Was passiert eigentlich in einem System, das vor über 19 Jahren mit der systematischen Einstellung eingeführt wurde, dass arbeitslose Menschen per se faul, unkooperativ und nur auf sich bedacht sind, wenn man das Prinzip „Strafe muss sein“ aufweicht? So wie es die Ampelregierung im vergangenen Jahr mit der Einführung des Bürgergeldes beabsichtigte? Die Antworten bringt jetzt eine Studie des DIW in Kooperation mit der Universität Bochum.
Das ist ja das Erstaunliche, wenn man die Leute, die jahrelang darauf getrimmt waren, möglichst viele Sanktionen zu verhängen, danach fragt, ob aus ihrer Sicht nun das Bürgergeld funktioniert. Eine „erste empirische Analyse des Bürgergelds“ nennt es das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die am Mittwoch vorgelegte Studie.
Aber eigentlich geht es gar nicht um das Bürgergeld. Ob und wie es wirkt, wird erst eine längerfristig angelegte Evaluation durch das IAB zeigen. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, stellt das DIW selbst fest.
„Für ein umfassendes evidenzbasiertes Urteil sollten vor allem die Ergebnisse des auf mehrere Jahre angelegten Evaluationsprogramms des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) abgewartet werden“, empfiehlt Studienautor Jürgen Schupp. Reformen des Bürgergelds oder gar neue Konzepte – wie im März das der CDU – sollten nicht vorher in die Debatte geworfen werden und aus politischem Kalkül die Stimmung gegen Bürgergeldbeziehende weiter anheizen.
„Gefragt ist jetzt eine politische Kommunikation, die die Debatte versachlicht, pragmatisch über die Bedarfslagen und Ansprüche aufklärt und die Umbauprozesse erklärt“, fordert Schupp.
Die „Arbeitsunwilligen“ in den Köpfen
Dass das CDU-Konzept genau wieder auf das alte Hartz-IV-Modell abzielte, das mit Sanktionen Druck auf die „Arbeitsunwilligen“ ausübte, gehört genau hierher. Diese Haltung gegenüber Menschen, die im Jobcenter landen, ist felsenfest in den Köpfen konservativer Politiker verankert.
Und sie haben es zum Denkmodell in den Jobcentern gemacht. Weshalb die Studie eben nicht wirklich viel über das Bürgergeld aussagt, dafür eine Menge über das jahrelange gepflegte Denkgebäude, mit dem die Jobcenter in Deutschland bislang funktioniert haben.
Für die aktuelle Studie unter Beteiligung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) wurden im Januar und Februar 2024 Beschäftigte in sieben Jobcentern in Nordrhein-Westfalen befragt. Auch das eine wichtige Einschränkung.
Nur jede/-r fünfte Jobcenterbeschäftigte sieht nach dieser Befragung im Bürgergeld eine Verbesserung, ungefähr die Hälfte allerdings eine Verschlechterung. Rund 60 Prozent der Befragten bezweifeln, dass die neuen Regeln die Leistungsberechtigten ausreichend motivieren, sich eine neue Stelle zu suchen.
Auch Stimmungsmache wirkt
„Zu den wenig positiven Bewertungen können neben der Ausgestaltung des Bürgergelds auch die verschlechterte wirtschaftliche Lage in Deutschland oder die zunehmend aufgeladene Stimmung gegen Bürgergeldbeziehende geführt haben“, gibt Studienautor Jürgen Schupp zu bedenken, der zusammen mit Fabian Beckmann von der Universität Duisburg-Essen, Rolf G. Heinze von der Universität Bochum und Dominik Schad, Kreisdirektor in Recklinghausen, die Studie erstellt hat.
„Damit ist aber noch nicht gesagt, dass das Bürgergeld nicht seine Aufgabe erfüllt, nämlich die Erwerbsintegration von Leistungsberechtigten zu verbessern. Ob das gelingt, muss die weitergehende und langfristige Forschung zeigen.“
Genau das, was eine Befragung der Jobcentermitarbeiter/-innen nämlich nicht zeigen kann. Diese wurden jahrelang darauf trainiert, ihre Vermittlungsergebnisse auch mit dem Druck verhängter Sanktionen zu verbessern. Selbst im Leipziger Stadtrat wurden jahrelang solche Leistungsbilanzen vorgelegt, die eine erfolgreiche Jobcenter-Arbeit suggerierten. Seit geraumer Zeit unterließ man das lieber.
Denn der Blick in solche Leistungsbilanzierungen zeigte nun einmal: Die Jobcentermitarbeiter/-innen stecken selbst in einem Leistungssystem, in dem die Betreuung der Klienten nicht als Fürsorge betrachtet wird, sondern als verlängerter Arm einer Wirtschaftslobby, die Menschen unbedingt in Arbeit zwingen möchte, egal, wie schlecht diese bezahlt wird.
Dass dabei die Förderung oft genug auf der Strecke blieb, ist vielen Mitarbeiter/-innen der Jobcenter nur zu bewusst.
Das faule Argument vom Lohnabstand
Konkret zeigt die Befragung, dass 73 Prozent der Jobcenterbeschäftigten vor allem die neue – abgemilderte – Sanktionspraxis ablehnen. Auch die höheren Freibeträge beim Schonvermögen und die höheren Regelsätze für Erwachsene stoßen mehrheitlich nicht auf Zustimmung. Hier hat sich die Behauptung in den Köpfen festgefressen, dadurch sei der Abstand zu den marktüblichen Löhnen zu gering geworden.
Obwohl zwischen den Bürgergeldsätzen und den offiziellen Mindestlöhnen eine riesige Lücke klafft. Tatsächlich wird damit nur die auch im Osten gängige Niedriglohnpraxis unterstützt.
Widersprüchlicher kann ein System gar nicht sein.
Ein höherer Regelsatz für Kinder wird hingegen von der Mehrheit der Jobcenterbeschäftigten positiv bewertet. Große Zustimmung findet ebenfalls das verbesserte Coaching-Angebot Langzeitarbeitsloser, das mehr als drei Viertel der Befragten beibehalten wollen.
Aber eine ganz eminente Rolle spielt nun einmal die Politik – von CDU und FDP bis hin zu den „Arbeitgebern“ – die nur zu gern wieder zurückwollen zum alten System und entsprechend auch die politische Bühne nutzen, um Stimmung gegen das Bürgergeld zu machen. Ohne dass tatsächlich belegbare Zahlen vorliegen, wie es wirkt.
„Gefragt ist jetzt eine politische Kommunikation, die die Debatte versachlicht, pragmatisch über die Bedarfslagen und Ansprüche aufklärt und die Umbauprozesse erklärt“, fordert Jürgen Schupp. Was eben auch ein Appell an die Jobcenter-Leitungen ist, den Umgang mit den Klienten zu ändern.
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