„Wo bleiben die Kinder?“ Diese Frage stellte sich Andrea Schultz und widmete ihr einen ihrer Beiträge im neuen Quartalsbericht Nr. 4 für 2023. Denn eine Zahl hatte dann doch auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Amt für Statistik und Wahlen geschockt: „Im Jahr 2023 wurden in Leipzig nur 4.900 Kinder geboren. Das ist der niedrigste Wert seit 2007. Im Spitzenjahr 2017 kamen in Leipzig noch fast 7.000 Kinder zur Welt.“ Aber womit ist dieser Einbruch zu erklären?
Das kann Andrea Schultz in diesem Beitrag auch noch nicht klären, auch wenn auf der Hand liegt: „Der
Rückgang ist vor allem damit begründet, dass sich Frauen (und Männer) aktuell deutlich seltener für Kinder entscheiden. Denn die reine Zahl an Leipziger Frauen, die potenziell ein Kind bekommen könnten, ist sogar angestiegen. Lebten 2017 im Mittel noch ca. 136.950 Frauen im Alter zwischen 15 und 49 in der Messestadt, waren es 2023 im Mittel schon 152.100.“
Mehr Frauen im sogenannten gebärfähigen Alter sollten doch eigentlich auch mehr Geburten bedeuten.
Aber tatsächlich bekommen die Frauen statistisch gesehen weniger Kinder pro Frau. Das steckt in der zusammengefassten Geburtenziffer, die von 1,45 Kindern je Frau im Jahr 2017 in den Folgejahren zunächst sukzessive sank und 2023 dann rasant auf nur rund 1,0 Kinder je Frau abfiel. Und damit wieder in dem alarmierenden Bereich gelandet ist, den Leipzig schon einmal in den 1990er Jahren erlebt hat. Damals waren es die schweren wirtschaftlichen Umbrüche, die bei vielen Frauen zum Verzicht auf einen erfüllten Kinderwunsch führten.
Mittlerweile bringen die sinkenden Geburtenzahlen auch die Leipziger Kita-Planung durcheinander. Aber Leipzigs wirtschaftliche Lage ist aktuell stabil. Das kann also diesmal nicht die Ursache sein. Und der Verzicht auf Kinder betrifft auch nicht nur die deutschen Frauen.
Ein Phänomen über alle Bevölkerungsgruppen hinweg
„Der Einbruch des Geburtenverhaltens lässt sich sowohl für Leipziger Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit als auch mit ausländischer Staatsangehörigkeit feststellen“, schreibt Andrea Schultz.
„Bekamen ausländische Frauen im Jahr 2017 im Schnitt noch 1,96 Kinder (TFR), sank dieser Wert auf 1,38 im Jahr 2023 ab. Klammert man die ukrainischen Frauen aus den Berechnungen im Jahr 2023 aus, liegt die Geburtenziffer in 2023 für die ausländischen Frauen (ohne ukrainische Staatsangehörigkeit) bei 1,49 Kindern je Frau. Der Trend der tendenziell sinkenden Geburtenziffer bei ausländischen Frauen wird folglich nicht nur von den geflüchteten ukrainischen Frauen verursacht.“
Bei Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit brach die Geburtenziffer (TFR) von 1,37 sogar auf 0,90 Kinder je Frau ein.
Aber da lohnt sich der Blick über den Tellerrand, meint Andrea Schultz: „Einen Einbruch der zusammengefassten Geburtenrate stellen aktuell viele Städte fest. Beispielsweise ist in der Stadt Jena die zusammengefasste Geburtenziffer im Jahr 2023 ebenfalls auf knapp unter 1,0 Kinder je Frau gesunken (Melderegister Jena). In der Stadt Dresden, die traditionell eine etwas höhere Fertilitätsrate aufweist als Leipzig, ist ebenfalls ein sinkender Trend auf 1,13 Kindern je Frau (2023, Melderegister Dresden) zu beobachten.“
Was dann schon geradezu nach einer Geburtenverweigerung der jungen Frauen klingt. Oder nach einer Gesellschaft, in der das Kinderkriegen zunehmend zu einem Problem wird, auch wenn der Beitrag die wirklich konkreten Gründe noch nicht benennt.
Aber damit will sich das Amt für Statistik und Wahlen jetzt etwas eingehender beschäftigen, kündigt Andrea Schultz an: „Die beschriebene Entwicklung wirft die Frage nach den Ursachen auf. Eine dezidierte Analyse zur Entwicklung des Fertilitätsverhaltens in Leipzig wird in Kürze in der Publikationsreihe ‚Analysen zur Stadtgesellschaft‘ erscheinen.“
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