Wenn der Unmut bei vielen Menschen derzeit wรคchst und sie aus Protest bereit sind, die AfD zu wรคhlen, dann hat das auch mit einer Bundespolitik zu tun, die gerade Menschen mit รผberschaubarem Einkommen zunehmend Angst macht. Denn sie bekommen die Folgen gestiegener Energiepreise massiv zu spรผren. Eigentlich sollten sie vom Klimageld profitieren, wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Doch das Geld verteilt der Bundesfinanzminister lieber zu den Besserverdienenden um. Wofรผr ihn Marcel Fratzscher deutlich kritisiert.

Fratzscher ist einer der bekanntesten ร–konomen der Republik, Prรคsident des Deutschen Instituts fรผr Wirtschaftsforschung (DIW) und schreibt regelmรครŸig in der โ€žZeitโ€œ seine Kolumne โ€žFratzschers Verteilungsfragenโ€œ.

Womit er einen Aspekt der Finanzpolitik immer wieder beleuchtet, der in den deutschen Steuerdiskussionen seit Jahren ausgeblendet wird. Denn Verteilungsgerechtigkeit wird รผber Steuern hergestellt. Wer besser verdient, zahlt mehr Steuern, wer schlechter verdient, weniger. Und gleichzeitig wird mit Steuern austariert, wie viel Geld der Staat zur Verfรผgung hat, um all die Dinge zu finanzieren, die Menschen soziale Teilhabe ermรถglichen.

Doch seit geraumer Zeit ist der Wurm drin. Und das hat damit zu tun, dass Finanzminister in Deutschland eigentlich die Nebenkรถnige sind. Sie entscheiden, wohin das Geld flieรŸt, ob reiche Menschen ihren steuerlichen Beitrag leisten oder ob die Armen mehr belastet werden. Oder am Ende gar kein Geld mehr da ist, sodass der Finanzminister รผberall Kรผrzungen in sรคmtlichen Ministerien anweist.

Verschรคrfte Ungerechtigkeit

In seiner Kolumne vom 28. Juli, die das DIW auch auf seiner Homepage verรถffentlicht hat, schreibt Fratzscher dazu: โ€žNun stellt sich die Frage, ob die Politik tatsรคchlich nicht in der Lage, oder vielmehr nicht gewillt ist, die Voraussetzungen dafรผr zu schaffen, insbesondere Menschen mit wenig Einkommen entlasten zu kรถnnen. Denn gerade in Zeiten knapper Kassen ist es bequem, zusรคtzliche Einnahmen wie durch die COโ‚‚-Bepreisung fรผr andere Zwecke zu verwenden.

So hat der Bundesfinanzminister beispielsweise umgehend durch ein sogenanntes Inflationsausgleichsgesetz die kalte Progression bei der Besteuerung von Einkommen mit 15 Milliarden Euro im Jahr abgesenkt, wovon hauptsรคchlich Spitzenverdienende profitieren und Haushalte mit geringen Einkommen so gut wie keinen Euro erhalten.โ€œ

Dahinter steckt die neoliberale Denkweise, dass Steuern des Teufels sind und gesenkt werden mรผssen, damit die Leute, die so beschenkt werden, dann animiert werden, mehr zu investieren. Was aber nicht passiert.

Wikipedia beschreibt die Denkweise dahinter so: โ€žAus der neoliberalen Perspektive werden sozialstaatliche MaรŸnahmen als โ€šUmverteilungโ€˜ von Einkommen zulasten der Reichen abgelehnt. Sozialstaatliche MaรŸnahmen, auch wenn sie in einer Mehrheitsentscheidung getroffen wurden, seien nicht gerecht, da sie nicht auf der Freiwilligkeit aller Teilnehmer beruhen. Im Verstรคndnis des Neoliberalismus fรผhren รถkonomische Tauschgeschรคfte, zu denen auch sozialstaatliche MaรŸnahmen gezรคhlt werden, nur zu einem optimalen und damit gerechten Ergebnis, wenn sich alle Teilnehmer freiwillig dazu entscheiden. Der Staat solle sich auf die Rolle beschrรคnken, โ€šChancengleichheit bei Markteintrittโ€˜ herzustellen.โ€œ

Wer so denkt, beschneidet natรผrlich die Einnahmen des Staates und senkt die Steuern fรผr die Gutverdienenden. Und weil dazu auch noch das sogenannte Neuverschuldungsverbot gehรถrt, das ein Bundesfinanzminister Christian Lindner wie ein Mantra vor sich her trรคgt, stรคrkt er den Staat eben nicht dadurch, dass er die Reichen stรคrker an der Finanzierung beteiligt, sondern indem er die Ausgaben des Staates kรผrzen lรคsst. Was den Zyklus der Umverteilung erst rund macht. Denn die hier gekรผrzten Gelder stammen in der Regel aus Programmen, die den Einkommensschwรคcheren zugutekommen.

Und die merken natรผrlich, dass sie nun ordentlich draufzahlen.

Hรถchste Zeit fรผr das Klimageld

โ€žEs ist hรถchste Zeit, dass die Politik das Projekt Klimageld umsetzt. Auch wenn das Klimageld in Form einer einheitlichen Pro-Kopf-Pauschale den GroรŸteil der finanziellen Zusatzbelastung fรผr einkommensschwache Haushalte abfedert, wรคre eine einkommensabhรคngige Ausgestaltung wรผnschenswert. Genauso dringend ist eine von Einkommen und Bedarfen abhรคngige finanzielle Fรถrderung individueller Anpassungspotenziale, vor allem bei der Umstellung von Heizungen im Zuge der Reform des Gebรคudeenergiegesetzesโ€œ, so Fratzscher.

Bei der Gelegenheit legte das DIW auch Zahlen vor, wie sehr sich die finanzielle Belastung durch Energie von einkommensschwachen Haushalten von jenen der reichen unterscheidet.

โ€žWenn der Preis langfristig betrachtet bei 150 Euro pro Tonne in den Sektoren Wรคrme und Verkehr liegt, mรผssten die zehn Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen knapp sechs Prozent mehr ihres Nettoeinkommens fรผrs Heizen und fรผr Kraftstoffe ausgeben. Fรผr die einkommensstรคrksten zehn Prozent der Bevรถlkerung betrรคgt diese zusรคtzliche Belastung lediglich 1,5 Prozent ihres Einkommens. Noch einmal: Hierbei handelt es sich nur um den Anstieg der finanziellen Belastungโ€œ, stellte Fratzscher fest.

Aktuell liegt die COโ‚‚-Bepreisung pro Tonne erst bei 60 Euro. Aber schon die heftigen Energiepreissteigerungen im vergangenen Jahr haben gerade bei Einkommensschwรคcheren heftige Spuren im Haushaltsbudget hinterlassen. Nur zu verstรคndlich, dass auch die Energiepolitik derzeit als ungerecht empfunden wird. Wรคhrend mit Christian Lindner wieder ein Bundesfinanzminister am Werk ist, der die Umverteilung von unten nach oben bevorzugt und das dann mit seiner Sorge um den Staatshaushalt verbrรคmt, dem er eben gerade 15 Milliarden Euro entzogen hat.

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