Nicht nur in Leipzig sinken seit einigen Jahre die Geburtenraten. Das Phänomen erleben auch andere deutsche Großstädte. Und nicht nur die. Die Demografie-Forscher/-innen rätseln, woran das liegen könnte. Sind es – wie das Amt für Statistik und Wahlen vermutet – „multiple Krisen und Unsicherheiten im gesellschaftlichen Umfeld“, die junge Paare ihren Kinderwunsch unterdrücken lassen? In einer Analyse hat Michael Naber die Folgen für die Leipziger Bevölkerungsentwicklung jetzt einmal genauer untersucht.
Denn für die Bevölkerungsvorausschätzungen haben auch Leipzigs Statistiker/-innen ja mit völlig anderen Geburtenzahlen gerechnet. Den Einbruch von 2023 hatten sie so überhaupt nicht auf dem Schirm.
Dabei war die jüngste Bevölkerungsvorausschätzung erst 2023 vorgestellt worden. Diese hatte man mit Experten aus Verwaltung und Wissenschaft erarbeitet und im Juni vergangenen Jahres als demografische Planungsgrundlage der Stadtverwaltung präsentiert. Sie wird in regelmäßigen Abständen überprüft.
Doch während sich die Vorausschätzung bei der Zahl der Sterbefälle als treffsicher erwies, ist die Anzahl der Geburten pro Frau im vergangenen Jahr auf ein so niedriges Niveau gesunken, das zuletzt 1998 zu beobachten war. Die zusammengefasste Geburtenziffer ging innerhalb eines Jahres von 1,2 auf nur noch 1,0 Kinder je Frau zurück. Dieser derzeit beobachtete Rückgang der Geburtenzahl und Fertilität ist ein bundesweites Phänomen, so das Amt für Statistik und Wahlen.
Eigentlich sogar längst ein weltweites, wie eine jüngere Untersuchung im Fachblatt „The Lancet“ ergab, über die „Der Spiegel“ am 22. März berichtete.
Leipzig wächst trotz Abwanderung
Im Vergleich zur Bevölkerungsvorausschätzung von 2023 lag die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner Leipzigs am Jahresende 2023 um etwa 1.550 Personen höher als erwartet, bei 628.718 Menschen.
Aber auch bei einer anderen Zahl lag die Vorausschätzung daneben: Die Zahl der Zuzüge nach Leipzig lag um gut 7.300 höher als erwartet, die der Wegzüge um etwa 5.000 höher als unterstellt. Der Bevölkerungszuwachs im Vergleich zum Vorjahr stützt sich einzig auf Zuwanderung und lag bei 4.029 Personen, die Prognose ging nur von 2.480 Menschen aus.
Ein Phänomen, das Michael Naber besonders unter die Lupe nimmt. Denn wenn es nach den Abwanderbewegungen aus Leipzig ins Umland ginge, müsste Leipzig sogar schrumpfen.
„Auch ohne Berücksichtigung dieses Effekts der innerdeutschen Verteilung von Schutzsuchenden haben sich die seit langem negativen Wanderungssalden mit den beiden direkten Nachbarkreisen Leipzig und Nordsachsen seit 2018 deutlich erhöht“, schreibt Naber.
„Dies ist ein direkter Ausdruck der sich auch 2023 fortsetzenden Suburbanisierung (Schultz, 2021). Werden die Kreise Anhalt-Bitterfeld, Saalekreis, Burgenlandkreis und Altenburger Land in die Umlanddefinition eingeschlossen, ergibt sich ein negativer Wanderungssaldo von -4.607 Personen.“
Diese Wanderungsverluste zu den benachbarten Kreisen nehmen seit Jahren zu. Und da sich darunter auch viele junge Paare mit Kindern befinden, die in der Großstadt keine geeignete Wohnung mehr finden, trägt das natürlich ebenfalls zur sinkenden Geburtenzahl bei.
Was auf eine weitere Ursache dafür verweist, dass junge Paare auf Kinder verzichten (müssen): Der Kinderwunsch wird vertagt, wenn es einfach keine bezahlbaren familiengerechten Wohnungen in Leipzig gibt. Das Thema steht seit Jahren auf der Agenda. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
Kein Ende der Fluchtmigration
Leipzigs Bevölkerungswachstum speist sich deshalb vorwiegend aus Zuwanderung aus dem Ausland, wie Michael Naber feststellt: „Die Zuwanderung aus den ausgewählten Ländern Syrien, Irak, Afghanistan, Libyen, Iran, Eritrea und Liberia, die in der Vergangenheit einen Großteil der Fluchtmigration umfassten, lag mit netto +2.888 Personen zwar deutlich niedriger als im Vorjahr, steht jedoch für ein weiterhin stark erhöhtes Fluchtgeschehen, welches über die Annahmen der Vorausschätzung hinausgeht.
Beispielhaft lag die Zahl der Nettozuzüge aus Syrien im Jahr 2023 bei +1.912 Personen, nach +2.308 im Vorjahr und +1.324 in 2021. Aus Afghanistan kamen 2023 netto +481 Personen nach Leipzig, nach +512 in 2022 und +278 in 2021.
In den seit 2022 stark negativen Wanderungssalden mit Sachsen und dem Rest Deutschlands sind in erheblichem Maße Weiterverteilungen von in Leipzig erstregistrierten Geflüchteten innerhalb der Bundesrepublik enthalten. Beispielhaft zeigt sich das am Zuzug aus der Ukraine: Anders als in der Vorausschätzung unterstellt, ergab sich auch 2023 ein substantieller Zuzug aus der Ukraine von gut +2.800 Personen.
In den Annahmen war ein Wanderungssaldo von +/- 0 angenommen worden. Der erneute deutliche Zuzug lässt sich einerseits durch die Fortdauer der Kämpfe in der Ukraine, deren Ende nicht absehbar ist, und die weiterhin bestehenden großzügigen Aufnahmeregelungen für Schutzsuchende aus der Ukraine erklären.“
So ein wenig aber haben Leipzigs Statistiker die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Geburtenrate wieder steigen könnte. Denn genug Frauen in dem Alter, in dem man normalerweise Kinder bekommt, leben ja in der Stadt, wie Michael Naber feststellt: „Auch in diesem Szenario sind die hochfertilen Jahrgänge zwischen 25 und 30 Jahren künftig sogar stärker besetzt, als dies momentan der Fall ist.
Die künftige Geburtenentwicklung hängt somit nicht an einer schwindenden Zahl potentieller Mütter, sondern an der individuellen Entscheidung für oder gegen ein Kind. Für die Kommunalpolitik ergibt sich hieraus der Auftrag, positiv auf die Rahmenbedingungen für einen Kinderwunsch einzuwirken.“
Die Frage ist nur: Welche Rahmenbedingungen beeinflussen tatsächlich die Verwirklichung des Kinderwunsches? Und auf welche hat Leipzig tatsächlich Einfluss?
Der ausführliche Beitrag „Wanderungsgewinne und Geburteneinbruch – Evaluation der Leipziger Bevölkerungsvorausschätzung 2023“ ist jetzt in der neuen Reihe des Amtes für Statistik und Wahlen mit dem Titel „Analysen zur Stadtgesellschaft“ erschienen. Diese Publikationen nehmen zentrale Entwicklungen in Leipzig sowie deren Hintergründe in den Blick. Die Beiträge und weitere Informationen dazu sind über www.leipzig.de/statistik abrufbar.
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