderung nach oder haben sogar bereits derartige Pläne, stellt die Studie fest: Fast jede vierte befragte Person mit Migrationshintergrund erwägt zumindest hypothetisch, Deutschland zu verlassen. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund trifft das immerhin noch auf mehr als jede/-n zehnte/-n zu (11,7 %).

Der Anteil derer, die bereits konkrete Pläne gemacht haben, beträgt bei Befragten mit Migrationshintergrund 9,3 Prozent – also fast ein Zehntel. Bei Befragten ohne Migrationshintergrund trifft dies nur auf wenige zu (1,9 %).

Wie die Befragten die „Remigrations“-Pläne der AfD einschätzen. Grafik: Dezim
Wie die Befragten die „Remigrations“-Pläne der AfD einschätzen. Grafik: Dezim

Die Werte sind höher, wenn nach Überlegungen und Plänen für den Wegzug in ein anderes Bundesland gefragt wird – im Falle einer Regierungsbeteiligung der AfD im eigenen Wohnbundesland: Mehr als ein Drittel (33,8 %) der Befragten mit Migrationshintergrund spielt mit dem Gedanken, das Bundesland zu wechseln. Konkrete Pläne haben 12,5 % von ihnen, wobei dies für Menschen mit Herkunft aus dem arabischen Raum (24,1 %) und aus europäischen Nicht-EU-Staaten (15,3 %) besonders häufig zutrifft.

Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund denkt fast jede/-r siebte (14,2 %) über einen Wegzug nach, ein geringer Teil (3,4 %) hat dazu konkrete Pläne.

„Wenn fast jeder Fünfte bei einem Sieg der AfD darüber nachdenkt, sein Bundesland zu verlassen, bedeutet dies gerade für Ostdeutschland einen kaum verkraftbaren Verlust an Wissen, Know-how und Wirtschaftskapazität“, kommentiert Prof. Dr. Gert Pickel, Professor für Kirchen- und Religionssoziologie an der Universität Leipzig, dieses Ergebnis. „Zudem dürfte eine Gewinnung von Fachkräften bei einem solchen Image faktisch unmöglich werden.“

Die AfD ist demokratiefeindlich und extremistisch

Und Prof. Dr. Matthias Quent, Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal, warnt: „Die Daten belegen, dass rechtsextreme Vertreibungsnarrative schädliche Auswirkungen für viele Menschen in Deutschland haben und den öffentlichen Frieden beschädigen. Wenn in diesen Tagen über die AfD und deren Wahlergebnisse diskutiert wird, sollten diese Implikationen aus dem Parteiprogramm stets problematisiert werden. Der demokratische Verfassungsstaat ist verpflichtet, die Menschenwürde aller vor rassistischen Aggressionen zu schützen.“

Andere Ergebnisse aus der Befragung zeigten hingegen, dass die Narrative der AfD keine Mehrheit haben. Die meisten Befragten (84,9 %) lehnen die AfD-Pläne zur „Remigration“ ab. Sogar knapp drei von zehn AfD-Anhänger/-innen (28,9 %) stehen diesen Plänen kritisch gegenüber. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass die Debatte um „Remigration“ bei knapp 60 % aller Befragten – unabhängig von der Herkunftsregion – Angst auslöst.

Eine klare Mehrheit der Befragten stuft die AfD als demokratiefeindlich (72,4 %), rassistisch (80,0 %) und extremistisch (76,9 %) ein. Rund 71 % der Befragten sehen sie nicht als eine Partei „wie jede andere“ (70,8 %). Diese Einschätzungen sind weitgehend unabhängig von Faktoren wie Herkunft oder politischer Einstellung. Einzig AfD-Anhänger/-innen bewerten dies anders.

Abgrenzung ist das Gebot der Stunde

„Die Studie zeigt, dass die AfD keine breite ideologische Unterstützung hat. Extreme Positionen, etwa zur ‚Remigration‘, stoßen auf deutliche Ablehnung“, stellt Prof. Dr. Sabrina Zajak, Leiterin der DeZIM-Abteilung Konsens und Konflikt, fest. „Die bürgerlichen Parteien sollten sich also klar von der AfD abgrenzen. Um gravierende Folgen für Demokratie, Zusammenhalt, aber auch die Wirtschaft abzuwenden, sollten sie Lösungen bieten und jene ernst nehmen, die den Aufstieg der Partei mit Sorge sehen.“

Denn jede Übernahme von AfD-Themen und AfD-Phrasen stärkt ganz allein die rechtsextreme Partei und eben gerade nicht die Parteien, die glauben, die AfD mit solchen Themenübenahmen schwächen zu können.

„Diese Analyse zeigt deutlich die Spaltung in der Gesellschaft. AfD-Sympathisanten stimmen im klaren Gegensatz zu allen anderen demografischen und politischen Gruppen dem rechtsradikalen Konzept der ‚Remigration‘, welches massenhaft Menschen umsiedeln will, eher zu“, sagt Prof. Dr. Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld.

„Die Stimmung erzeugt Angst und Auswanderungsgedanken bei Andersdenkenden. Zugleich zeigen die Daten, dass sich AfD-Anhänger für normal und nicht radikal halten.“

Hintergrund: Die Studie wurde unter dem Titel „Ablehnung, Angst und Abwanderungspläne: Die gesellschaftlichen Folgen des Aufstiegs der AfD“ vom DeZIM-Institut veröffentlicht. Dazu hat das Forschungsteam um Prof. Dr. Sabrina Zajak (DeZIM-Institut) mit Prof. Dr. Gert Pickel (Universität Leipzig), Prof. Dr. Matthias Quent (Hochschule Magdeburg-Stendal) und Prof. Dr. Andreas Zick (Universität Bielefeld) zusammengearbeitet.

Die deutschlandweite Befragung wurde im März 2024 mit rund 3.000 Personen aus dem fortlaufenden DeZIM-Panel durchgeführt.

Man findet die Studie zum Download hier.

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Keine Kommentare bisher

Also Herr Julke, habe ich das richtig verstanden, die Leute wollen aus Deutschland auswandern, wegen der Wahlerfolge der AFD. Sie verdrehen wie so oft Ursache und Wirkung. Krankheit und Symptom.

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