Manchmal wünscht man sich ja wirklich Politiker, die einfach mehr beherrschen als nur das Einmaleins der „schwäbischen Hausfrau“, die nicht mit falschen Erwartungen Kürzungen verlangen oder gar beschließen, ohne die geringste Ahnung von den Folgen zu haben. Am 2. März rechnete DIW-Präsident Marcel Fratzscher in einer Kolumne auf „ZEIT Online“ mit den aktuellen Kürzungsplänen in der deutschen Migrationspolitik ab.

Insbesondere der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz tingelt ja mit der Behauptung durchs Land, man könne auch gleich noch die Migration eindämmen, wenn man den Asylsuchenden die Mittel kürzt.

Ein brandgefährliches Narrativ, wie Marcel Fratzscher in seiner Kolumne feststellt: „Das Narrativ der Populisten, das auch zunehmend Politiker demokratischer Parteien befeuern, ist simpel: Geflüchtete erhielten zu großzügig Sozialleistungen vom deutschen Staat, was vielen Deutschen erheblich schade. So behauptete CDU-Chef Friedrich Merz, abgelehnte Asylbewerber/-innen hätten bevorzugten Zugang zu Zahnbehandlungen, wogegen Deutsche lange auf einen Termin warten müssten.

Diese Behauptung ist nicht nur falsch, sondern aktuelle Studien zeigen auch, dass der neue, restriktivere Kurs der Politik die Kosten für den Sozialstaat und damit auch für die Bürger/-innen deutlich erhöhen.“

Die dümmste Art zu sparen

Dabei steht dahinter ein Wettbewerb des falschen Denkens, bei dem die Narrative rechtsradikaler Akteure immer mehr Dominanz gewonnen haben. Dumm nur, dass Rechtsradikale nicht rechnen können.

Die Narrative, so Fratzscher: „Da ist zum einen ein Nullsummen-Denken: Demnach bedeute der Nutzen für Geflüchtete zwingendermaßen einen Schaden für Deutsche. Zum Zweiten, dass der deutsche Sozialstaat Geld und Ressourcen sparen könne, wenn er die Leistungen für Geflüchtete kürzt und auf ein Minimum reduziert.

Und zum Dritten, es gebe eine erhebliche Zuwanderung in die Sozialsysteme, Deutschlands soziale Leistungen seien also zu großzügig, und viele Geflüchtete kämen hauptsächlich der großzügigen Sozialleistungen wegen. Drei neue Studien des DIW Berlin räumen mit den ersten beiden Vorurteilen auf.

Und Fratzscher hat genau beobachtet, wie gerade Politiker aus dem konservativen Lager regelrecht eingeknickt sind vor den wilden Argumentationsmustern der Rechtspopulisten.

„Der Populismus von Rechten und Konservativen gegen Geflüchtete hat sich als erstaunlich effektiv erwiesen und die Ampelregierung zu einem Kurswechsel verleitet: So wurde der Geltungszeitraum des Asylbewerberleistungsgesetzes von 18 auf 36 Monate verlängert, was den Zugang zu den vollen Sozialleistungen für Geflüchtete deutlich verzögert“, schreibt er.

Das Ergebnis aber ist für beide Seiten teuer: „Viele der Geflüchteten, die mit einem Trauma und mit anderen psychischen und körperlichen Belastungen dringend Hilfe benötigen, erhalten diese nun künftig erst nach zwei oder drei Jahren. Auch medizinische Laien können ahnen, was dies für die Gesundheit der Betroffenen bedeutet: Wenn Gesundheitsprobleme nicht rechtzeitig behoben werden, sind schwere Krankheitsverläufe wahrscheinlicher und belastender.

Der verzögerte Zugang reduziert letztlich die Kosten für das Gesundheitssystem nicht, sondern vergrößert den gesundheitlichen Schaden und erhöht die Kosten und die Belastung des Gesundheitssystems langfristig.“

Kontrolle mit wuchernder Bürokratie

Und während die Regierenden kein Problem haben, im Hauruck-Verfahren eine Bezahlkarte für Asylsuchende einzuführen, bekommen die meisten Bundesländer eine Gesundheitskarte einfach nicht hin: „Die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte, die Geflüchteten direkt Zugang zur medizinischen Versorgung ermöglicht, läuft dagegen extrem schleppend.

Bislang gilt sie nur in sechs Bundesländern flächendeckend. Die anderen setzen weiterhin auf die Behandlungsscheine der Sozialbehörde, was Verwaltungsaufwand und -kosten verursacht. Eine Studie hat gezeigt, dass Hamburg durch die Einführung dieser elektronischen Gesundheitskarte jedes Jahr mehr als 1,6 Millionen Euro an Verwaltungskosten einspart.“

Dabei könnte der Staat enorm Geld einsparen, wenn er die Integration der Geflüchteten durch Unterstützung beschleunigt, statt sie über Jahre – ohne eigene Arbeit – im Hilfesystem festzuhalten.

„91 Prozent der Geflüchteten wünschen sich Unterstützung beim Deutschlernen, 82 Prozent bei der medizinischen Versorgung, 62 Prozent bei der Arbeitssuche. Viel Hilfe erhalten die Befragten gerade bei den ersten beiden Bedarfen“, schreibt Fratzscher. „Aber bei der Arbeitssuche geben 40 Prozent der Befragten an, dass sie die benötigte Hilfe nicht erhalten hätten. Auch bei Asylfragen oder der Anerkennung von Bildungsabschlüssen hätte sich ein Drittel beziehungsweise ein Viertel der Geflüchteten mehr Unterstützung gewünscht.

All diese fünf Bereiche sind essenziell für eine erfolgreiche Integration von Geflüchteten in Arbeitsmarkt und Gesellschaft, und fast jeder Geflüchtete hatte zumindest in einem dieser wichtigen Bereiche ein Defizit an Unterstützung.“

So verhindert man Integration

Sein deutliches Fazit: „Diese mangelnde Unterstützung und die Beschneidung der Leistungen mindern die Chancen auf eine erfolgreiche Integration. Politik und Sozialstaat sollten genau das Gegenteil tun: Sie sollten schnell und unbürokratisch möglichst allen Geflüchteten guten Zugang zu den notwendigen Leistungen einräumen, damit diese die bestmöglichen Chancen auf eine erfolgreiche Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft haben.“

Dass die Politiker reihenweise vor den Nonsense-Argumenten der Rechtspopulisten eingeknickt sind, findet er auch ökonomisch dumm und sinnlos: „Die Politik hat indes einen gefährlichen und kontraproduktiven Kurs im Umgang mit Geflüchteten eingeschlagen. Sie verringert die Leistungen und erhöht die Hürden des Zugangs zu Leistungen. Die wissenschaftliche Evidenz ist eindeutig: Diese Strategie erhöht nicht nur das Leid der Betroffenen, sondern auch die Kosten und die Belastung der Sozialsysteme.“

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