Mit „Deutsche verlieren Vertrauen in die Demokratie“ überschrieb die Körber-Stiftung die Auswertung ihrer jüngsten Umfrage. Das ist zwar eins der Befragungsergebnisse. Aber vielleicht wäre doch eine andere Überschrift treffender gewesen: „Bundesbürger in Sachen Demokratie größtenteils ahnungslos“. Sie wissen zwar alle, was sie sich wünschen. Aber wie es funktioniert, interessiert die große Mehrheit nicht die Bohne.

Das ist jetzt etwas zugespitzt. Und die deutschen Medien haben ganz gewiss auch ihren Anteil daran, weil sie Demokratie selten so zeigen, wie sie wirklich stattfindet, sondern schon vor Jahrzehnten dazu übergegangen sind, Politik zu boulevardisieren.

Wozu auch ein Stilmittel gehört, das Politik ganz im Muster uralter Mythen als ein permanentes Ringen zwischen Gut und Böse inszeniert. Es geht immer um Alles oder Nichts. Zwischentöne sind kaum noch wahrnehmbar.

Ergebnis – wie Peter Dausend in einer treffenden Glosse in der „Zeit“ feststellen konnte: „Belehrende Besserwisserei, moralisches Überlegenheitsgefühl und die notorische Ins-Wort-Fallerei mit unkontrollierbarem Zubeißdrang prägen die Debattenkultur hierzulande.“

So wird Politik nicht nur in Talkshows präsentiert, sondern auch in Satire-Sendungen, in Zeitungskommentaren, in „Debattenbeiträgen“ usw. Es ist auch das so vermittelte Bild von Politikerinnen und Politikern, das die Sicht der Deutschen auf ihre Demokratie prägt. Obwohl ja Vertrauensverlust auch heißt: Sie empfinden es nicht mehr als ihre Demokratie. Obwohl sie selbst mit dafür verantwortlich sind.

Die seltsame Sehnsucht der Deutschen nach Politikern mit Macht und Durchsetzungswillen. Grafik: Körber-Stiftung
Die seltsame Sehnsucht der Deutschen nach Politikern mit Macht und Durchsetzungswillen. Grafik: Körber-Stiftung

Das ist das Seltsame an solchen Diskussionen: Da gehen die Leute zur Wahl (oder auch nicht), wählen eine bestimmte Partei – und dann tun sie hinterher so, als wären sie für das Ergebnis nicht verantwortlich.

Nur so als Zwischenruf: Demokraten sind für ihre Demokratie immer verantwortlich.

Große Erwartungen

Das Wunschtableau jedenfalls ist klar. Das zeigen auch die ersten Ergebnisse der Umfrage der Körber-Stiftung: „Leben in Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie und geheime Wahlen – mehr als 9 von 10 Deutschen sagen, dass ihnen diese demokratischen Werte wichtig sind“, fasst die Körber-Stiftung das zusammen.

„Gleichzeitig sinkt das Vertrauen in die deutsche Demokratie: Während im Herbst 2021 ein Drittel (30 Prozent) der Befragten angab, weniger großes oder geringes Vertrauen in die deutsche Demokratie zu haben, stimmen dieser Aussage im Sommer 2023 mehr als die Hälfte der Deutschen (54 Prozent) zu. Auch das Vertrauen in die Parteien ist stark rückläufig. Gaben im Jahr 2020 noch 29 Prozent der Bundesbürger:innen an, Parteien zu vertrauen, so sank der Wert auf 20 Prozent im Jahr 2021 und erreicht mit aktuell nur 9 Prozent einen dramatischen Tiefpunkt.“

Eine Aussage, die hier noch konkretisiert werden muss, weil das eigentliche Umfrageergebnis noch viel seltsamer ist. Denn gefragt wurde auch konkret: „Wie viel Vertrauen haben Sie in die Partei, die Sie wählen?“ Also nicht irgendeine Partei, sondern konkret die Partei, wo die Leute ihr Kreuz setzen. Und hier steht dann ein Wert von 39 Prozent.

Der weit verbreitete Wunsch nach Mitsprache ... Grafik: Körber-Stiftung
Der weitverbreitete Wunsch nach Mitsprache … Grafik: Körber-Stiftung

Natürlich hat auch das wieder mit Medien zu tun. Denn auch über das Handeln von Parteien und ihren Vertretern informieren sich die Bürger über Medien. Aber wie berichten Medien über Politikerinnen und Politiker?

Sehr zynisch, darf man sagen. Wie Preisrichter, die zu jeder Äußerung, jedem Auftritt Haltungsnoten vergeben. Politik als Laufsteg oder Boxring. Das Schema ist fast immer dasselbe. Und wenn dann noch – siehe Dausend – „belehrende Besserwisserei“ und „moralisches Überlegenheitsgefühl“ dazu kommen, ergibt sich für die Bürger dann so ein Ergebnis, so die Körber-Stiftung: „71 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass führende Leute in Politik und Medien in ihrer eigenen Welt leben, aus der sie auf den Rest der Bevölkerung herabschauen.“

Was tun eigentlich Politiker?

Die Zeiten, dass ein Roger Willemsen sich ein Jahr lang einmal für komplette Parlamentssitzungen in den Bundestag setzte und hinterher in einem Bestseller beschrieb, was er da gesehen hat, sind lange vorbei. 2014 erschien sein Buch „Das Hohe Haus: Ein Jahr im Parlament.“ Gelernt haben die Kollegen aus den großen Medienhäusern daraus nichts.

Dabei ist den meisten Befragten durchaus bewusst, dass Demokratie zuallererst im direkten Lebensumfeld – in der Kommunalpolitik – erlebt werden könnte. Aber schon da sieht es mau aus, wie die Körber-Stiftung feststellen kann: „Das persönliche Engagement der Befragten in der Kommunalpolitik hält sich allerdings in Grenzen: Nur 8 Prozent geben an, sich kommunalpolitisch zu engagieren, davon sind zwei Drittel männlich.“

Das beißt sich einfach, wenn gleichzeitig 86 Prozent der Befragten sagen, die Bürger/-innen sollten in wichtige Entscheidungen stärker einbezogen werden.

Was die Bundesbürger über führende Persönlichkeiten, andere Gruppen und Gesprächskultur so denken ... Grafik: Körber-Stiftung
Was die Bundesbürger über führende Persönlichkeiten, andere Gruppen und Gesprächskultur so denken … Grafik: Körber-Stiftung

Das finden auf kommunaler Ebene sogar 58 Prozent wichtig.

Aber welchen Sinn ergibt das, wenn gleichzeitig 68 Prozent der Befragten sagen: „Es wird in der Öffentlichkeit zu wenig über die politische Arbeit in der Kommune informiert und dafür geworben.“

Da sind wir wieder bei den Medien. Denn wo sonst informieren sich die Bürger? Oder auch nicht. Denn was soll mehr Beteiligung eigentlich bringen, wenn die Beteiligten völlig uninformiert sind, selbst über die politische Arbeit in der Kommune?

Und sich auch nicht engagieren. Was man ja nicht nur als gewählter Mandatsträger kann, sondern auch im Kreisverband einer Partei, in einer Bürgerinitiative oder einem Verein. Es gibt genug Angebote. Aber sie werden nicht wahrgenommen bzw. nur von einer kleinen engagierten Minderheit: 8 Prozent.

Lauter Hinderungsgründe

Die Körber-Stiftung hat auch gefragt, warum die Befragten sich nicht engagieren. Das Ergebnis: „Unabhängig vom Geschlecht ist der große Zeitaufwand der Hauptgrund, warum sich die Befragten nicht in der Kommunalpolitik engagieren (34 Prozent). Mangelndes Zutrauen folgt auf Platz zwei mit 28 Prozent. Aber auch Angst vor Hass und Hetze (21 Prozent) und der rohe Ton (18 Prozent) hindern Bürger/-innen daran, sich politisch zu engagieren. Durch die sozialen Medien werden Hetze und Gewalt in der Gesellschaft noch gefördert, so 8 von 10 Befragten (80 Prozent).“

Was ja stimmt. Aber den Ton bestimmen diejenigen, die mitmachen und sich engagieren. Und wer ein wenig die Berichterstattung der LZ aus dem Leipziger Stadtrat verfolgt hat, weiß, dass der rohe Ton eher die Ausnahme ist.

Noch frappierender sind Aussagen wie „Dort sitzen Leute, die nicht zu mir passen“ (22 Prozent) oder „Weil ich ohnehin nichts bewegen kann“ (19 Prozent). Natürlich ist Demokratie ein zähes Geschäft. Aber wer sich gar nicht bemüht, kann erst recht nichts bewegen.

Die zerstörerische Macht der "sozialen Medien". Grafik: Körber-Stiftung
Die zerstörerische Macht der „sozialen Medien“. Grafik: Körber-Stiftung

Eine weitere Frage hat natürlich gerade deshalb ihre Tücken: „Brauchen wir angesichts der vielen Probleme im Land Politiker und Politikerinnen, die mehr Macht und Durchsetzungswillen haben, um schnell und durchgreifend Entscheidungen fällen zu können?“

Transformation? Politiker, macht mal …

Diese Frage bejahen 56 Prozent der Befragten. Während Politiker-Bashing gerade zum Volkssport geworden ist. An dem sich viele Medien nur zu gern beteiligen. Und eine regelrechte Tummelwiese der Politiker-Verachtung sind längst die sogenannten „sozialen“ Netzwerke, deren verhängnisvolles Wirken erstaunlicherweise den meisten Befragten bewusst ist.

Schafft Deutschland seine Transformationsaufgaben? Grafik: Körber-Stiftung
Schafft Deutschland seine Transformationsaufgaben? Grafik: Körber-Stiftung

80 Prozent der Befragten bestätigen die Aussage „Hetze und Gewalt werden durch die sozialen Medien noch gefördert“. 66 Prozent finden „Durch soziale Medien wird der gesellschaftliche Zusammenhalt immer mehr bedroht“. Und 83 Prozent wünschen sich: „Gewalt und Hetze müssen in den sozialen Medien stärker bestraft werden.“

Denn diese durch keinen Pressekodex gebundenen Plattformen befördern genau das, was die Demokratie im Kern zerstört. Es geht nicht um starke Führungsfiguren, wie viele Befragte glauben. Es geht auch nicht darum, was sich mittlerweile 74 Prozent der Befragten wünschen: „Es ist Aufgabe der Politik, den Bürgern ein Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln.“

Nein. Das ist gar nicht Aufgabe der Politik. Im Gegenteil: Sie muss Veränderung gestalten. Transformation, wie es die Umfrage nannte.

„Die Hälfte der Befragten bezweifelt, dass Deutschland für die großen Transformationsaufgaben unserer Zeit gewappnet ist. Das bremst die notwendige Veränderungsbereitschaft der Menschen zur Bewältigung der großen Herausforderungen deutlich“, sagt Sven Tetzlaff, Leiter des Bereichs Demokratie, Engagement, Zusammenhalt der Körber-Stiftung.

Zum Gestalten aber gehören Bürger, die offen sind für Veränderung. Und für das Grundlegende in der Demokratie, wie es der Philosoph Julian Nida-Rümelin benennt. Er hat die Studie „Die Rolle der Zivilkultur in der Demokratie: Streit, Kooperation, Partizipation“ erarbeitet. Die Studie beleuchtet historische Hintergründe, analysiert aktuelle Tendenzen und erörtert Implikationen für die politische Praxis mit Empfehlungen für die Kommunalpolitik.

„Ohne Zivilkultur, ohne eine alltägliche Praxis, die von Toleranz, Respekt und Kooperationsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger getragen ist, erodiert die Demokratie“, bringt Julian Nida-Rümelin auf den Punkt.

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