Eigentlich beschäftigt sich Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) eher mit Arbeitsmarktstatistiken. Da herrscht ohnehin genug Unklarheit und Verwirrung. Aber wenn dann Leute, die öffentlich eine Menge Einfluss haben, wie der ZDF-Moderator Markus Lanz, falsche Zahlen in die Welt posaunen, kann es Schröder nicht so stehen lassen. Also gibt es eine öffentliche Korrektur.
Freundlich parodiert Schröder den forschen Moderator gleich mal, wenn er feststellt: „Markus Lanz (ZDF) – ‚um das klar zu sagen‘ – ließ die Lebenserwartung in seiner Talkshow am 23. Mai 2023 in den letzten 30 Jahren um unglaubliche 15 Jahre bei den Männern und 18 Jahre bei den Frauen steigen. Quelle: bisher unbekannt.“
Das wäre wirklich eine enorme Steigerung der Lebenserwartung der Deutschen gewesen. Sie leben zwar tatsächlich gesünder und länger. Aber nicht in einem so beträchtlichen Ausmaß, dass sie gleich mal 15 und 18 Jahr mehr Lebenserwartung gegenüber 1993 dazu bekommen hätten.
Politische Diskussionen um Rente und Arbeitszeit
Eine nicht ganz unwichtige Zahl, die in einigen der heftigsten Diskussionen der Gegenwart eine Rolle spielt. Etwa in Bezug auf ein kaputt reformiertes Gesundheitssystem, in dem immer mehr Menschen immer länger nach einem behandelnden Arzt suchen müssen, Wartezimmer überfüllt sind und Krankenhäuser von der Schließung bedroht.
Und gleichzeitig liegt Deutschland bei der Lebenserwartung unter 16 westeuropäischen Ländern sogar nur auf Platz 14 und 15, wie eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock ergab. Hauptgrund ist eine erhöhte Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie der „Spiegel“ meldete.
Und noch eine Debatte spielt hier hinein, angezettelt von der CDU, die das „Renteneintrittsalter ab dem Jahr 2031 direkt an die steigende Lebenserwartung“ koppeln will und die Rente mit 63 gleich wieder abschaffen möchte. Gekoppelt hatte die CDU den Vorstoß mit dem Vorschlag „für einen höheren Spitzensteuersatz und eine Neuregelung der Erbschaftsteuer“, so der „Spiegel“. Was längst überfällig ist.
Nur stimmt eben auch, was die SPD-Vorsitzende Saskia Esken in Reaktion auf den CDU-Vorstoß sagte: „Das ist eine Kampfansage an die Rentner. Jede Erhöhung des Renteneintrittsalters bedeutet für viele Menschen, die hart körperlich oder anderweitig belastend arbeiten, schlicht eine Rentenkürzung.“
Denn gerade die Menschen in schlechter bezahlten Berufen haben meist die körperlich anstrengenden Jobs und die geringere Lebenserwartung. Sie können oft nicht länger schwer arbeiten, anders als die vorwiegend viel besser bezahlten Inhaber all der Bürojobs, die dann überwiegend auch noch Zeit und Geld übrig haben, um mehr für ihre gesundheitliche Prävention zu tun.
Wer alle Menschen immer wieder nach demselben Maß misst, macht eine Menge falsch und schafft vor allem unter dem falschen Label der Gleichbehandlung neue Ungerechtigkeiten.
Sechs Jahre für die Männer und vier für die Frauen
Und natürlich ist an den von Markus Lanz genannten Zahlen nichts dran, stellt Paul M. Schröder vom BIAJ fest.
Außer dass die statistisch ermittelte Lebenserwartung tatsächlich gestiegen ist, aber nicht in der Höhe, die Lanz genannt hat.
„In den 28 Jahren – von Sterbetafel 1991/93 bis Sterbetafel 2019/21- ist die ‚Lebenserwartung bei Geburt‘ um 6,07 Jahre (männlich) bzw. 4,37 Jahre (weiblich) gestiegen. Und: Die ‚fernere Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren‘ ist im entsprechenden Zeitraum um 3,49 Jahre (männlich) bzw. 3,07 Jahre (weiblich) gestiegen“, kommentiert Schröder. „Beides weicht sehr deutlich von dem von Markus Lanz genannten Anstieg der Lebenserwartung um 15 Jahre (m) bzw. 18 Jahre (w) in den letzten 30 Jahren ab.“
Lebenserwartung bei Geburt heißt: So eine Lebensspanne können die jeweils in diesem Jahr geborenen Kinder statistisch erwarten. Die „Fernere Lebenserwartung“ zeigt dann die noch verbleibende Lebensspanne für die Menschen, die schon das 65. Lebensjahr erreicht haben.
Männer können danach mit 65 Jahren noch mit einer Restlebenszeit von knapp 17 Jahren rechnen, Frauen mit 21 Jahren. Was aber eben nichts darüber aussagt, ob sie gesundheitlich noch in der Lage zum Weiterarbeiten sind.
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