Liest man in den Medien, Parteipublikationen, besonders in den sozialen Medien, dann hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 30. Juli 2024 zum Bundeswahlgesetz 2023 alle Parteien als Sieger aufs Podest gehoben. Nur der Bundesregierung wurde mal wieder eifrig Gesetzespfusch nachgeredet. Aber kann das sein, dass wieder alle Parteien Sieger sind? Worum ging es und was folgt aus dem Urteil?

In der von der Ampelregierung eingebrachten und vom Bundestag am 17. März 2023 beschlossenen „Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestages“ ging es im wesentlichen um drei Punkte:

1. Festschreibung der Anzahl der Bundestagsmandate auf 630;
2. Ãœberhangmandate und Ausgleichsmandate entfallen;
3. die Grundmandatsklausel entfällt.

Der erste Punkt war weitgehend unstrittig, zumindest forderten alle Parteien seit langem die Verkleinerung des Bundestages, in dem aktuell 736 Abgeordnete sitzen. Unstrittig ist die Verkleinerung allerdings nur als verbale Forderung, wie im Weiteren zu sehen ist.

Hier ein kleines Rechenbeispiel. Es ist ja immer von Sparsamkeit die Rede. 106 zusätzliche Abgeordnete verursachen, bei aktuell 11.227,20 € Diäten monatlich, rund 14.281.000 € jährliche Kosten. Dabei ist zu bedenken, dass mit der steigenden Anzahl Abgeordneter auch mehr Mitarbeitende und Räume für die Bundestagsbüros benötigt werden, die ebenfalls Kosten erzeugen. Sonstige, vom Bund übernommene Kosten, wie BahnCard100, Reisekosten usw. kommen dazu.

Eine Verkleinerung des Bundestages ist also volkswirtschaftlich vernünftig und erforderlich. Wodurch sollte die Verkleinerung erreicht werden?

Maßnahme 1: Überhangmandate und Ausgleichsmandate entfallen

Es gibt genügend Erklärungen, wodurch es zu diesen Überhangmandaten und Ausgleichsmandaten kommt, wie man nachlesen kann. Durch diese kam es in der Vergangenheit immer wieder zur personellen Aufblähung des Bundestages, ein prägnantes Beispiel bei der Wahl 2021 ist hier beschrieben.

Ja, ein gewonnenes Direktmandat einer Partei, welches über die dieser zustehenden Sitze nach Zweitstimmen hinausgeht, führt zu sage und schreibe (durch das Überhangmandat und die Ausgleichsmandate) 17 zusätzlichen Abgeordneten.

Nachzulesen bei statista: „Bei der Bundestagswahl im Jahr 2021 erhielt die CDU 12, die CSU 8, die SPD 10 sowie die AfD ein Überhangmandat. Mit insgesamt 34 Überhangmandaten und weiteren 104 Ausgleichsmandaten sitzen im Bundestags der 20. Wahlperiode insgesamt 736 Abgeordnete.“

Das sollte weg.

Maßnahme 2: Die Grundmandatsklausel entfällt

Kurz erklärt: Es gibt für die Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Klausel. Das heißt, Parteien mit bundesweit unter fünf Prozent der Zweitstimmen sind nicht im Bundestag vertreten. Es sei denn, sie erringen mindestens drei Direktmandate über die Erststimmen, dann ziehen sie in einer Fraktionsstärke, die der rechnerischen Anzahl der Abgeordneten gemäß Zweitstimmenergebnis entspricht, in den Bundestag ein.

Das betraf 2021 die Linke, die 3 Direktmandate und 4,9 % der Zweitstimmen erzielte. Durch die oben genannte Regel betrug die Fraktionsstärke 39 Abgeordnete. Die CSU schrammte damals mit 5,2 Prozent der Zweitstimmen knapp an der Fünf-Prozent-Klausel vorbei.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Geklagt hatten unter anderem die Bayerische Staatsregierung, Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die CSU gegen das neu geregelte Verfahren der Zweitstimmendeckung (Grundmandatsklausel) sowie DIE LINKE und deren Bundestagsfraktion gegen die Fünf-Prozent-Sperrklausel.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts lautete kurz gefasst, dass die Fünf-Prozent-Sperrklausel gegen das Grundgesetz verstößt, aber im Zusammenhang mit dem Weiterbestehen des Zweitstimmendeckungsverfahrens weiter gültig ist.

„Bis zu einer Neuregelung gilt sie (die Fünf-Prozent-Sperrklausel, d. Red.) mit der Maßgabe fort, dass bei der Sitzverteilung Parteien mit weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen nur dann nicht berücksichtigt werden, wenn ihre Bewerber in weniger als drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen auf sich vereinigt haben.“

Das Gericht bindet also das Bestehen der Sperrklausel an das Weiterbestehen der Grundmandatsklausel. In dem Zusammenhang ist es auch wichtig, in die „Wesentlichen Erwägungen des Senats“ zu schauen. Dort wird unter Punkt B II 3d davon gesprochen, dass die Sperrklausel nicht in vollem Umfang erforderlich ist:

„Zur Sicherstellung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages ist es nicht notwendig, eine Partei bei der Sitzverteilung unberücksichtigt zu lassen, deren Abgeordnete eine gemeinsame Fraktion mit den Abgeordneten einer anderen Partei bilden würden, wenn beide Parteien gemeinsam das Fünf-Prozent-Quorum erreichen würden.“

Nachfolgend wird am Beispiel der CSU begründet, dass, wenn ihre Abgeordneten „hinreichend sicher eine gemeinsame Fraktion mit den Abgeordneten der CDU bilden“, dies ausreichen kann, auch bei Nichterreichen der 5 % und der drei Direktmandate in den Bundestag einzuziehen.

Wie sich das am Ende juristisch darstellt, bei der nächsten Wahl, ob es ausreicht, wenn drei kleine Parteien glaubhaft erklären, nach der Wahl eine Fraktion zu bilden, und somit diese Parteien, als Fraktion, in den Bundestag einziehen, obwohl jede unter fünf Prozent der Zweitstimmen hat? Wir werden sehen.

Warum meint jeder, er hätte gewonnen?

Alle Gewinner? Die Ampelparteien sehen den Kern der Reform, die Verkleinerung des Bundestages, bestätigt. Die Opposition spricht von einer „Klatsche für die Ampel“ und zeigt sich erfreut, dass gewählte Direktmandatsträger weiterhin in den Bundestag einziehen.

Wie sieht das nun wirklich aus?

Bei (nicht zu erwartendem) gleichem Wahlergebnis wie bei der Bundestagswahl 2021 wären bei CDU/CSU 41 Abgeordnete, bei der SPD 36 Abgeordnete, bei Bündnis 90/Die Grünen 24 Abgeordnete, bei der FDP 16 Abgeordnete, bei der AfD 14 Abgeordnete und bei DIE LINKE sieben Abgeordnete weniger im Bundestag.

Da die zusätzlichen Sitze durch die Ausgleichsmandate proportional verteilt wurden, würde sich nur marginal eine prozentuale Veränderung bei der Stimmverteilung ergeben.

Fazit: Die Verkleinerung des Bundestages war erforderlich, die Menschen mit Direktmandat kommen weiter, ggf. auf Kosten von Listenkandidaten, in den Bundestag. Erklärungen von Seiten der CSU, dies bei einer CDU/CSU geführten Regierung rückgängig machen zu wollen, haben ein Geschmäckle. Es riecht nach Versorgung so vieler treuer Parteimitglieder wie möglich.

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