Man kรถnnte sich ja dran gewรถhnen: Jedes Jahr neue Diskussionen um einen Haushalt, der scheinbar kurz vorm Zusammenbruch steht, immer neue Auflagen der Landesdirektion zu Leipzigs Doppelhaushalten. Dazu immer neue Warnungen vor einer (Neu-)Verschuldung und dem Tag, an dem der Finanzbรผrgermeister mal wieder eine Haushaltssperre verhรคngen muss. Als wรคre Leipzig immer noch eine Stadt mitten im wirtschaftlichen Niedergang.

Den Eindruck vermittelte auch der letzte Finanzbericht, den Finanzbรผrgermeister Torsten Bonew 2023 noch vorlegte. Darin steht auch der sehr verwirrende Satz: โ€žGemรครŸ der vorliegenden Prognose steigt der Schuldenstand aus Krediten fรผr Investitionen von 464,8 Mio. EUR per 31.12.2022 um 359,5 Mio. EUR auf 824,3 Mio. EUR per 31.12.2023. Die Pro-Kopf-Verschuldung wรผrde damit um 582 EUR von 754 EUR auf 1.336 EUR steigen.โ€œ

Der Leipziger Finanzbericht fรผr die erste drei Quartale 2023

So etwas ร„hnliches hatten ja einige Redner im Leipziger Stadtrat schon in der Corona-Zeit befรผrchtet und von einem Anstieg der Leipziger Schulden auf รผber 1 Milliarde Euro orakelt. Nichts davon trat ein. Den GroรŸteil der pandemiebedingten Mehrausgaben und Mindereinnahmen federten Unterstรผtzungsleistungen von Bund und Land ab.

Und ansonsten wirtschaftete Finanzbรผrgermeister Torsten Bonew so seriรถs wie auch in den Vorjahren. Nirgendwo kam es so unerwartet hohen Mehrausgaben. Die Stadt lebte keinen Moment รผber ihre Verhรคltnisse.

Das Jahr 2022 und seine Nachwirkungen

Nach Abflauen der Pandemie rechneten natรผrlich alle damit, dass es jetzt ruhiger werden wรผrde. Aber dann kam fast nahtlos der รœberfall Russlands auf die Ukraine, bot Leipzig 10.000 Geflรผchteten aus der Ukraine Obdach, zeitversetzt aber stiegen die Energiepreise. Diesmal gab es keinen vollen Ersatz durch Bundes- oder Landesmittel, sodass Leipzig nach Jahren des permanenten Schuldenabbaus erstmals wieder mehr Kredite aufnehmen musste.

Aber auch nicht im befรผrchteten AusmaรŸ von รผber 100 Millionen Euro, sondern โ€“ am Schuldenstand ablesbar โ€“ nur 66 Millionen Euro. Der Schuldenstand stieg von 428 Millionen auf 494 Millionen Euro.

Im Frรผhjahr 2023 schien dann aber das Pferd durchzugehen, wies die Statistik auf einmal 703 Millionen Euro aus. Und man staunte: Wofรผr konnte Leipzig binnen drei Monaten derart viel Geld ausgeben?

Tatsรคchlich hatte Leipzig das Geld gar nicht ausgegeben, sondern โ€“ wie es im Finanzbericht heiรŸt โ€“ โ€ž220,1 Mio. EUR fรผr die Rรผckzahlung von Kassenkrediten aus dem Jahr 2022, welche teilweise investiv bedingt warenโ€œ, gezahlt. Die Stadt hatte also Investitionen, die Ende 2022 fertig wurden, mit Kassenkrediten bezahlt, weil die entsprechenden Steuereinnahmen noch nicht verbucht waren.

In diesem Fall ungefรคhr den 211 Millionen Euro entsprechend, die im vierten Quartal 2022 von der Stadt noch eingenommen wurden, sodass Leipzig 2022 einen neuen Hรถchststand an Steuereinnahmen in Hรถhe von 751 Millionen Euro verbuchte.

Schuldenabbau/Schuldenaufbau 2023

Schon im zweiten Quartal 2023 war der โ€“ eigentlich nur virtuelle โ€“ Schuldenberg wieder auf 640 Millionen Euro abgeschmolzen und im September dann โ€“ wie der Finanzbericht des Finanzbรผrgermeisters ausweist โ€“ auf 554 Millionen Euro.

Das ist freilich die Stelle, an der der Finanzbรผrgermeister mahnte, der Schuldenstand kรถnnte bis Jahresende wieder drastisch ansteigen: auf 824,3 Millionen Euro.

Da schnappt man gleich mal nach Luft, versteht die ganze Heftigkeit in der Diskussion um die Prioritรคtensetzung im Leipziger Investitionshaushalt.

Aber woher sollen jetzt die neuen Millionenschulden eigentlich kommen?

โ€žBis zum 30.09.2023 erfolgte eine Kreditneuaufnahme auf die Kreditermรคchtigung 2022 in Hรถhe von 100 Mio. EUR und diente der Finanzierung des Investitionsbedarfs aus 2022. Die aktuell verfรผgbaren Kreditermรคchtigungen sollen im Jahr 2023 voraussichtlich in Hรถhe von 300 Mio. EUR in Anspruch genommen werden, um den voraussichtlichen Investitionsbedarf von ca. 313 Mio. EUR zu deckenโ€œ, heiรŸt es im Finanzbericht.

Was ja bedeuten wรผrde, dass Leipzig im letzten Quartal 2023 noch einmal 300 Millionen Euro an getรคtigten Investitionen finanzieren mรผsste. Und dass die Steuereinnahmen dafรผr einfach nicht reichen.

Leipzigs Investitionsberg

Also schaut man auf die Investitionen der Stadt, die ja โ€“ wen das so eintrรคfe โ€“ ganz neue Dimensionen erreichen mรผssten. Tatsรคchlich hatte Leipzig das Jahr 2023 mit Gesamtinvestitionen von 813 Millionen Euro geplant. Projekte im Umfang von 349 Millionen Euro waren dabei aus den Vorjahren รผbertragen worden.

รœbersicht: geplante und umgesetzte Investitionen in Leipzig 2023. Grafik: Stadt Leipzig
Geplante und umgesetzte Investitionen in Leipzig 2023. Grafik: Stadt Leipzig

Aber schon 2022 schrieben wir an dieser Stelle, dass Leipzig solche GrรถรŸen an Investitionen gar nicht umsetzen kann, so gern Ratsversammlung und Verwaltung das auch tรคten. 2022 warten es rund 350 Millionen Euro, die tatsรคchlich investiert wurden.

Im September 2023 waren dann tatsรคchlich schon 302 Millionen Euro investiert worden, was in Teilen eben auch daran liegt, dass sich praktisch alle Bauvorhaben durch die massiv gestiegenen Baukosten deutlich verteuert haben. Und bis Jahresende rechnete auch Torsten Bonew ganz und gar nicht damit, dass noch alle Investitionen aus der Planliste umgesetzt werden wรผrden.

Nach Anfrage in allen investierenden ร„mtern ging sein Dezernat davon aus, dass Leipzig zum Jahresende rund 477 Millionen Euro an Investitionen umgesetzt haben wรผrde.

Es ist also sehr unwahrscheinlich, dass die ganzen erwarteten 300 Millionen Euro noch in Anspruch genommen wurden. Und ebenso unwahrscheinlich ist, dass selbst die fehlenden 175 Millionen Euro noch als Schulden in die Bilanz kommen.

Denn auch 2023 haben sich die Steuereinnahmen Leipzigs weiter positiv entwickelt.

Wachsendes Steueraufkommen

โ€žDer bisherige Verlauf 2023 stellt sich nach wie vor รคuรŸerst positiv darโ€œ, heiรŸt es im Finanzbericht zu den stรคdtischen Steuereinnahmen. โ€žDennoch bestehen enorme Risiken zum kรผnftigen tatsรคchlichen Verlauf, insbesondere hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Energiemarktes, der Folgen des Klimawandels sowie der weiteren Entwicklungen und Auswirkungen des Ukraine-Krieges sowie des aktuellen Nahostkonfliktes.

Hinzuweisen ist zudem darauf, dass die Inflations- und Zinsentwicklung die stรคdtischen Aufwendungen/Ausgaben im erheblichen MaรŸe beeinflusst. Gleichzeitig wird durch die derzeit zahlreichen Steuerrechtsรคnderungen, die der Unterstรผtzung der wirtschaftlichen Entwicklung dienen, das Steueraufkommen reduziert (wie Inflationsausgleichsgesetz in Verbindung mit den Jahressteuergesetzen, Wachstumschancengesetz).โ€œ

Aber mit welchen Steuereinnahmen rechnet der Finanzbรผrgermeister dann eigentlich?

Gerechnet hat der Finanzbรผrgermeister mit 859 Millionen Euro Steuereinnahmen netto. Aber schon im September verzeichnete die stรคdtische Kasse Steuereinnahmen von 941 Millionen Euro netto.

Sodass also dringend zu bezweifeln ist, dass Leipzig im Jahr 2023 tatsรคchlich die 300 Millionen Euro neuer Kredite in Anspruch genommen hat und damit seinen Schuldenstand auf รผber 800 Millionen Euro erhรถhte.

Selbst das ordentliche Ergebnis fรผr das Haushaltsjahr 2023 verzeichnet โ€“ anders als noch in der Haushaltsplanung angenommen โ€“ ein wahrscheinliches Plus von rund 18 Millionen Euro statt des geplanten Minus von 55 Millionen Euro.

Wenn Torsten Bonew 2024 dann die erste Endabrechnung fรผr 2023 vorlegt, wird sich herausstellen, dass Leipzig auch 2023 wieder sparsam gewirtschaftet hat und die Kreditaufnahme deutlich unter den hier genannten Zahlen liegen wird. Was nichts daran รคndert, dass die finanziellen Spielrรคume der wachsenden Stadt Leipzig viel zu klein sind.

Dass die Kreditverbindlichkeiten in den vergangenen Jahren so deutlich sinken konnten, hat eben leider auch damit zu tun, dass Leipzig Jahr fรผr Jahr zu wenig investiert hat und der tatsรคchliche Investitionsstau dabei immer weiter gewachsen ist. Sparen hat seinen Preis.

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