Seit einiger Zeit mehren sich die Forderungen von Bundesländern und Kommunen, sie bei der Unterbringung von Geflüchteten finanziell deutlich stärker zu unterstützen. Die Rufe richteten sich zumeist an den Bund. Doch am 6. April erteilte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Forderungen eine Absage. Die Bundesländer wären finanziell besser aufgestellt als der Bund.

Was zum Teil auch stimmt. Aber gibt es da nicht ein Problem, fragte sich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW).

Denn die nach Deutschland geflüchteten Menschen werden nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel verteilt. Eigentlich. Aber so, wie der Königsteiner Schlüssel angewendet wird, scheint er die unterschiedliche Wirtschaftskraft der Länder nicht zu berücksichtigen. Ob er also falsch funktioniert, fragte sich das DIW.

Der sogenannte Königsteiner Schlüssel verteilt Gelder und Aufgaben zwischen den Bundesländern. Dabei ist eigentlich beabsichtigt, dass die Wirtschaftskraft eines Landes den größten Einfluss hat.

Fast deckungsgleich mit Bevölkerungsanteilen

In der Realität ist das aber fast gar nicht der Fall, wie eine aktuelle Analyse von Ökonomen um Felix Weinhardt, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Public Economics an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), zeigt.

Demnach entspricht der Königsteiner Schlüssel letztlich weitgehend den Bevölkerungsanteilen der Länder – diese fließen zwar ebenfalls in die Berechnung des Schlüssels ein, eigentlich aber nur zu einem Drittel, die Wirtschaftskraft hingegen zu zwei Dritteln.

Warum ist das so?

Ist die Fairness nur suggeriert?

„Als Wirtschaftskraft wird das Steueraufkommen pro Kopf herangezogen, allerdings erst nach dem Finanzausgleich zwischen wirtschaftsstarken und wirtschaftsschwachen Bundesländern. Da das Steueraufkommen dann zwischen den Ländern angeglichen ist, hat es für den Königsteiner Schlüssel so gut wie keine Relevanz und reduziert dessen Berechnung mehr oder weniger auf die Bevölkerungsanteile“, stellt das DIW fest.

„Die Abweichung des Schlüssels vom Bevölkerungsanteil liegt in keinem einzigen Flächenland bei mehr als drei Prozent. Würde man alternativ das Steueraufkommen vor dem Finanzausgleich für die Berechnung des Schlüssels verwenden, würde dieser beispielsweise Bayern als wirtschaftsstarkem Flächenland einen um gut 20 Prozent höheren Anteil zuweisen. In den ostdeutschen Ländern wäre er hingegen um 20 bis 30 Prozent geringer.“

„Dass der aktuelle Königsteiner Schlüssel die Wirtschaftskraft der Bundesländer mehr oder weniger ausklammert, steht in krassem Widerspruch zur medialen und politischen Zuschreibung des Schlüssels als Verteilmechanismus, der die regionale wirtschaftliche Stärke berücksichtigt und somit vermeintlich fair ist“, sagt Studienautor Felix Weinhardt. „Der Königsteiner Schlüssel ist eher ein PR-Stunt, der Fairness nur suggeriert.“

Das Problem ist, dass der Königssteiner Schlüssel ursprünglich gar nicht für die vielen Anwendungsbereiche gedacht war, für die er heute verwendet wird, nämlich nur für die Finanzierung der Hochschulen.

„Bei der großen Bandbreite an Verwendungen wäre es auch nicht der Weisheit letzter Schluss, einfach zum Königsteiner Schlüssel mit dem Steueraufkommen der Länder vor dem Finanzausgleich zu wechseln“, erklärt Co-Autor Constantin Tielkes von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Neue Attacken auf den Finanzausgleich der Länder

Wäre da nicht die erneute Drohung durch Bayers Ministerpräsidenten, gegen den Finanzausgleich zu klagen, bei dem wirtschaftsstarke Länder wie Bayern, in denen das Steueraufkommen deutlich über jenem etwa der ostdeutschen Bundesländer liegt, von ihren Einnahmen abgeben müssen. Mit der Konsequenz, dass die steuerschwachen Bundesländer einen Ausgleich für ihre geringere Steuerkraft erhalten.

Sollte der Vorstoß von Markus Söder Erfolg haben (was wohl eher nicht der Fall sein dürfte), wäre auch der Königssteiner Schlüssel in seiner derzeitigen Form obsolet. Dann müsste die stärkere Steuerkraft der reichen Bundesländer tatsächlich auch bei der Verteilung der Flüchtlinge oder bei den Bildungsinvestitionen berücksichtigt werden.

Und dann würde ein Bundesland wie Sachsen tatsächlich Anspruch darauf erheben können, dass es 20 Prozent weniger Flüchtlinge aufnehmen muss und Länder wie Bayern und Baden-Württemberg deutlich mehr.

Sachsens seltsame Arbeitskräftepolitik

So gesehen aber dient der „falsch“ angewendete Königssteiner Schlüssel, der die Finanzkraft nach dem Finanzausgleich ermittelt, eben auch dazu, dass Bundesländer wie Sachsen die zugewiesenen Flüchtlinge unterbringen können. Auch wenn sich das Land schwertut damit, den geflüchteten Menschen eine Bleibeperspektive zu geben und sie lieber schleunigst in den Flieger setzt, um sie wieder loszuwerden.

Um dann parallel Anwerbeaktionen in diversen Weltregionen zu starten, mit dem Ziel, dort Arbeitskräfte anzuwerben.

Das darf man durchaus weltfremd nennen, wenn das Land selbst durchaus mehr tun könnte, um die geflüchteten Menschen in Arbeit zu bringen, Sprachkurse und eine angemessene Unterkunft zu organisieren.

Und so stellt das DIW auch fest: „Wenn es um die Verteilung finanzieller Lasten geht, ist der aktuelle Königsteiner Schlüssel hingegen durchaus geeignet: Er verhindert, dass wirtschaftsstarke Länder doppelt zur Kasse gebeten werden, nämlich erst im Rahmen des Finanzausgleichs und dann noch einmal bei der Finanzierung von Maßnahmen. Für eine solche Lastenverteilung wurde der Schlüssel ursprünglich konzipiert, genauer gesagt für die gemeinsame Finanzierung überregionaler Forschungseinrichtungen.“

„Wir brauchen verschiedene Schlüssel“

„Das Problem ist also nicht der Königsteiner Schlüssel an sich“, sagt Felix Weinhardt, „sondern die Tatsache, dass er heute in vielen Fällen herangezogen wird, für die er ursprünglich gar nicht gedacht war.

Stattdessen brauchen wir je nach konkretem Anwendungsfall verschiedene Schlüssel, die eine wirklich bedarfsgerechte Verteilung von Geldern und Aufgaben zwischen den Bundesländern ermöglichen.“

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