Die großen Medien rätseln ja nun schon seit Monaten, wie es zu einem derart großen Zuspruch für die AfD kommen kann, wie er sich aktuell in diversen Sonntagsumfragen zeigt. Rund 20 Prozent der Befragten halten es für möglich, bei der nächsten Wahl der rechtsradikalen Partei ihre Stimme zu geben. Dabei würden sie sich selbst damit am stärksten schaden, stellt der Ökonom Marcel Fratzscher vom DIW in einer aktuellen Kurzanalyse fest.

Wobei er eine Erkenntnis herausarbeitet, die eigentlich schon länger bekannt ist: Gerade Menschen, die sowieso schon benachteiligt sind, lassen sich durch Ressentiments besonders leicht verführen.

Denn die Wählerstruktur der AfD ist mittlerweile gut bekannt.

Mit den Lebensverhältnissen der AfD-Unterstützer/-innen hat sich gerade erst eine im Juni veröffentlichte Forsa-Umfrage für RTL/n-tv befasst.

„Sie bestätigt damit auch ältere Untersuchungen“, stellt Marcel Fratzscher, Makroökonom und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), fest. „Demnach ist die AfD-Wählerschaft überdurchschnittlich häufig männlich: Aktuell würden sich 23 Prozent der Männer, aber nur 15 Prozent der Frauen für die AfD entscheiden. Überdurchschnittlich häufig würden mit 24 Prozent Menschen zwischen 45 und 59 Jahren die Partei wählen. Unter Rentner/-innen (15 Prozent) und jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren (14 Prozent) sind sie eher unterdurchschnittlich vertreten.“

Die komplette Analyse findet man hier.

Niedrige Einkommen, abgehängte Regionen

Ältere Untersuchungen hätten gezeigt, dass ihr Einkommen ebenso wie ihre Bildung eher gering bis mittelhoch seien, so Fratzscher: „Arbeiter/-innen und Arbeitslose sind unter den Wähler/-innen überdurchschnittlich häufig vertreten. Die Unzufriedenheit über das eigene Leben und über den Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft ist unter AfD-Wähler/-innen deutlich höher als im Durchschnitt aller Wähler/-innen. Und oft haben oder hatten sie eine geringere soziale und auch politische Teilhabe.“

Und dazu kommt noch ein Faktor, den auch ostdeutsche Landesregierungen immer wieder gründlich vernachlässigen.

„Die Zustimmung zur AfD ist vor allem unter Wähler/-innen in Ostdeutschland überdurchschnittlich hoch, insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen, die unter Abwanderung leiden und ökonomisch abgehängt zu werden drohen“, so Fratzscher. „Dabei zeigen zwei wissenschaftliche Analysen des DIW Berlin, dass die demografischen Faktoren den hohen Stimmenanteil der AfD in Bundestagswahlen und der Europawahl am deutlichsten erklären.“

Diese Studien findet man hier und hier.

„Die AfD schneidet also besser in Wahlkreisen ab, in denen die Perspektivlosigkeit groß ist, die Chancen für junge Menschen gering sind und durch deren Abwanderung wichtige Infrastrukturen für Familien und Kinder – und damit auch für Unternehmen – schlechter werden oder verschwinden“, fasst Fratzscher zusammen. „Auch eine größere wirtschaftliche Verletzlichkeit und geringere Diversität von Regionen sind mit einer stärkeren Unterstützung der AfD verbunden.“

Eine Politik für die Reichen und Besserverdiener

Und dann packt er die Wahlversprechen und Wahlprogramme der AfD daneben und kann nur mit dem Kopf schütteln. Denn wenn die AfD das alles umsetzt, trifft das die potenziellen Wählerinnen und Wähler der AfD am heftigsten.

„Die Widersprüche zwischen den Interessen der AfD-Wähler/-innen und den Positionen der AfD könnten kaum größer sein“, stellt Fratzscher fest. Denn die AfD ist nicht nur eine nationalistische, schon auch durch und durch neoliberale Partei, die tatsächlich Politik für die Reichen und Vielverdiener machen möchte. Die sozial abgehängten Malocher ganz unten im Gefüge sind ihr politisch egal.

„Steuersenkungen für die Spitzenverdiener/-innen, niedrigere Löhne für Geringverdiener/-innen und eine Beschneidung der Sozialsysteme würden AfD-Wähler/-innen viel stärker negativ treffen als die Wähler/-innen der meisten anderen Parteien“, stellt Fratzscher fest. „Würde sich die AfD-Politik durchsetzen, käme es zu einer Umverteilung von Einkommen und sozialen Leistungen von AfD-Wähler/-innen hin zu den Wähler/-innen anderer Parteien.“

Die AfD würde also die Kluft zwischen Arm und Reih noch viel stärker werden lassen als die ebenso radikal neoliberal tickende FDP.

Es würde die Schwächsten am stärksten treffen

„Dies würde die ohnehin schon häufig am Rande der Gesellschaft stehenden AfD-Wähler/-innen noch stärker marginalisieren und ihre gesellschaftliche und politische Teilhabe beschneiden. Die Einschnitte, die die AfD hinsichtlich Gesellschaft und Demokratie vornehmen würde, beträfen vor allem Personen mit Migrationshintergrund, aber durchaus auch AfD-Wähler/-innen“, merkt Fratzscher an.

„Und der mittel- und langfristige wirtschaftliche und politische Schaden, den eine Schwächung der Europäischen Union und eine Aussetzung von Maßnahmen gegen den Klimawandel verursachen würde, träfe vor allem die sozial Schwachen der Gesellschaft – und dazu gehören vor allem auch viele AfD-Wähler/-innen.“

Was ihn trotzdem zu der Frage bringt, wie ein Fünftel der Wähler ausgerechnet eine Partei unterstützen kann, deren politische Ziele stark dem eigenen Wohlergehen und den eigenen Interessen zuwiderlaufen.

Stimmung machen mit Diskriminierung

„Eine plausible Antwort ist die individuelle und kollektive Fehleinschätzung“, schreibt Fratzscher. Und beschreibt dann den Wirkmechanismus: „Kaum eine im Bundestag vertretene Partei in Deutschland hat in den letzten 70 Jahren so hart nach unten getreten und verletzliche Gruppen so stark ausgegrenzt und diskriminiert wie die AfD. Durch die Hetze und Diskriminierung gegen Ausländer/-innen und Menschen mit Migrationsgeschichte – was auf fast jede/-n vierte/-n Deutsche/-n zutrifft – schafft es die AfD, den eigenen Unterstützer/-innen einzureden, sie würden wirtschaftlich, sozial und politisch gewinnen, wenn soziale Leistungen oder Grundrechte für diese Gruppen eingeschränkt würden.“

Die individuelle Fehleinschätzung liege also darin, dass viele AfD-Wähler/-innen nicht wahrhaben wollen, „dass eine Politik der Diskriminierung und Ausgrenzung sie selbst stark negativ betreffen würde. Denn sie selbst gehören häufig zum unteren Rand der Einkommensverteilung, genießen seltener Privilegien und haben weniger Chancen als andere und sind stärker auf finanzielle Leistungen des Staates angewiesen. So wären vor allem AfD-Wähler/-innen von Arbeitsplatzverlusten, einer schlechteren Infrastruktur und weniger Leistungen, einer Schwächung der Europäischen Union oder Steuersenkungen für Spitzenverdiener/-innen stark negativ betroffen.“

Und dazu kommen die falschen Heilsversprechen der populistisch agierenden AfD. „Nicht wenige AfD-Wähler/-innen sind überzeugt, dass eine Rückabwicklung der Globalisierung, ein erstarkender Nationalismus sowie eine neoliberale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ihnen persönlich bessere Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und bessere Chancen verschaffen würden. Dabei würde genau das Gegenteil passieren“, mahnt Fratzscher.

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