Der Pkw ist nicht nur ein Statussymbol, er ist auch ein bequemes Mobiliar. Er prägt Denk- und Verhaltensweisen. Was die jährlichen Bürgerumfragen der Stadt immer wieder sichtbar machen. Wer sein Leben erst einmal auf der Automobilität aufgebaut hat, tut sich unheimlich schwer, ein anderes Mobilitätsverhalten überhaupt zu denken. Da staunen auch die Autorinnen des Berichts zur Bürgerumfrage, dass sich 2022 tatsächlich etwas getan hat.
Nachdem der Ausstattungsgrad mit Pkw in den Leipziger Haushalten viele Jahre auf einem konstanten Niveau lag, sinkt dieser Anteil im Jahr 2022 deutlich von 62 auf 56 Prozent ab. Dieser Rückgang spiegelt sich auch in erstmals sinkenden Zulassungszahlen wider. Überdurchschnittlich viele Pkw finden sich freilich nach wie vor in Paarhaushalten: Rund ein Viertel der Paare im erwerbsfähigen Alter verfügt über zwei oder mehr Pkw. Aber: Sechs von zehn Alleinstehenden leben ohne Auto.
„Nach rund fünf Jahren auf konstantem Niveau sinkt dieser Anteil im Jahr 2022 deutlich von 62 auf 56 Prozent ab“, kann man zum Austattungsgrad mit Pkw lesen. „Bei starkem Bevölkerungswachstum bedeutet jedoch auch ein rückläufiger Pkw-Anteil nicht zwangsläufig einen Rückgang der absoluten Zahl an zugelassenen Pkw in Leipzig: Auch über die Phase eines konstanten Ausstattungsgrades seit 2017 nahm die absolute Anzahl der in Leipzig zugelassenen privaten Pkw bis Ende 2021 um rund 4 Prozent zu.
Zwischen Jahresbeginn 2022 und 2023 war die Zahl der in Leipzig zugelassenen privaten Pkw dagegen erstmals rückläufig und ging um 1.481 auf 204.698 Fahrzeuge zurück (-0,7 Prozentpunkte). Die Zahl der gewerblichen Pkw nahm im gleichen Zeitraum um 870 Fahrzeuge zu, sodass sich zum Jahresbeginn 2023 ein Rückgang um 611 Pkw gegenüber dem Vorjahr ergab (Stadt Leipzig, 2023).“
Jährlich aber wird auch abgefragt, ob die Bürger bereit wären, auf ihren Pkw zu verzichten. Doch gerade dieser Anteil ging 2022 – leicht – zurück. Ganz abgesehen davon, dass 79 Prozent der Autohalter sowieso nicht bereit wären, zu verzichten. Weil es so komfortabel ist und „Lebensqualität“ und „Flexibilität“ bedeutet. Worüber man durchaus nachdenken darf.
„Diese beiden, auf den ersten Blick, gegensätzlichen Befunde zeigen, dass die subjektive Einstellung zum Pkw-Verzicht eine konstante Größe bei den Pkw-Nutzenden ist“, stellen die Autoren im Bericht fest.
„Andererseits wird deutlich, dass das Mobilitätsverhalten nicht ausschließlich durch die Einstellung zu einzelnen Verkehrsarten gesteuert wird und andere Faktoren eine Rolle spielen müssen. Beispielsweise könnten Faktoren wie die Erfahrung mit anderen Verkehrsmitteln, die Information zur Funktionsweise, die ökonomischen Kosten oder die Kenntnisse zu verkehrspolitischen Maßnahmen für die Verkehrsträger eine Rolle für das Mobilitätsverhalten spielen. Solche Faktoren konnten im Rahmen der kommunalen Bürgerumfrage für Leipzig jedoch nicht untersucht werden.“
Umsteigen auf Fahrrad und ÖPNV
Aber man ahnt, warum der Aufschrei jedes Mal groß ist, wenn der motorisierte Verkehr in Leipzig Straßenraum abgeben muss – denn das beeinträchtigt natürlich den gefühlten Komfort.
Aber man muss ja sein Auto nicht gleich abschaffen, wenn man sein Verkehrsverhalten ändert. Und das ist schon seit Jahren zu beobachten: Auf Wegen, wo noch vor Jahren das Auto immer die Nr. 1 war, verliert es nach und nach immer mehr Anteile.
„Für Wege zur Arbeit ist der motorisierte Individualverkehr für 38 Prozent der Leipzigerinnen und Leipziger das vorrangige Verkehrsmittel. Dieser Anteil weist allerdings, ausgehend von 46 Prozent im Jahr 2012, einen rückläufigen Trend auf, der lediglich von einem zwischenzeitlichen Anstieg im durch die COVID-19-Pandemie geprägten Jahr 2021 unterbrochen wurde“, kann man im Bericht lesen.
„Der Anteil des ÖPNV an den Arbeitswegen erreicht nach einem Einbruch in den Pandemiejahren 2020 und 2021 wieder das Niveau des Jahres 2019 und baut seinen Anteil über den gesamten Zeitraum seit 2019 um 3 Prozentpunkte aus. Für den Anteil des Fuß- und Radverkehrs ergibt sich eine klar positive Trendlinie mit einem Zuwachs um 8 Prozentpunkte seit dem Jahr 2012.“
Wobei gerade die Corona-Jahre den Trend verstärkt haben, dass die Leipziger vorzugsweise mit dem Fahrrad oder zu Fuß nicht nur zum Einkaufen unterwegs sind, sondern auch immer häufiger zur Arbeit. 36 Prozent aller Arbeitswege werden inzwischen so zurückgelegt.
Oder so formuliert: Autofahrer sind auch auf dem Weg zur Arbeit schon lange in der Minderheit: 62 Prozent der Wege zur Arbeit werden mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Allein 29 Prozent mit dem Fahrrad und 26 Prozent mit dem ÖPNV.
Und hier kommt man nun zur Frage der Stadtstrukturen. Denn hohe Auto-Nutzung hat etwas mit den Distanzen zur Arbeit zu tun, wie der Bericht feststellt: „Die konkrete Länge des Weges zur Arbeit wurde im Rahmen der Kommunalen Bürgerumfrage 2022 nicht erhoben. Im Rahmen der letzten Erhebung 2020 ergab sich, wie bereits in früheren Befragungen, ein stabiler Gradient mit relativ kurzen Arbeitswegen in der Innenstadt (Median 2020: 5,0 km) und am Innenstadtrand (2020: 6,0 km), während am Stadtrand die Pendeldistanz im Mittel 10 km betrug. Die längsten mittleren Arbeitswege wurden für die Stadtbezirke West, Nordwest und Nordost ermittelt (Amt für Statistik und Wahlen, 2020).“
Und logische Folge davon: „Die höchsten Anteile des MIV bei Arbeitswegen finden sich in den drei Stadtbezirken, für die in der Vergangenheit die längsten Pendeldistanzen ermittelt wurden. In Nordost und Nordwest nutzen jeweils 57 Prozent der Befragten Pkw oder Krad für Wege zur Arbeit, in West sind es 54 Prozent. In den ländlich geprägten Ortsteilen, die im Laufe der 1990er Jahre nach Leipzig eingemeindet wurden, liegt der MIV-Anteil sogar bei 63 Prozent und korrespondiert mit dem Pkw-Ausstattungsgrad, der am Stadtrand II bei 77 Prozent liegt.“
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