Es war eine kleine Meldung, die das Landesamt für Statistik am 1. Juli veröffentlicht. Aber die hatte es in sich. „Niedriglohnsektor in Sachsen schrumpft 2022“, lautete sie und brachte die Landesstatistiker zu der geradezu euphorischen Aussage: „Die Erhöhung des Mindestlohns zum Oktober 2022 auf 12 Euro brutto je Stunde hat den Niedriglohnsektor in Sachsen deutlich verkleinert.“
Das führten die Statistiker auch noch etwas genauer aus: „Nach Angaben des Statistischen Landesamtes arbeitete knapp jede und jeder sechste abhängig Beschäftigte (17 Prozent) in Sachsen im Oktober 2022 im Niedriglohnsektor. Hierunter fallen alle Beschäftigungsverhältnisse, die mit weniger als zwei Drittel des mittleren bundesweiten Stundenverdienstes entlohnt werden. Somit wurden rund 290.000 Jobs unterhalb der Niedriglohnschwelle von 12,76 Euro brutto je Stunde entlohnt.
Das waren rund 110.000 Jobs weniger als im April 2022. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Sachsen noch 400.000 Beschäftigungsverhältnisse unterhalb der damaligen Niedriglohnschwelle von 12,50 Euro brutto je Stunde. Der Anteil der niedrig entlohnten Jobs an allen Beschäftigungsverhältnissen sank somit 2022 landesweit innerhalb eines halben Jahres von 24 Prozent auf 17 Prozent.“
Knapp an der Grenze
Das ist schon heftig. Denn es zeigt, wie viele Menschen in Sachsen tatsächlich knapp unter oder über der Niedriglohnschwelle beschäftigt sind und wie wenig genügt, um sie über diese Schwelle zu hieven.
„Zum Niedriglohnsektor zählen alle Beschäftigungsverhältnisse, die mit weniger als zwei Drittel des mittleren Verdienstes (also brutto 12,76 Euro je Stunde im Oktober 2022 beziehungsweise 12,50 Euro je Stunde im April 2022) entlohnt wurden“, geben die Statistiker noch den Berechnungsrahmen vor.
Der offizielle Mindestlohn stieg am 1. Oktober 2022 von vorher 10,45 Euro auf 12 Euro. Was natürlich einige Wirtschaftsvertreter für viel zu viel erklärten. Aber damit liegt der Mindestlohn offiziell erstmals überhaupt in der Nähe des berechneten Niedriglohns. Der wiederum orientiert sich am Medienverdienst der abhängig Beschäftigten. Und der lag im April 2022 bei 18,75 Euro und im Oktober bei 19,14 Euro.
Was zwar nur den Zuwachs von 26 Cent beim errechneten Niedriglohn ergab. Aber ganz offensichtlich wirkt sich der Druck des höheren Mindestlohnes auch auf die Entscheidungen der Unternehmen aus, was sie ihren fest Angestellten nun als Stundenlohn zahlen. Denn längst haben alle Branchen mit Fachkräftemangel zu kämpfen – der Bruttolohn ist für viele Fachkräfte ein entscheidendes Kriterium geworden, bei welchem Unternehmen sie jetzt anheuern.
Bei 12 Euro wird es nicht bleiben
Die Zeit, dass die Beschäftigten sich mit jeder auch noch so schlecht bezahlten Tätigkeit zufriedengaben, ist vorbei. Gerade in den Branchen, in denen Spezialisten gefragt sind. Da haben dann ganz offensichtlich viele sächsische Unternehmen noch vor Einführung des neuen Mindestlohns im Oktober die Bruttolöhne ihrer Angestellten aufgestockt, um sie im Unternehmen zu halten. So viele, dass die Zahl der offiziell registrierten Niedriglöhner in Sachsen von 405.000 auf 293.000 abschmolz.
Und zwar bei Frauen wie bei Männern. Waren im April 2022 noch 220.000 Frauen im Niedriglohnbereich beschäftigt, waren es im Oktober nur noch 159.000. Bei den Männern sank die Zahl von 185.000 auf 133.000. Natürlich spielen hier zwei Effekte zusammen – der steigende Mindestlohn auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite der für alle offenkundige Fachkräftemangel. Mit Betonung auf Fachkräfte. Und eine einst selbst von Wirtschaftsinstituten geäußerte Befürchtung, mit steigendem Mindestlohn würden eben mehr Leute entlassen und die Arbeitslosigkeit würde steigen, trifft eben auch nicht zu. Die Unternehmen sind – wie man sieht – eher bemüht, ihre Leute mit besseren Bruttogehältern zu halten.
Und seit Oktober hat die gestiegene Inflation ja die Lohnkämpfe in fast allen Branchen wider befeuert. Was einerseits wieder eine steigenden Medianlohn zur Folge hat. Damit aber auch neue politische Forderungen auf die Tagesordnung setzt, den Mindestlohn weiter anzuheben. Im Juli sprach sich SPD-Chef Lars Klingbeil schon einmal für eine Anhebung auf 14 Euro Stundenlohn aus.
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