So kann Demokratie nicht funktionieren. Das kann man auch herauslesen aus dem Sachsen-Monitor 2023, der am Dienstag, dem 23. Januar, vorgestellt wurde. Und der eben auch die Engsicht der konservativen Staatskanzlei auf „unsere Sachsen“ abbildet. Denn auch Fragen beeinflussen Antworten. Das geht schon bei dem überbordenden Frageteil zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ los. Ein Problem, das alle Institute bei so einem Fragekomplex haben. Wie fragt man das ab?

Übernimmt man da – völlig ohne Anführungszeichen – das Vokabular der Rechtsextremen und tut so, als würde man dabei ein objektives Bild gewinnen? Oder sucht man möglichst objektive Formulierungen, mit denen die Befragten ihre Ängste – auch zur Migration – äußern können? So wie in der Leipziger Bürgerumfrage, wo sich schon seit Jahren ein sehr sachliches Abfrageschema etabliert hat.

So fragt die Leipziger Bürgerumfrage die Probleme im gesellschaftlichen Zusammenleben ab. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2022
So fragt die Leipziger Bürgerumfrage Probleme im gesellschaftlichen Zusammenleben ab. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2022

Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man Menschen befragt, ob die Spaltung der Gesellschaft, fehlende Toleranz, rechtes Gedankengut oder Migration/Zuwanderung aus ihrer Sicht ein Problem sind (wie das in der Leipziger Bürgerumfrage abgefragt wird) oder ob man die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen wie „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in gefährlichem Maß überfremdet“ abfragt.

Dann hat es rechte Propaganda nämlich schon geschafft, die ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und suggeriert damit gleichzeitig einen Sachverhalt, der gar nicht so existiert. Schon das Wort „Überfremdung“ aus dem rechtsradialen Arsenal hat in so einer Umfrage nichts zu suchen. Und die Suggestion, „die vielen Ausländer“ könnten so eine „Überfremdung“ verursachen, ist nun einmal schon rechtsradikales Framing.

Wie Framing an dieser Stelle funktioniert, zeigen schon die verschiedenen Ergebnisse zur globalen Frage, die 64 Prozent Zustimmung bekam, während nach der „Überfremdung“ im eigenen Lebensumfeld gefragt nur 30 Prozent zustimmten. Das Bild von der „Überfremdung“ steckt einfach im Kopf – auch und gerade da, wo es die Befragten überhaupt nicht mit Ausländern zu tun haben.

Lauter suggestive Fragen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Grafik: Freistaat Sachsen, dimap
Lauter suggestive Fragen werden gestellt zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Grafik: Freistaat Sachsen, dimap

Und es überrascht auch nicht, dass der Sachsen-Monitor auch andere Frames reproduziert, die auch bei konservativen Politikern immer wieder auftauchen. So die Vorurteile gegen Langzeitarbeitslose (66 Prozent), Muslime (54 Prozent), Sinti und Roma (46 Prozent).

Das ganze Frageschema ist ganz eindeutig kein Versuch, die Befindlichkeiten der Menschen in ihrem tatsächlichen Lebensumfeld zu erkunden, sondern eine Bestätigung all der überspitzten Diskussionen, in denen auch überforderte Politiker versuchen, ganze Menschengruppen für das Versagen von Politik verantwortlich zu machen.

Die Ahnungslosen in Sachsen

Und das in einem Umfeld gravierender Uninformiertheit, was der Fragekomplex zu den Medien deutlich macht. Denn wie will man eigentlich die Glaubwürdigkeit von Medien abfragen, wenn ein Großteil der Befragten scheinbar gar keine Medien mehr rezipiert?

Allein die Rezeption der öffentlich-rechtlichen Medien ist seit der letzten Umfrage 2021 um 19 Prozent auf 47 Prozent zurückgegangen, wenn man dem Umfrageergebnis an dieser Stelle glauben darf. Die Wahrnehmung des öffentlich-rechtlichen Radios sank um 16 Prozent auf 28 Prozent, die von Tageszeitungen um 15 Prozent auf 27 Prozent.

Zu Mediennutzung und Glaubwürdigkeit im Sachsen-Monitor 2023. Grafik: Freistaat Sachsen, dimap
Mediennutzung und Glaubwürdigkeit im Sachsen-Monitor 2023. Grafik: Freistaat Sachsen, dimap

Da hätte man dann doch erwartet, dass die Leute sich ihre Informationen irgendwo anders holen. Aber das Umfrageergebnis suggeriert, dass das nicht der Fall ist. Die „sozialen Medien“ wurden nur mit 5 Prozent genannt, das „Internet allgemein“ mit 16 Prozent.

Das heißt: Man hat es zunehmend mit einer Bevölkerung zu tun, die sich überhaupt nicht mehr über Politik und gesellschaftliche Vorgänge informiert – aber trotzdem eine Meinung zu allem hat. Und auch zur Glaubwürdigkeit der Medien, obwohl sie diese immer weniger nutzt. Logisch, dass dann die Glaubwürdigkeit – etwa der öffentlich-rechtlichen Sender – binnen zwei Jahren um 12 Prozent auf 51 Prozent sinkt. Man konsumiert sie nicht – hat aber eine Meinung. Dasselbe Bild bei Tageszeitungen, Zeitschriften und Magazinen.

Und während nur 5 Prozent die „Social Media“ als Informationsquelle angaben, halten 14 Prozent sie für glaubwürdig. Das erzählt von einer sehr seltsamen Weltwahrnehmung der befragten Sachsen. Wie wollen sie denn aktuelle Politik einschätzen, wenn sie keine Ahnung davon haben?

Ein gewaltiges Desinteresse an Politik

Und das geben sie auch noch zu: Nur 44 Prozent der Befragten interessieren sich wirklich für Politik, speziell nach Sachsen befragt, sind es 46 Prozent. Was dann wieder mit der Mediennutzung korrespondiert. Wenn man sich nicht für Politik interessiert, schaut man eben auch nicht, was politisch diskutiert wird. Das kann man Hedonismus nennen oder auch Desinteresse.

Oder das Ergebnis von Politik, die seit über 30 Jahren auch nicht viel Wert darauf gelegt hat, dass sich die Bürger davon angesprochen gefühlt haben.

Den Aspekt darf man ruhig sehen. Aber davon wollte nun wieder die Staatskanzlei nichts wissen und framte die Fragen zur Entwicklung Sachsens gleich mal durchgängig positiv: Auf das, was seit 1990 erreicht wurde, könne man stolz sein (86 Prozent) oder Sachsen brauche den Vergleich mit vielen westdeutschen Bundesländern nicht scheuen (82 Prozent). Was sind das für Fragen? Banaler geht es kaum.

Und dass das erfragte Bauchgefühl nichts mit der erlebten Realität zu tun hat, wird dann bei der Frage nach den sozialen Aufstiegschancen deutlich. Die befanden nämlich nur 40 Prozent der Befragten als gut. Also so ein richtiges Land für Leute, die Chancen suchen, scheint Sachsen nicht zu sein. Da überrascht es nicht, dass 65 Prozent der Befragten die Gerechtigkeit in Deutschland als eher ungerecht empfanden. Das hat eine Menge mit Wirtschaft zu tun.

Und eben auch mit der wachsenden Skepsis diversen Institutionen gegenüber. Auch der eigenen Landesregierung, der nur 44 Prozent vertrauen (9 Prozent weniger als vor zwei Jahren) oder dem Sächsischen Landtag (44 Prozent). Wobei auch die Kluft deutlich wird beim Parteivertrauen. Denn der eigenen Partei bringen immerhin noch 43 Prozent Vertrauen entgegen (minus 9 Prozent), Parteien überhaupt aber nur 10 Prozent (minus 12 Prozent).

Der Sachsen-Monitor 2023: Klimaschutz ist nicht so wichtig? Grafik: Freistaat Sachsen, dimap
Sachsen-Monitor 2023: Klimaschutz ist nicht so wichtig? Grafik: Freistaat Sachsen, dimap

Das hat natürlich auch mit dem massiven Parteien-Bashing (insbesondere aus dem rechtsextremen Lager) der letzten Jahre zu tun und der Inszenierung eines politischen Kaspertheaters, das mit der realen Komplexität politischer Entscheidungen nichts gemein hat. Wofür dann wieder Medien da wären, das auseinanderzuklamüsern. Aber denen vertrauen ja nur noch 15 Prozent (minus 11 Prozent).

Das heißt: Wir haben eine Umfrage vor uns, die ganze Fragekomplexe mit suggestiven Fragen gefüllt hat, die das Ergebnis – absichtlich oder unabsichtlich – in eine Richtung drängen. Und die gleichzeitig verrät, wie wenig sich die Sachsen in Wirklichkeit für Politik interessieren. Also auch nicht viel darüber wissen, wer eigentlich für welche politischen Entscheidungen verantwortlich ist.

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