Wer in Deutschland mit geringem Einkommen haushalten muss, der weiß, wie wertvoll ein tatsächlich bedingungsloses Einkommen sein könnte. Gerade dann, wenn man wirklich nicht mehr kann und alle Batterien leer sind. Und während die konservative Politik beim Bürgergeld wieder nur im alten Sanktions-Schema denken konnte, befürwortet nach wie vor eine Mehrheit der Deutschen das bedingungslose Grundeinkommen.
Und auch nicht die Corona-Pandemie und die anderen Krisen haben etwas an dieser Grundhaltung geändert: Die Mehrheit der Deutschen stimmt auch weiterhin einem bedingungslosen Grundeinkommen zu. Das ergeben zwei repräsentative Befragungen aus dem Sommer 2022, die Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Universität Konstanz durchgeführt und analysiert haben.
Der große Wunsch der Geringverdiener
Vor allem Menschen mit geringem Einkommen und großen Sorgen über die eigene wirtschaftliche Situation unterstützen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Die Befragung von Wissenschaftlern der Uni Konstanz erlaubt durch Anwendung innovativer Umfragemethoden, die Bedeutung einzelner Aspekte eines fiktiven Grundeinkommens abzuschätzen, betont das auswertende DIW.
Demnach steigt die Zustimmung für ein Grundeinkommen, je höher es ausfällt – die größte Unterstützung hätten 1.200 Euro im Monat. Ebenso steigt die Unterstützung, wenn das bedingungslose Grundeinkommen an Deutsche oder Menschen, die länger als fünf Jahre in Deutschland leben, ausgezahlt würde.
Zur Finanzierung eines Grundeinkommens unterstützen die meisten Befragten die Erhöhung von Einkommen- und Vermögenssteuern.
Dabei standen mehrere verschiedene Finanzierungsmodelle zur Auswahl.
„Eine der Möglichkeiten war, die Finanzierung allein durch Kürzungen anderer Leistungen des Sozialstaats durchzuführen; die anderen Alternativen waren eine Anhebung der Einkommens- und Vermögenssteuer, eine stärkere Besteuerung von CO₂-Emissionen oder eine Finanzierung mithilfe einer Anhebung der Mehrwert- und Umsatzsteuer“, sagt Jürgen Schupp, Wissenschaftler in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) im DIW Berlin und einer der Autoren der Studie.
„Den deutlich höchsten Grad an Zustimmung erfährt die Finanzierung eines Grundeinkommens mit Hilfe einer Anhebung der Einkommens- und Vermögenssteuer. Deutlich abgelehnt wird hingegen die Idee einer Finanzierung durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer.“
Bei den aktuellen politischen Konstellationen aber sieht er keine Chance auf die kurzfristige Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens.
„Politisch ist das bedingungslose Grundeinkommen hochumstritten, doch genießt es seit Jahren hohe Popularität in der Bevölkerung“, sagt Jürgen Schupp. „Die politische Zustimmung zum Grundeinkommen ist also vorhanden – es sollte daher in künftigen Debatten über die Transformation der Sozialsysteme berücksichtigt werden.“
Wer ist dafür? Wer will es nicht?
Die Studie analysiert Zustimmung oder Ablehnung in Verbindung mit sozialen und demografischen Merkmalen wie Alter, Haushaltsnettoeinkommen oder auch Lebenszufriedenheit der Menschen. Sie wurden in einer repräsentativen Online-Erhebung unter Wahlberechtigten in Deutschland ermittelt. Vor allem jüngere Leute, Menschen mit niedrigem Einkommen oder geringer Lebenszufriedenheit befürworten demnach ein Grundeinkommen. Auffallend ist auch, dass vor allem Befragte mit großen Sorgen über Klima und Umwelt einem Grundeinkommen zustimmen.
Erstmalig analysiert die Studie die Präferenzen der Wohnbevölkerung in Deutschland zu einer möglichen Ausgestaltung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Dafür haben Marius R. Busemeyer (Universität Konstanz) und Adrian Rinscheid (Universitäten Nijmegen und Konstanz) die Daten einer zweiten repräsentativen Befragung von 4.500 Menschen zwischen 18 bis 84 Jahren in Deutschland mit verschiedenen Möglichkeiten eines Grundeinkommens verbunden.
„Besonders interessant an den Ergebnissen ist, dass ein Grundeinkommen ohne weitere Bedingungen tatsächlich die beliebteste Option wäre“, sagt Marius Busemeyer, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Konstanz und Sprecher des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“.
Adrian Rinscheid, Assistenzprofessor für Umweltpolitik an der Universität Nijmegen und Gastforscher am Konstanzer Exzellenzcluster, ergänzt: „Unsere Ergebnisse zeigen außerdem, dass in der Bevölkerung durchaus Unterstützung für eine engagierte Umverteilungspolitik vorhanden ist.“
Die Ergebnisse aus dem Sommer 2022 bestätigen die seit Jahren hohe Zustimmung in Deutschland zwischen 45 und 53 Prozent zum bedingungslosen Grundeinkommen. Am DIW Berlin läuft derzeit ein Pilotprojekt des Vereins Mein Grundeinkommen in Kooperation mit mehreren wissenschaftlichen Instituten wie dem DIW Berlin zu den individuellen Wirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens von 1.200 Euro pro Monat für die Dauer von drei Jahren. Die Ergebnisse werden im Sommer 2024 veröffentlicht.
Studienleiter Jürgen Schupp jedenfalls sieht das Positive am bedingungslosen Grundeinkommen: „Ein garantiertes Grundeinkommen könnte die Menschen in die Lage versetzen, aus einer stärkeren ökonomischen Position und größeren Verlässlichkeit künftige Herausforderungen zu bewältigen, die etwa in den Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels oder technologischen Umwälzungen am Arbeitsplatz ihre Ursachen haben.“
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