Der Kohleausstieg bis 2030 ist machbar, auch wenn Politiker – nicht nur in Sachsen – immer wieder die Debatte aufmachen, ob man die Kohlemeiler noch länger laufen lassen sollte. Etwa bis 2037, dem Endtermin für die sächsischen Kohlekraftwerke, wie es sächsische CDU-Politiker immer wieder fordern. Und auch der Atomausstieg beeinträchtigt die Energiewende nicht, wie jetzt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aufzeigt.
„Ostdeutsche Politiker sind empört“, schrieb der „Spiegel“ am 3. Mai. Doch ihre Empörung ist entweder blanke Show – oder zeugt von wirtschaftlicher Ahnungslosigkeit.
Ausgelöst hat ihre „Empörung“ die Vereinbarung der G7-Staaten – zu denen auch Deutschland gehört – bis 2035 komplett aus der Kohleverbrennung auszusteigen. Das heißt: Auch in der Lausitz gehen die Meiler drei Jahre früher aus, als im sogenannten „Kohlekompromiss“ vereinbart.
Dabei wird sich die Kohleverstromung allein schon durch die teurer werdenden CO₂-Zertifikate vor 2030 so verteuern, dass sie praktisch nicht mehr rentabel ist, wie auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck feststellte, der sagte: „Für Europa und Deutschland heißt es faktisch nichts.“
Der „Spiegel“ weiter dazu: „Er begründete das mit der Wirkung des europäischen CO₂-Handels (ETS). Aus seiner Sicht regelt sich der Kohleausstieg über knapper werdende Zertifikate und über den sukzessiv steigenden CO₂-Preis – nicht über das vereinbarte Datum. Das entspricht auch der Einschätzung von Experten. Die rechnen damit, dass Kohlestrom Anfang der Dreißigerjahre schlicht unrentabel wird. Zwar war der CO₂-Preis in den vergangenen Monaten extrem gefallen, mittlerweile hat er sich aber wieder bei rund 70 Euro pro Tonne eingepegelt.“
Da müsste sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der sich ebenso empört zu Wort gemeldet hatte, einfach mal die Daten der Leipziger Energiebörse eex geben lassen, die den Wiederanstieg der Preise für CO₂-Zertifikate zeigen.
Und wie ist das mit den Atommeilern?
Auch beim Ausstieg aus der Kernenergie hat sich kein einziges Schreckensszenario, das in diesem Fall eher westdeutsche Politiker an die Wand malten, bewahrheitet.
Das Abschalten der letzten Atomkraftwerke in Deutschland hat nicht wesentlich zu den Preisspitzen der vergangenen Jahre beigetragen und auch keine substanziellen Netzengpässe verursacht. Dies ist das Kernergebnis einer Studie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
Die Wissenschaftler/-innen haben mit Hilfe eines Strommarktmodells zwei Szenarien berechnet und miteinander verglichen: Im ersten waren – wie im Jahr 2021 – noch sechs Kernkraftwerke in Betrieb, im zweiten keines mehr. Die Analyse zeigt, dass die fehlende Atomenergie von rund 65 Terawattstunden in einer statischen Betrachtung durch fossile Energie kompensiert worden wäre, was kurzfristig zwar zu einem Anstieg der CO₂-Emission geführt hätte. In der Realität ist dieser Effekt aber dadurch kompensiert worden, dass zeitgleich erneuerbare Energien ausgebaut wurden und der Stromverbrauch insgesamt zurückgegangen ist.
Das heißt: Auch die zumeist westdeutschen Politiker, die die Folgen des Atomausstiegs schwarzmalten, haben falsche Angstszenarien beschworen.
Was hat das Abschalten der Atomkraftwerke wirklich bewirkt?
In der hypothetischen Analyse für das Jahr 2021 zeigen Modellrechnungen, dass der durchschnittliche Strompreis ohne Kernkraftwerke kurzfristig um bis zu elf Prozent gestiegen wäre.
„Allerdings ist das gering im Vergleich zum tatsächlichen Strompreisanstieg im selben Jahr von etwa 41 Euro pro Megawattstunde im April auf bis über 250 Euro pro Megawattstunde im Dezember, verursacht durch höhere Rohstoffpreise“, erläutert Christian von Hirschhausen, Forschungsdirektor in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im DIW Berlin. „Vor allem die kriegsbedingten Gaspreissteigerungen und die enormen Ausfälle französischer Kernkraftwerke haben die Strompreise erhöht.“
Dies ist bedingt durch die dominante Stellung der Atomkraft im französischen Energiemix. Auch der Effekt auf die Netzengpässe ist laut Szenarioanalyse eher gering. In der Realität sind bei der Abschaltung der verbleibenden drei Kernkraftwerke vor einem Jahr die Preise zunächst leicht gesunken.
Und wenn nun auch die Kohlekraftwerke vom Netz gehen?
Ein weiteres Szenario für das Jahr 2030 untersucht, wie sich der Strommarkt entwickelt, wenn neben den Kern- auch die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Grundannahmen sind, dass die Ausbauziele von Erneuerbaren erreicht werden, die aktuelle Leistung der Gaskraftwerke erhalten bleibt und die der Biomassekraftwerke um etwa 20 Prozent steigt.
Die Modellrechnungen zeigen, dass ein Kohleausstieg bis 2030 ebenso wie ein Anteil von 80 Prozent Erneuerbarer am Stromverbrauch weiterhin erreichbar ist. Erdgaskraftwerke machen in diesem Szenario noch 18 Prozent der Stromerzeugung aus.
„Der Strommarkt hat die Energiekrise gut überstanden. Die Preise sind in etwa wieder so niedrig wie im vergangenen Jahrzehnt“, sagt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im DIW Berlin. „Die Politik muss also aus dem Krisenmodus kommen und den Blick wieder fokussiert auf den Ausbau der erneuerbaren Energien richten. Nur wenn wir hier Tempo machen, erreichen wir auch das Ziel, 80 Prozent unseres Stromverbrauchs bis 2030 aus Erneuerbaren zu decken.“
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