Hinten und vorn fehlt das Geld. Finanzminister beharren auf Schuldenbremsen, obwohl sie wissen, dass Deutschland zu wenig investiert. Ergebnis: marode Brücken, kaputte Autobahnen, eine Bahn, die ihr Gleisnetz nicht mehr in den Griff bekommt. Zustände wie in einer Bananenrepublik. Aber die Ursache ist keine Konjunkturflaute, sondern eine Steuerpolitik, die gerade die Reichen verschont. Oxfam rechnet jetzt vor, was die abgeschaffte Vermögensteuer gekostet hat.
Der Verzicht auf die seit 1996 ausgesetzte Vermögensteuer hat Deutschland bislang über 380 Milliarden Euro gekostet, gab Oxfam am heutigen Dienstag, dem 2. Juli, in einem Pressegespräch bekannt. Das entspricht 80 Prozent des Bundeshaushalts 2024. Die angeblich unvermeidbare Steuerflucht von Hochvermögenden und Superreichen ist eines der zentralen Argumente gegen die Wiedererhebung der Vermögensteuer.
Die gemeinsam vom Netzwerk Steuergerechtigkeit und Oxfam Deutschland herausgegebene Studie „Keine Angst vor Steuerflucht!“ widerlegt diesen Mythos und zeigt auf: Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten umfassende und international vorbildliche Regeln etabliert, die Steuerflucht massiv erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen. Eine Vermögensteuer zum Abbau der demokratiegefährdenden Vermögenskonzentration ist daher nicht nur möglich, sondern auch dringend geboten.
Vermögensteuer wurde vor fast 30 Jahren in Deutschland ausgesetzt
Bis 1996 wurde auf Vermögen in Deutschland eine Vermögensteuer von einem Prozent fällig. Weil sie seitdem ausgesetzt ist, fehlen mehr als 380 Milliarden Euro in der Gemeinschaftskasse, rechnet die Studie vor. Das sind knapp 80 Prozent des Bundeshaushalts 2024. Ein Ergebnis davon: Seit 2001 sind die Vermögen der hundert reichsten Deutschen um etwa 460 Milliarden Euro gewachsen.
Überraschend ist aber auch: Unter den aktuell 226 deutschen Milliardär/-innen finden sich nur 29 Personen, die sich ihrer Steuerpflicht durch Wegzug entziehen wollten.
Seit 1972, so stellt die Studie fest, wurden sowohl die Gesetze gegen Steuerflucht als auch die Maßnahmen gegen illegale Steuerhinterziehung verschärft. Mit einer Kombination aus Wegzugsteuer und der Besteuerung von Unternehmensverlagerungen ins Ausland steht mittlerweile ein umfassender Werkzeugkasten gegen Steuerflucht zur Verfügung.
Und so ist Steuerflucht teuer. Das zeigt eine Beispielrechnung: Wollte BMW-Erbin Susanne Klatten mit ihren BMW-Anteilen und ihrem aus den BMW-Dividenden gewachsenen Vermögen heute ins Ausland ziehen, müsste sie knapp 6,5 Milliarden Euro Steuern zahlen, was rund 30 Prozent ihres geschätzten Vermögens entspricht.
Eine irrationale Angst
„Die Studie zeigt ganz klar: Der Kampf gegen Steuerflucht ist vor allem eine Frage des politischen Willens“, stellt Manuel Schmitt, Referent für Soziale Ungleichheit von Oxfam Deutschland, fest. „Anstatt im Bundeshaushalt zum Kahlschlag u.a. bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei Sozialausgaben anzusetzen, sollte die Bundesregierung die Besteuerung sehr hoher Vermögen endlich auf die Tagesordnung setzen. So könnte die demokratiegefährdende Vermögenskonzentration verringert und dringend benötigte finanzielle Mittel für den sozialen Zusammenhalt und den Klimaschutz generiert werden – in Deutschland und weltweit.“
Und Christoph Trautvetter, Netzwerk Steuergerechtigkeit, betont: „Die Angst vor der Steuerflucht ist in der Bevölkerung genauso wie in der Politik weit verbreitet. Aber die Angst ist irrational. Steuerflucht ist kein Schicksal und auch kein Massenphänomen. Die wenigsten Menschen kennen die bereits sehr wirksamen und weitreichenden Gegenmaßnahmen.
Und anders, als einzelne Skandale das nahelegen, sind die meisten großen deutschen Vermögen nicht im Ausland und sie sind über ihr soziales und politisches Kapital mit Deutschland verbunden. Zeit also für eine rationale Debatte über die Besteuerung großer Vermögen.“
Mittlerweile 30 Milliarden Euro jährlich
1996 brachte die Vermögensteuer noch Einnahmen von 4,6 Milliarden Euro. Hätten sich die Steuereinnahmen wie im Schnitt der letzten Jahre vor der Aussetzung der Steuer weiterentwickelt, wären die jährlichen Einnahmen aus der Vermögensteuer bis 2023 auf etwa 30 Milliarden Euro gestiegen und die gesamten Einnahmen bis zum Jahr 2023 hätten sich auf mindestens 380 Milliarden Euro summiert.
Gleichzeitig sind die hundert größten deutschen Vermögen um etwa 460 Milliarden Euro angewachsen. Laut der ersten Reichenliste des Manager Magazins aus dem Jahr 2001 summierten sie sich noch auf 263 Milliarden Euro. 2023 waren es dagegen schon 720 Milliarden Euro. Während es 2001 lediglich 69 Milliardär/-innen mit einem Vermögen von 243 Milliarden Euro in Deutschland gab, stieg deren Zahl laut Manager Magazin bis 2023 auf 226 mit einem Vermögen von 920 Milliarden Euro.
Für die Berechnung der potenziellen Wegzugsbesteuerung für Susanne Klatten wurde in der Studie ihr Anteil an BMW zugrunde gelegt, die Anschaffungskosten wurden aufgrund des Erbes (auch ihr Vater hatte diese bereits geerbt) als vernachlässigbar klassifiziert. Dieser Wertzuwachs wird schließlich zum persönlichen Steuersatz von 45 Prozent zuzüglich Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer besteuert.
Durch das Teileinkünfteverfahren ist jedoch nur 60 Prozent davon steuerpflichtig. Durch diese Berechnung ergäbe sich eine Steuer von ca. 3,3 Mrd. Euro nur für die BMW-Anteile. Bei Hochrechnung auf ihr gesamtes Vermögen ergibt sich dabei ein Betrag von 6,5 Mrd. Euro.
Vorgestellt wurden die Studie und ihre Ergebnisse am heutigen 2. Juli bei einem Pressegespräch.
Keine Kommentare bisher